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Energie & Klima

Standpunkte Ein fast dramatischer Schwenk für Sachsen

Martin Maslaton, Professor des Rechts der Erneuerbaren Energien
Martin Maslaton, Professor des Rechts der Erneuerbaren Energien

Der Koalitionsvertrag in Sachsen bedeutet ein echtes Umsteuern in der Energiepolitik, schreibt Fachanwalt Martin Maslaton in seinem Standpunkt. CDU, SPD und Grüne wollen sogar den Klimaschutz als Staatsziel in der Landesverfassung festschreiben. Und selbst die kohledominierte IHK fordert neue Flächen für die Erneuerbaren.

von Martin Maslaton

veröffentlicht am 07.01.2020

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Über Jahrzehnte konnte man Sachsen genüsslich als dicken, schwarzen Kohletanker karikieren. Die Staatskanzlei hatte offensichtlich an der tiefsten Stelle des Tagebaus Nochten fest gemacht: 40 Meter unter der Geländekante, wo der Horizont genau bis zur Grasnabe der Wiesen ging, die hier gerade weggebaggert wurden. Auch viele Universitäten und die Ständevertretung der Wirtschaft waren stramm auf Kohle gepolt. Energieunternehmen, Zulieferer und sonstige Profiteure des Kohleabbaus hielten die Erneuerbaren raus aus dem Freistaat. 

Zwar saßen große Solarproduzenten in Uni-Städten wie Freiberg und beschäftigten bis zu 1000 Mitarbeiter. Aber weder ist das Bundesland groß als Förderer der Solarenergie aufgefallen, noch ging der Ausbau rasant voran. Beim Vergleich des technischen Potenzials zum tatsächlichen Ausbau der PV belegt das Land einen schlechten Mittelplatz. Bei den Anstrengungen zur Nutzung Erneuerbarer Energie landet Sachsen sogar abgeschlagen auf dem letzten Rang – und erreicht gerade mal gut die Hälfte der Punkte des Saarlands als Vorletzten.  

Die Windkraft bietet ein noch größeres Trauerspiel. Sachsen hat sich immer und mit allen politischen Mitteln gegen Windenergieanlagen gewehrt, ein Ausbau der war nicht gewollt und fand praktisch auch nicht statt. Das schwingt bis heute nach: Auf der Website der Sächsischen Energieagentur Saena lautet die Schlagzeile nicht etwa „Chancen durch Erneuerbare“ sondern „Lärm durch Energieanlagen“. Der Sachse, einst der findungsreiche Weltunternehmer par excellence, hatte sich mental in der Kohlegrube verkrochen und darüber die nächste Generation sächsischer Unternehmen vergessen.

Wirtschaftskammer fordert mehr Erneuerbare 

Und jetzt? Man muss diese Geschichten vorausschicken, um die Veränderungen in Sachsen wirklich wertschätzen zu können. Da ist zunächst die IHK zu Leipzig. Die bekennt sich jetzt ausdrücklich zu den Klimazielen 2050 und drängt auf den Umbau des Steuer- und Abgabensystems zugunsten von Sektorkopplung und ganzheitlicher Energiewende. Darüber hinaus fordert sie in ihrem neuen Positionspapier den beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien durch die Ausweisung von Vorranggebieten für die Windenergie und durch vereinfachte Genehmigungsverfahren. Ein Punkt, mit dem der Wirtschaftsverband den Rahmen klimapolitischer Sonntagsreden wohltuend verlässt. 

Parallel hat die neue Regierungskoalition von CDU, SPD und Grünen in Dresden sich einen Koalitionsvertrag gegeben, der ein echtes Umsteuern bedeutet. Schon im Sommer 2020 soll ein Energie- und Klimaprogramm den Weg aufzeichnen, „dass der Freistaat Sachsen nach dem Ende der Braunkohlenutzung seinen Strombedarf bilanziell vollständig mit erneuerbaren Energien decken kann.“ Das wäre dann schon 2038

Das Energie- und Klimaprogramm soll sich an einem zusätzlichen Ausbau von zehn Terrawattstunden (TWh) Jahreserzeugung aus erneuerbaren Energien bis 2030 orientieren. Als Zwischenziel für 2024 sind vier TWh vereinbart, von denen der Hauptteil durch Windenergie gewonnen werden soll. Für Sachsen ist das ein fast schon dramatischer Schwenk, mit dem das Land seine persönliche Stein- und Kohlezeit hoffentlich hinter sich lässt und vom Nachbarland Thüringen lernen will. 

In einem Punkt will die neue sächsische Regierung sogar Vorreiter werden: „Wir wollen den Klimaschutz als Staatsziel in der Sächsischen Verfassung verankern“, heißt es einleitend im Energie- und Klimakapitel des Vertrags. Das hätte mehr als nur symbolischen Character: Gerade bei den Verfahren rund um die Genehmigung von Windparks nehmen Gerichte die Abwägung von Schutzgütern untereinander vor.

Es geht beispielsweise um Artenschutz, Naturschutz, den Schutz der Anwohner und die Rechte des Luftverkehrs. Die Staatszielbestimmung „Klimaschutz“ würde die Auslegung von Gesetzen und die Ermessensausübung von Gerichten und Behörden unmittelbar beeinflussen. Im Alltag würden mehr Abwägungen zugunsten der „Energiewende-Techniken“ wie Windkraft und Solarenergie ausfallen.

Natürlich wissen wir auch schon aus den heutigen Länderverfassungen und dem Grundgesetz: Staatszielbestimmungen können in ihrer Wirkung immer nur so durchschlagend sein, wie die gesellschaftliche Kraft dahinter. Aber in Sachsen scheinen sich die gesellschaftlichen Kräfte gerade neu aufzustellen. Endlich mal gute Energiewende-Nachrichten aus dem Land zwischen Dresden und Leipzig.

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