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Energie & Klima

Standpunkte Ein dezentrales und flexibles Back-up für das Stromsystem

Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energie
Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energie Foto: BEE

Wie kann die fluktuierende Stromerzeugung aus Wind- und Solar sinnvoll ausgeglichen werden? Simone Peter, Präsidentin des BEE, plädiert in ihrem Standpunkt für ein flexibles Back-up aus dem dezentralen Erneuerbaren-Energien-Anlagenpark, grüner KWK, Speichern und Sektorkopplung. Ein fossiler Lock-in müsse angesichts der unsicheren Wasserstoffperspektiven dringend verhindert werden.

von Simone Peter

veröffentlicht am 25.04.2023

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Bei der Ausgestaltung des zukünftigen Stromsystems geht es darum, das bisher auf fossile Energieträger ausgerichtete System auf die Bedürfnisse der erneuerbaren Energien einzustellen – besonders auf hohe Mengen aus den fluktuierenden Quellen Sonne und Wind. Der für die Volkswirtschaft sehr positive Effekt der Marktpreissenkung („Merit Order Effekt“) durch die erneuerbaren Energien verursacht für diese andererseits stetig sinkende Erlöse am Strommarkt.

Eine schrumpfende wirtschaftliche Grundlage entzieht dem weiteren Ausbau erneuerbarer Energien damit die Grundlage. Deswegen sind künftig Anreize für eine flexible Bereitstellung von Strom auf der Angebots- und Nachfrageseite zu setzen und die wachsende Systemverantwortung von erneuerbaren Energien zu nutzen. Dafür müssen steuerbare Elemente auf der Erzeuger-, aber auch auf der Verbraucherseite ausgebaut und zudem Sektorenkopplungstechnologien, Speicher, Lastmanagement oder Netzinfrastruktur aufgebaut werden. 

Die von der neuen Bundesregierung gestartete „Plattform Klimaneutrales Stromsystem“ (PKNS), an der auch der BEE beteiligt ist, erarbeitet derzeit entsprechende Weichenstellungen. Auch die EU-Kommission will noch im April Vorschläge für eine Überarbeitung des Strommarktdesigns auf EU-Ebene vorlegen. Gleichzeitig hat die Bundesregierung das Ziel, mit ihrer „Kraftwerksstrategie“ den Kraftwerkspark so umzubauen, dass zusätzliche steuerbare Leistung zur Verfügung steht und plant derzeit unter anderem, thermische Kraftwerke mit Wasserstoffperspektive zu fördern.

Zentrale Strukturen passen nicht zum klimaneutralen System

Konkret sollen nach „Werkstattbericht“ des Bundeswirtschaftsministeriums vom März neue Instrumente für Wasserstoffkraftwerke im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ergänzt und bestehende Instrumente wie Biomethan-Ausschreibungen und das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz weiterentwickelt werden. Darüber hinaus sollen zusätzliche Gaskraftwerke bereitgestellt werden, die auf Wasserstoffbetrieb umstellbar sind.

Hier liegt das Problem. Denn zentrale Kraftwerksstrukturen passen nicht mehr zu einem dezentral angelegten klimaneutralen Stromsystem, in dem der Anteil erneuerbarer schnell wachsen wird.

Nicht nur, dass Gasgroßkraftwerke in Ermangelung grünen Wasserstoffs auf unbestimmte Zeit mit Erdgas betrieben werden, auch werden sie mit dem Ausbau der Erneuerbaren immer seltener gebraucht, sodass sich schnell die Frage der Wirtschaftlichkeit solcher fossilen Kapazitäten stellt. Auf der anderen Seite stehen dezentrale Back-up-Lösungen zur Verfügung, die bereits heute flexibel steuerbare Leistung bereitstellen können. Über 9000 Biogasanlagen, mehr als 7000 Wasserkraftwerke sowie Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, die zunehmend grün werden sollen, sind als breit verteilte Basis bereits verfügbar. Auch die Flexibilisierungspotenziale der Geothermie sollten genutzt werden. Der signifikante Anstieg der Aufsuchungsgenehmigungen lässt eine wachsende Stromproduktion mithilfe von Erdwärme erwarten.

