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Energie & Klima

Standpunkte Dezentrale KWK muss in die Kraftwerksstrategie

Stefan Liesner, Vizepräsident des Bundesverbands Kraft-Wärme-Kopplung
Stefan Liesner, Vizepräsident des Bundesverbands Kraft-Wärme-Kopplung Foto: 2G Energy

Mit der Plattform Klimaneutrales Stromsystem sowie der angekündigten Kraftwerksstrategie stellt die Bundesregierung Weichen für das zukünftige Energiesystem. Dabei biete die dezentrale Kraft-Wärme-Kopplung enorme Potenziale, argumentiert Stefan Liesner, Vizepräsident des Bundesverbands Kraft-Wärme-Kopplung.

von Stefan Liesner

veröffentlicht am 02.03.2023

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Noch vor wenigen Jahren völlig undenkbar: Über alle demokratischen Parteigrenzen hinweg herrscht ein breiter Konsens darüber, dass Wind und Sonne den Löwenanteil der zukünftigen Energieversorgung sicherstellen werden. Die politische Debatte dreht sich lediglich noch darum, wie der dringend benötigte Ausbau der erneuerbaren Energien am effizientesten beschleunigt werden kann.

Weitaus weniger Klarheit herrscht darüber, wo genau denn in Zukunft die gesicherte Kraftwerksleistung herkommen soll, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Das Bundeswirtschaftsministerium selbst kommunizierte erst jüngst Zahlen von 17 bis 21 GW neuer Gaskraftwerkskapazitäten, die bis 2031 ans Netz gehen müssen, um das Stromsystem beim geplanten Ausbau der Erneuerbaren jederzeit stabil zu halten. Dass das geflügelte Wort „H2-ready“ durchgehend mitschwingt, ist in Folge des stärker werdenden Drucks diverser NGOs keine große Überraschung. Doch wie werden die Gaskraftwerkskapazitäten definiert sein?

Dezentralität als oberste Prämisse

Analog zum dezentralen Ausbau der Wind- und Sonnenergie sollte auch beim Aufbau der benötigten Gaskraftwerkskapazitäten allen voran die Frage gestellt werden: Wie können die definierten Ziele am effizientesten erreicht werden? Die Antwort ist denkbar einfach: ebenfalls dezentral.

Mehr als bei allen anderen Technologien stehen bei Gaskraftwerken die Begriffe Dezentralität und Effizienz in einem besonderen Verhältnis. Im Vergleich zu Wind- und Sonnenenergie, wo der benötigte Input zwar wetterabhängig, aber dafür kostenlos ist, werden Gaskraftwerke stets mit einem hochwertigen Medium betrieben. Getreu dem Motto „Efficiency First“ gilt es daher, die knappen Energieträger Biogas, Biomethan, Wasserstoff und Erdgas mit dem größtmöglichen Wirkungsgrad zu nutzen. Keine Kraftwerksart nutzt die erwähnten Gase effizienter als die dezentrale Kraft-Wärme-Kopplung, da sie am Ort des Energiebedarfs hocheffizient Strom und Wärme generiert.

Doch auch abseits der Effizienzvorteile liegen die Vorzüge auf der Hand: Durch den vermehrten Einsatz dezentraler Anlagen, egal ob in Industrie, Gewerbe oder Quartierslösungen, ließe sich der Netzausbau drastisch reduzieren und gleichzeitig die Versorgungssicherheit erhöhen. In diversen Anwendungen sind moderne KWK-Anlagen weltweit als Insellösung beziehungsweise Netzersatzbetrieb im Einsatz.

Nicht zuletzt schafft Dezentralität Identifikation. Der Akzeptanzerfolg der Energiewende in vielen Teilen der Bevölkerung ist eng verbunden mit der zunehmenden Dezentralität: von der Beteiligung an Bürgerwindparks über das eigene Elektroauto bis hin zum Balkonkraftwerk im urbanen Quartier fühlen sich immer mehr Menschen als Teil des gesellschaftlichen Wandels. Warum sollten nicht auch Industriebetriebe stolz verkünden können: „Mit unserer KWK-Anlage sind wir das Rückgrat des regionalen Bürgerwindparks“?

Die Gefahr der alten Strukturen

Obwohl die Vorteile der dezentralen Versorgungsstrukturen bei einem Backupsystem offenkundig sind, ist fraglich, ob diese auch im BMWK ausreichend  bekannt sind und vor allem anerkannt werden. Vielmehr hatte man zwischen den Zeilen zuletzt  den Eindruck, dass die geplante Kraftwerksstrategie des Ministeriums die Wahrung bestehender, zentraler Versorgungsstrukturen manifestieren wird und eben nicht die oftmals zielführendere Dezentralität forciert. Hier könnte das BMWK eine Menge Mut beweisen, indem es sich auch bei der Absicherung der Energieversorgung zukünftig zu innovativen, regionalen Strukturen bekennt und eben nicht ausschließlich zur alten Energiewelt der großen Kraftwerke.

