Das Inkrafttreten des „Inflation Reduction Act“ (IRA) als das bislang bedeutendste Klimaschutzgesetz in der Geschichte der USA hat in Europa erst zögerlich die Aufmerksamkeit erhalten, die es verdient. Denn mit stattlichen 369 Milliarden US-Dollar unterstützt dieses Investitionsprogramm die heimische Produktion von Klimatechnologien: von Erneuerbaren Energien über Batterien bis hin zu Grünem Wasserstoff und Elektromobilität.
Das Programm wird als echter Meilenstein im Kampf gegen die globale Klimakrise gewertet und kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem Europas Wirtschaft nicht nur unter einer fossilen Energiekrise leidet, sondern auch mit massiven Lieferkettenproblemen und Materialkostensteigerungen zu kämpfen hat.
Der IRA kommt für Europa also zur Unzeit. Er hat das Potenzial, die USA zum „Global Player“ grüner Technologien zu machen und damit auch den sich rasant entwickelnden asiatischen Märkten die Stirn zu bieten. Findet Europa jetzt nicht schnell eine Antwort, droht nicht weniger als die Austrocknung des „European Green Deal“, der der europäischen Wirtschaftspolitik Zukunftsfähigkeit verleihen soll. Das Plädoyer von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für eine gemeinsame europäischen Antwort auf den IRA war deshalb überfällig.
Europa muss den globalen Anschluss finden. Allein in den Erneuerbaren-Branchen sind Hunderttausende Arbeitsplätze zurückzugewinnen. Bei der Transformation der Automobilwirtschaft sind verlorene Jahre aufzuholen. Die Skalierung der Batteriefertigung auf den Gigawattmaßstab benötigt große neue Produktionskapazitäten. Und auch der Markthochlauf von Sektorenkopplungstechnologien wie Elektrolyseuren für Grünen Wasserstoff ist voranzubringen und die Digitalisierung erheblich zu beschleunigen.
Keine Marktabschottung, aber robuste europäische Antwort
Für eine Zukunft des Standorts braucht es jetzt eine robuste Antwort auf den IRA, aber auch auf die Ambitionen asiatischer Staaten, von denen wir heute bei vielen Komponenten für Klimaschutztechnologien abhängig sind. Die Antwort muss pragmatisch und nach vorne gerichtet ausfallen, denn weder nutzt ein transatlantischer Handelskonflikt durch Marktabschottung noch ein einseitig auf Subventionen ausgelegter Wettbewerb.
Dennoch muss auch Europa Investitionsanreize für Produktionskapazitäten von Klimaschutztechnologien auf den Weg bringen. Der Klimaschutzsektor sollte als sicherheitsrelevant eingestuft werden. In Verhandlungen mit den amerikanischen Partnern sollten zudem Standards festgelegt und gegenseitig anerkannt sowie Ausnahmen von Local-Content-Bestimmungen für europäische Unternehmen eingeführt werden. Ein fairer Marktzugang auf beiden Seiten des Atlantiks muss gegeben sein.
Brüssel muss jetzt zügig bestehende Instrumente überarbeiten und stärken. Dies umfasst die Reform des Beihilferechts genauso wie neue strategische Investitionen und Regularien:
I. Spielräume im EU-Beihilferecht schaffen
Änderungen im Beihilferecht können verhindern, dass Investitionen in Drittstaaten abwandern. Der aktuelle Vorstoß der EU-Kommission für eine Ausweitung des „Temporären Krisen- und Übergangsrahmens“ weist in die richtige Richtung. Es gilt, beihilferechtliche Ausnahmen für strategische Investitionen in Erneuerbare Wertschöpfungssegmente zu definieren. Eine kurzfristige Überarbeitung der allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung, wie von der Kommission angekündigt, kann darüber hinaus zu mehr Flexibilität für staatliche Investitionen führen. So können Projekte schnell und ohne Notifizierung von Brüssel angestoßen werden.
Important Project of Common European Interest (IPCEI) sind ein zentrales Instrument des beihilferechtlichen Werkzeugkastens, um kritische Teile der Wertschöpfung anzusiedeln oder technische Innovationen in großem Maßstab zu finanzieren. Die Erfahrungen mit den IPCEI für Wasserstoff und Batterien zeigen, dass Genehmigungsverfahren entbürokratisiert und zeitlich deutlich verkürzt werden müssen. Bereits heute können Mitgliedsstaaten über sogenannte „non-price Kriterien“, z.B. „Front Runner“ oder Nachhaltigkeitsansätze, konkrete Produkte oder Technologien fördern.
Der von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigte „Net-Zero Industry Act“ sollte ebenfalls schnell konkretisiert werden, um Mitgliedsstaaten weitgehende Freiheiten bei der Ansiedlung von klima- und sicherheitsrelevanter Industrie zu gewähren.
II. Strategisch in EE-Produktion investieren
Es braucht aber auch neue Wege, um Investitionskapital in die Wertschöpfung zu hebeln. Auf der Ebene der Mitgliedsstaaten könnte eine Optimierung und Ausweitung der Förderkredite von KfW bzw. EIB schnell und ohne viel staatliches Zutun mehr Kapital mobilisieren.
Investitionen in als strategisch definierte Industriezweige sollten zusätzlich angereizt werden. Dafür sind Steuererleichterungen auf nationaler Ebene oder Zuschüsse zu laufenden Kosten ebenso zu prüfen wie staatliche Beteiligungsprogramme für Unternehmen, um für eine Übergangszeit schnell Eigenkapital für den raschen Aufbau der Produktion zu mobilisieren.
Auch kann die Einrichtung eines europäischen „Souveränitätsfonds“ zur Finanzierung von Industrieprojekten im Bereich der erneuerbaren Zukunftstechnologien ein geeignetes Instrument werden. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat diesen gerade in Davos vorgeschlagen.
Eine smarte Antwort auf den IRA beinhaltet auch die Betriebskostenförderung – etwa über steuerliche Instrumente – während der Hochlaufphase der Erneuerbare-Energien-Industrie. Gerade dieses Instrument ist es, was den IRA für Investoren so attraktiv macht und Unternehmen aus aller Welt in die USA lockt. Hierfür hatte sich jüngst auch die liberale EU-Wettbewerbskommissarin Margarete Vestager erstmals offen gezeigt.
III. Positiven regulatorischen Rahmen schaffen
Wichtigste Voraussetzung für einen Hochlauf der industriellen Wertschöpfungskapazitäten in Europa ist eine starke heimische Nachfrage. Das bedeutet: Ausbau, Ausbau und nochmals Ausbau. Damit das gelingt, sind Flächen bereitzustellen, Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, Förderprogramme auf den Bedarf auszurichten und Bürokratie zu beseitigen. Die Bundesregierung hat mit dem Osterpaket auf nationaler Ebene schon ambitionierte Ausbauziele beschlossen, jetzt muss sie durch eine 1:1-Umsetzung der in Kraft getretenen EU-Notfall-Verordnung den Ausbau der Erneuerbaren Energien weiter vorantreiben.
Mit einem Gesamtpaket für
Standort und Innovation lassen sich bestehende Abhängigkeiten in der
Energieversorgung reduzieren und Wachstumschancen heben. Gerade erneuerbare
Energien sind nach allen globalen Szenarien die Wachstumsmotoren des
Jahrhunderts und gehören deshalb über alle Wertschöpfungsstufen ins Zentrum
einer europäischen Industriestrategie gestellt. Im Ergebnis gewinnt Europa strategische
Souveränität zurück und positioniert sich für kommende Wachstumsmärkte neu.