Kraftwerksstrategie darf nicht schädliche Fakten schaffen

Speicher und kraftvolle Power-to-X-Turbinen kommen noch hinzu. Die Kraftwerksstrategie der Bundesregierung darf deshalb nicht aus der PKNS-Debatte herausgelöst werden. Schreibt man heute zentrale Kapazitäten aus, werden diese vielleicht schon in paar Jahren nicht mehr gebraucht, zumal solche Kraftwerke auch noch langjährige Genehmigungsverfahren durchlaufen.

Kraftwerke der 500-Megawatt-Klasse können auch zu neuen Systemproblemen führen: Aufgrund der zentralen Standorte wirken diese Großkraftwerke nur bedingt optimal auf ein Netzproblem und können somit zu größeren Redispatch-Mengen und höheren Kosten führen. Zum anderen ist das System vulnerabler aufgrund von Kraftwerksausfällen oder Lieferengpässen beim Inputstoff.

Aber auch aus Gründen des Klimaschutzes sind Gaskraftwerke kontraproduktiv, laufen sie doch zuerst mit fossilem Erdgas beziehungsweise mit blauem Wasserstoff, der aus Erdgas unter Abspaltung von CO2 produziert wird. Das Problem des blauen Wasserstoffs– neben ungeklärten Risiken bei der Speicherung des anfallenden CO2 – sind seine Vorkettenemissionen.

Mittels Carbon Capture and Storage (CCS) oder Utilization (CCU) lassen sich die entstehenden Emissionen zwar senken, doch 25 Prozent entstehen bereits, bevor das Erdgas die Wasserstoffanlage überhaupt. Was bleibt, sind Emissionen von 143 bis 218 Gramm CO2 je Kilowattstunde (kWh). Die Emissionen von grauem Wasserstoff liegen sogar bei durchschnittlich 300 Gramm CO2 pro kWh. Nur grüner Wasserstoff mit Emissionen von etwa 26 Gramm CO2/kWh ist daher annähernd klimaneutral. Ob und wann er in ausreichenden Mengen für die Stromversorgung zur Verfügung steht, vor allem da die Versorgung der Industrie mit grünen Molekülen oberste Priorität haben muss, steht allerdings noch in den Sternen. 

Klimafreundlich, bezahlbar und sicher sind dagegen die bereits vorhandenen erneuerbaren Anlagen, deren Leistungsvermögen der BEE schon vor zwei Jahren gemeinsam mit zwei Fraunhofer Instituten gezeigt hat. Künftig könnten allein Biogasanlagen bis zu 27 Gigawatt flexible Leistung bereitstellen, wobei nicht mehr Biomasse verstromt wird und verstärkt Rest- und Abfallstoffe zum Einsatz kommen sollen und der Anschluss an die Gasspeicher über das Gasnetz realisiert werden muss.

Unter Ausnutzung dieser regionalen Potenziale mit weiterem Speicheraufbau, Demand-Side-Management und der Kopplung der Sektoren in Verbindung mit der Entfesselung von Wind und Solar kann bis zur Mitte des Jahrhunderts vollständig auf den Einsatz zusätzlicher Wasserstoff-Gasturbinen verzichtet werden. Auch ohne Atomkraftwerke, deren Abschaltung reibungsfrei erfolgte, und mit einem Kohleausstieg bis 2030. 

Jetzt muss für die Vielzahl der regionalen Leistungsträger auf allen Ebenen im Rahmen der Strommarktdebatte optimale Bedingungen geschaffen und die Systematik auf die Bedürfnisse des dezentralen Systems ausgerichtet werden. Statt einer Kraftwerksstrategie sollte eine ganzheitliche Flexibilitätsstrategie im Rahmen der PKNS erarbeitet werden. Neue Ausschreibungen darf es erst am Ende der fachlichen Diskussionen geben, um teure Fehlallokationen, zu späten Klimaschutz und verschenkte Wertschöpfung zu vermeiden. Deutschland hat ausreichende heimische Potenziale für erneuerbare Energien, bleibt weiter Stromexporteur und reduziert zeitgleich die Abhängigkeit von Energieimporten.

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