Das Problem mit dem Alarmismus ist, dass er bei den Menschen eher dazu führt, weg- statt hinzuhören. Das Problem mit der Klimakrise ist, dass die Fakten mittlerweile Alarmismus schreien. Nur: Schönreden ist keine gute Alternative – vor allem keine, die guten Gewissens noch möglich wäre. Stattdessen versuchen wir es mit den Lösungen. Ja, die Probleme sind gewaltig: Aber wir wissen auch, wie wir sie bewältigen können.
Auf diese Weise sollten wir den neuesten Sonderbericht des Weltklimarats betrachten. In beispielloser Zusammenarbeit haben darin renommierte Wissenschaftler*innen aus aller Welt die neuesten Erkenntnisse zum Zusammenspiel von Klimakrise und Landnutzung zusammengetragen. Und ja, auch hier schreien die Ergebnisse Alarmismus. Unsere Art, unser Land zu nutzen, treibt die Klimakrise an – während die Klimakrise wiederum landwirtschaftliche Produktion gefährdet und dafür sorgt, dass ganze Landstriche veröden. Unser globales Ernährungssystem ist für rund ein Viertel der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Gleichzeitig gefährdet die Erderhitzung die Ernährungssicherheit von Millionen Menschen.
Unser Konsum erfordert unendlich viele Rohstoffe
Der Alarmismus der Fakten aber rechtfertigt keinen Fatalismus bei uns, den Verantwortlichen für diese Negativspirale. Denn wir sind ihr nicht hilflos ausgesetzt, sondern können sie aufhalten. Einzige Voraussetzung: Aus der Untätigkeit ins Handeln kommen und endlich etwas ändern.
Da wäre etwa die Änderung unseres Konsumverhaltens. Jedes Jahr das neueste Smartphone, jede Saison die neueste Kleidung: All das erfordert Rohstoffe. Rohstoffe, die in anderen Regionen der Welt gewonnen werden müssen, deren An- und Abbau Land frisst. Besonders gefragter Rohstoff: Lebensmittel. Unsere Ernährungsweise in Deutschland frisst Land. Fünf Millionen Hektar nehmen wir dafür im Ausland in Anspruch, die Hälfte davon in Südamerika.
Besonders schwer wiegt dabei der Fleischkonsum, denn tierische Produkte gehen mit einem besonders hohen Ressourcenverbrauch einher. Rinder brauchen Weidefläche, Schweine und Geflügel brauchen Futter, unter anderem Soja, das wiederum auf Plantagen vor allem in Südamerika angebaut wird. Der Platz dafür steht häufig nicht einfach für die landwirtschaftliche Nutzung zur Verfügung, er muss erst geschaffen werden, indem etwa Grasland umgewandelt oder Regenwälder gerodet werden.
Die Landwirtschaft verursacht derzeit bis zu 80 Prozent des weltweiten Waldverlusts. Setzt sich der Trend weiter fort, sind bis 2030 voraussichtlich weitere 170 Millionen Hektar Waldfläche zerstört. Das entspricht beinahe der fünffachen Fläche Deutschlands. Insbesondere der Anbau von Soja, Palmöl, Kautschuk, Kakao sowie die Rinderhaltung heizen die Rodungen weltweit an. Damit schmelzen nicht nur wichtige CO2-Senken, was die Klimakrise weiter verschärft. Es verschwinden auch wertvolle Hotspots der biologischen Vielfalt.
Keine Waren, für die Wald vernichtet wurde
Entlang der gesamten Kette, die für unsere Lebensmittelproduktion nötig ist, entstehen so Millionen Tonnen Treibhausgasemissionen, ein Großteil davon geht auf das Konto tierischer Produkte.
