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Energie & Klima

Standpunkte Emissionshandel droht mit Kohlenstoffzertifikaten auf Sand zu bauen

Nils Meyer-Ohlendorf, Ecologic Institute
Nils Meyer-Ohlendorf, Ecologic Institute

Die Diskussion um die Zertifizierung von Kohlenstoffentnahme mutet technisch an, sie ist aber eine der zentralen Debatten der EU-Klimapolitik. Sie soll vor allem der Integration von CO2 Entnahme in den Emissionshandel den Weg ebnen. Damit droht die EU ihr wichtigstes klimapolitisches Instrument auf Sand zu bauen, schreibt Nils Meyer-Ohlendorf vom Ecologic Institute in seinem Standpunkt. Er macht Vorschläge, um dieses Risiko abzuschwächen.

von Nils Meyer-Ohlendorf

veröffentlicht am 30.05.2023

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Reduktionen von fossilen Emissionen können grundsätzlich nicht durch CO2-Entnahme ersetzt werden. Dies ist ein Grundprinzip der EU-Klimapolitik. Denn CO2-Entnahme ist im Vergleich zu Emissionsreduktionen eine inhärent schwächere Form des Klimaschutzes.

Es macht einen großen Unterschied für den Klimaschutz, ob Kohlenstoff in Biomasse oder in Produkten vorübergehend geparkt oder ewig in Kohle, Öl oder Gas im Boden gespeichert ist. Technische Entnahmeoptionen mit Speicherung in geologischen Formationen versprechen, das Problem kurzfristiger Speicherung zu lösen, aber auch sie sind eine schwächere Form des Klimaschutzes. Ihre Leckage-Risiken sind klein, aber nicht null.

Direct Air Carbon Capture and Storage (DACCS) verbraucht große Mengen erneuerbarer Energien, die gebraucht werden, um Verkehr, Gebäude oder Industrie zu dekarbonisieren. Bioenergie mit Carbon Capture and Storage (BECCS) – eine andere technische Senke – ist wegen ihrer vielen negativen Auswirkungen auf Ökosysteme keine ernsthafte Option für Klimaschutz.

Dieses grundlegende Prinzip der EU-Klimapolitik ist nun bedroht. Der Vorschlag der Kommission für einen Zertifizierungsrahmen zur CO2-Entnahme  stellt es in Frage. Es ist die strategische Stoßrichtung dieses Vorschlages, Entnahmezertifikate zu einer Währung im EU-Emissionshandel (ETS) zu machen. Es gibt deutliche Signale aus der Kommission, Entnahme-Zertifikate grundsätzlich in den ETS zu integrieren. Die revidierte Emissionshandelsrichtlinie verlangt, dass die Kommission bis zum 31. Juli 2026 einen Bericht zur Integration von CO2-Entnahme in den ETS vorlegt.

Temporäre Speicherung nach dem Modell von Sisyphos

In der Wissenschaft werden diese Ideen intensiv diskutiert. Auch wenn der Zertifizierungsrahmen allein nicht zur Integration von Entnahme-Zertifikate in den Emissionshandel führt, so ist er doch seine Voraussetzung. Ohne Zertifizierung kraft EU-Recht ist es schwer vorstellbar, dass Entnahmezertifikate in den ETS integriert werden.

Wegen der inhärenten Unterschiede von Reduktionen und Entnahmen ist ihre Vermischung bereits an sich problematisch.  Erschwerend kommt aber hinzu, dass der von der Kommission vorgeschlagene Zertifizierungsrahmen keine Rechtspflicht setzt, nur CO2-Entnahmen mit dauerhafter Speicherung zu zertifizieren. Es sollen auch Entnahmen zertifiziert werden, die Kohlenstoff nur kurzfristig in Biomasse und Produkten parken. Dies ist klimapolitisch sehr problematisch. Denn wegen der sehr langen Verweildauer von CO2 in der Atmosphäre übersteigt nach dem Ende der temporären Speicherung die Menge von emittiertem CO2 die Menge von entnommenem CO2. Die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre nimmt weiter zu. 

Dieses Problem temporärer Speicherung ist teilweise erkannt. Eine Kette von ständigen Entnahmeaktivitäten wäre eine Option, um es zu lösen. In diesem Model würden abgelaufene Entnahmezertifikate fortlaufend erneuert werden – und zwar für die Zeit, die emittiertes CO2 in der Atmosphäre verweilt – also für 1000 Jahre und mehr. Es stellt sich also ein Ewigkeitsproblem ähnlich der nuklearen Endlagerung. Wie bei Sisyphos müsste fortlaufend ein Kohlenstofffelsen den Berg hochgerollt werden, schreibt ein Team um Ottmar Edenhofer. Eine Kohlenstoffbank oder andere staatliche Stellen könnten diese Sisyphos-Aufgabe stemmen.