Einem Industrieunternehmen hilft es wenig, wenn in vielen Kilometern Entfernung ein großes Gaskraftwerk – dazu noch ohne Wärmeauskopplung – zur Deckung der Residuallast entsteht. Die Probleme vor Ort bei der Netzanbindung, beim dringend benötigen Rollout von Wärmepumpen und Elektromobilität werden dadurch in keiner Weise gelöst.

Selbst wenn der Zubau größerer Kraftwerke in einigen Regionen auch künftig sinnvoll sein mag, sollte der grundlegende Fokus ein anderer sein. Allein die physikalische Logik der immer regionaler werdenden Energieversorgung durch Wind und Sonne kann nur zu dem Schluss führen, dass auch die Kraftwerksstrategie die Dezentralität priorisieren sollte.

Lokales Zusammenspiel aus Wärmepumpe, KWK und PV

Egal ob Industriebetrieb oder Wohnungsbaugesellschaft – alle stehen aktuell vor der Frage: Wie kann ich mein Objekt energetisch fit für die Zukunft machen und dabei Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Klimaneutralität gleichermaßen im Blick behalten? Besonders bei Neubauten hat sich die Installation einer PV-Anlage in Kombination mit dem Einsatz einer Wärmepumpe inzwischen zur Normalität entwickelt.

Ausgestattet mit einem  Grünstromvertrag reklamieren mehr und mehr Unternehmen damit für sich, vollständig klimaneutral zu sein. Bei genauem Hinsehen entstehen jedoch genau daraus nicht nur Vorteile: Der Wärmebedarf ist vor allem in den Wintermonaten besonders hoch, in denen oftmals Luft/Wasser-Wärmepumpen energieintensive Wärme bereitstellen und gleichzeitig Wind und Sonne eher weniger verlässlich zur Verfügung stehen. Verschärfend will die stetig größer werdende Flotte an Elektroautos auch während der Dunkelflaute geladen werden.

Es erscheint sehr realistisch, dass die auf den ersten Blick wahrgenommen Erfolge auf der Wärme- und Mobilitätsseite durch vermehrte Kohleverstromung ad absurdum geführt werden, da Wind- und Sonne – auch bei stark gesteigertem Ausbautempo – während vieler Wochen de facto nicht ausreichend Grünstrom liefern können. Hinzu kommen die immer stärker werdenden Belastungen für die Stromnetze, die bereits im Januar vom Präsidenten der Bundesnetzagentur mit dem Vorschlag zur Drosselung der Versorgung von Wärmepumpen und Elektroautos kommentiert wurden.

Statt Drosselung einzelner Technologien sollte der Fokus auf der gezielten Nutzung der Sektorenkopplung liegen – besonders auf der individuellen Projektebene. Konkret bedeutet dies, dass durch den Einsatz stromgeführter, dezentraler KWK-Anlagen mit Wärmespeichern der im großen Stil geplante Ausbau von Wärmepumpen und Elektromobilität lokal ermöglicht wird. Der dadurch weniger benötigte Netzausbau und geringere Preisschwankungen am Strommarkt bedeuten am Ende sozialverträgliche Energiepreise und eine wettbewerbsfähige Industrie.

Schon heute H2-ready mit kurzen Projektlaufzeiten

Der wohl größte Vorteil der dezentralen KWK liegt aber in ihrer Flexibilität beim Einsatz verschiedener Gase – besonders im Hinblick auf die zunehmende Verfügbarkeit von Wasserstoff. Viele der namhaften Hersteller von KWK-Anlagen im Leistungsbereich bis fünf MW haben ihre Wurzeln im Biogasmarkt und sind Spezialisten für erneuerbare Gase. Deutsche Hersteller liefern ihre Anlagen rund um den Globus und konnten bereits eine Vielzahl von zu 100 Prozent mit Wasserstoff betriebenen KWK Anlagen auf mehreren Kontinenten installieren. Die Branche verfügt über Fertigungskapazitäten von sechs GW, die jährlich ans Netz gebracht werden könnten. Zudem können Anlagen, die heute noch mit Erdgas betrieben werden, jederzeit zu einem späteren Zeitpunkt für den Betrieb mit Wasserstoff umgerüstet werden – ein enormes Potenzial im Bestand ohne Lock-in Effekt. Dabei darf nicht unerwähnt bleiben, dass selbst eine mit Erdgas betriebene KWK-Anlage massiv CO2 Emissionen einspart, da sie Kohlestrom verdrängt.

Die Kernfrage, die sich somit stellt, lautet: Wie kann es gelingen, die massiven volkswirtschaftlichen Vorteile der dezentralen KWK in ein Marktmodell zu überführen, sodass Industrie, kommunale Versorger, Wohnungsbaugesellschaften et cetera in dezentrale Kraftwerkskapazitäten investieren? Die entstehende Kraftwerksstrategie der Bundesregierung sollte darauf eine Antwort parat haben.

Stefan Liesner ist unter anderem Vizepräsident des Bundesverbands Kraft-Wärme-Kopplung und Vorstandsmitglied des Bundesverbands Erneuerbare Energie. Hauptberuflich leitet er den Bereich Politik und Marketing des KWK-Anlagenherstellers 2G Energy.

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