Die Lösung ist so einfach wie schwierig für viele Menschen: eine Umstellung der Ernährung unter anderem mit weniger Fleisch, mehr regionalen und nachhaltig produzierten Produkten, weniger Fertigware, in der sehr viel Palmöl steckt. Das spart nicht nur Fläche und Emissionen, sondern ist auch gesünder. Hier sind natürlich die Verbraucher*innen gefragt: Würde jeder Mensch in Deutschland zum Beispiel einmal pro Woche auf Fleisch verzichten, könnte das zu einer jährlichen Einsparung von rund neun Millionen Tonnen Treibhausgas-Emissionen führen. Aber ganz besonders ist auch die Politik gefragt. Dringend geboten ist unter anderem ein EU-weiter Importstopp für Waren und Agrarrohstoffe, für deren Herstellung Wald vernichtet wurde.
Die zweite Lösung schließt gleich an: Eine erhebliche Menge an Lebensmitteln landet nämlich nicht im Bauch, sondern im Müll. In Deutschland gehen so pro Jahr mehr als 18 Millionen Tonnen Nahrungsmittel verloren. Davon wären zehn Millionen Tonnen vermeidbar. Würden wir die vermeidbaren Mengen genießen statt sie wegzuwerfen, könnten Treibhausgasemissionen in Höhe von 48 Millionen Tonnen eingespart werden. Das ist rund doppelt so viel wie das Braunkohlekraftwerk Jänschwalde in Brandenburg jedes Jahr ausstößt.
Auch hier sind Veränderungen auf zwei Ebenen nötig: Zuhause und vor dem Supermarktregal genauso wie von Seiten der Regierung und der Wirtschaft. Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, die Lebensmittelverluste bis 2030 zu halbieren und eine entsprechende nationale Strategie veröffentlicht. Nun gilt es zu prüfen, ob die Strategie genügend Wirkung entfaltet und es schafft, Lebensmittelverluste systematisch und im engen Schulterschluss mit der Wirtschaft vom Acker bis zum Teller messbar zu reduzieren.
Weg vom Individualverkehr
Für eine weitere und eine der wichtigsten Lösungen müssen
wir über den Tellerrand schauen und nicht nur die Landnutzung per se
betrachten, sondern das System als solches, denn immerhin ist auch das Problem
systemisch statt lokal. Die Klimakrise und damit die extremen Folgen für die
Landnutzung können wir nur aufhalten, wenn wir den Ausstoß von Treibhausgasen
überall drastisch verringern, nicht nur in der Landwirtschaft.
Die Art und Weise, wie wir momentan unsere Energie gewinnen, ist nicht zukunftsfähig. Wir müssen weg von fossilen hin zu erneuerbaren Energien. Und wir müssen weg von einer Mobilität, die auf den Individualverkehr mitsamt Verbrennungsmotor setzt, hin zu einer Stärkung öffentlicher Verkehrsmittel und klimafreundlicher Antriebsweisen. Ohne speziell auch den Energiesektor in den Blick zu nehmen, bleibt der Blick auf die Lösungen für Probleme von der zunehmenden Wüstenbildung bis hin zum Auftauen des Permafrostbodens getrübt.
Denn das macht der IPCC-Bericht ganz deutlich: CO2-Senken bewahren und über Wiederaufforstung wiederaufbauen, wird nur dann zum Erfolg führen, wenn wir gleichzeitig den CO2-Ausstoß drastisch verringern. Auf diesen beiden Wegen müssen wir die Potenziale voll ausschöpfen, um die Klimakrise zu stoppen. Und so liest sich der IPCC-Bericht auch für die Bundesregierung wie eine erneute Mahnung, so schnell wie möglich – das heißt noch in diesem Jahr – ein Paket an Klimaschutzgesetzen und -maßnahmen auf den Weg zu bringen, statt noch länger zu zögern.
Zum Autor: Rolf Sommer leitet den Fachbereich Landwirtschaft und Landnutzungswandel beim WWF Deutschland und war mitwirkender Autor beim zweiten Kapitel des IPCC-Sonderberichts (Land-Climate Interactions).