Klimawandel reduziert Speicherungskapazitäten von Ökosystemen

Im Gegensatz zur Endlagerung von nuklearem Abfall erfordert die Erneuerung von Entnahmezertifikaten aber das aktive Management eines komplexen und dynamischen Systems. Es ist unsicher, wie sich natürliche Senken in den nächsten 1000 Jahren entwickeln werden. Die Aussichten sind allerdings düster. Der Klimawandel reduziert die Kohlenstoffspeicherungskapazitäten von Ökosystemen erheblich, wie der Weltklimarat IPCC in seinem kürzlich erschienenen Synthesebericht noch einmal deutlich macht. Höhere Temperaturen, Dürren, Waldbrände und Insektenbefall machen Wälder anfällig für Kohlenstoffverlust.

Mit voranschreitendem Klimawandel sind natürliche Senken also mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht mehr Verbündeter, sondern Gegner im Kampf gegen den Klimawandel. Um im Bild von Sisyphos zu bleiben: Im Gegensatz zum antiken Sisyphos muss der moderne Klima-Sisyphos nicht immer denselben Felsen den Berg hochrollen, sondern einen Felsen, der mit der Zeit wächst. Wenn Kipppunkte erreicht werden, wird das Wachstum sogar selbstverstärkend. Der moderne Kohlenstofffelsen wird unbeherrschbar und gefährlich.

Die Integration von Entnahmen in den ETS ist also eine riskante Wette. Sie baut den ETS  das zentrale Instrument der EU Klimapolitik  auf Sand. Der Emissionshandel Kaliforniens illustriert, wie riskant die Integration von Zertifikaten aus Waldprojekten in ein solches System ist. Im kalifornischen Emissionshandel wird ein Abschlag von Waldzertifikaten als Sicherheit in einer Reserve zurückgehalten, aber mit der heftiger werdenden Waldbrandsaison Kaliforniens geht diese Versicherung buchstäblich in Rauch auf.

Menge der Entnahmen sollte anfangs gedeckelt werden

Um nicht auf Sand zu bauen, sollte die Integration von CO2-Entnahmen in den ETS mit Vorsicht diskutiert werden. Es müssen engmaschige Sicherheitsnetze eingezogen werden. Entnahmezertifikate können nur eine Währung im ETS werden, wenn sie Kohlenstoff genauso lange speichern, wie er in der Atmosphäre verbleibt. Dies entspricht dem grundlegenden Zweck von Kohlenstoffentnahme – die Erwärmungseffekte von Emissionen verlässlich zu neutralisieren.

Außerdem sollten Beiträge von Kohlenstoffentnahme zur Erfüllung von Reduktionspflichten gedeckelt werden. Ähnlich dem Emissionshandel Kaliforniens darf nur eine bestimmte Maximalmenge von Entnahmen für die Erfüllung der Verpflichtungen aus dem ETS angerechnet werden. Dieser Deckel sollte sich an einer konservativen Abschätzung der verfügbaren Entnahmekapazitäten orientieren. Da nur technische Senken wie etwa DACCS wirklich dauerhaft Kohlenstoff speichern können, aber derzeit nur in sehr geringem Mengen verfügbar sind, wird dieser Deckel anfangs sehr niedrig sein. Mit technologischer Innovation kann er größer werden.

Mit Blick auf die kommende Diskussion des 2040-Klimaziels der EU und den anstehenden Endspurt Richtung Klimaneutralität darf die EU die Weichen nicht in die falsche Richtung stellen. Sie muss CO2-Entnahmen als das behandeln, was sie sind: ein derzeit kleines Instrument, das Emissionsreduktionen ergänzt, aber kein Klima-Notanker.

Hierfür ist es wichtig, dass die strategischen Funktionen von Entnahme mit mehr Offenheit diskutiert werden. Die Kommission sollte deutlich sagen, wofür Entnahmezertifikate verwendet werden sollen und wofür nicht. Derzeit bemüht sie sich, diese zentrale Frage in technischen Detaildiskussionen zu verstecken. Damit wird sie der großen politischen Bedeutung des Dossiers nicht gerecht.

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