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Energie & Klima

Standpunkte Energiepolitik braucht gute Szenarien

Wolfram Axthelm, Geschäftsführer des Bundesverbands Erneuerbare Energie
Wolfram Axthelm, Geschäftsführer des Bundesverbands Erneuerbare Energie

Vergangene Woche diskutierten in Berlin Fachleute über den „Szenariorahmen Strom 2021-2035“ der Übertragungsnetzbetreiber. Wolfram Axthelm, der Geschäftsführer des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE), warnt angesichts von Restriktionen für erneuerbare Energien vor „planwirtschaftlicher Übersteuerung“.

von Wolfram Axthelm

veröffentlicht am 10.02.2020

aktualisiert am 20.01.2023

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Aktuell findet die Debatte zum Entwurf der Übertragungsnetzbetreiber für den Szenariorahmen Strom 2021-2035 statt. Es ist unerlässlich, dass sich in die durch die Bundesnetzagentur organisierte Expertendiskussion alle relevanten Gruppen einbringen. Im Zusammenspiel von Politik, Verbänden, Industrie und NGOs kann so ein solides Bild der wahrscheinlichen Entwicklung der Energiewelt bis zum Jahr 2035 entstehen.

Gute Szenarien bilden die Grundlage für gute energie- und klimapolitische Weichenstellungen. Sie gewährleisten, dass die Netzentwicklung den nötigen Handlungsspielraum enthält, um durch ambitionierten Ausbau von erneuerbaren Energien und zügige Erfolge bei der Sektorenkopplung das Nachsteuern bei Treibhausgasminderungsmaßnahmen in allen Sektoren abzusichern. Der Entwurf der Übertragungsnetzbetreiber bietet hierzu eine wichtige Diskussionsgrundlage.

Auf dem Weg in die Treibhausgasneutralität“ lautete der Titel der Eingangspräsentation der Übertragungsnetzbetreiber auf den Dialogveranstaltungen der Bundesnetzagentur zum Szenariorahmen. Dieser Weg hat Konsequenzen. Der Stromsektor muss noch schneller die Treibhausgasemissionen mindern, um über Sektorenkopplung die Anforderungen aus dem Klimaschutzgesetz zu stemmen. Daher sind ehrliche Annahmen zum Stromverbrauch ebenso unumgänglich wie ein massiver Ausbau der erneuerbaren Energien. Es ist jetzt die Zeit, dies klar zu sagen.

Bitte ehrliche Szenarien

Der BEE hatte schon im Jahr 2009 mit einem Szenario einen Blick auf die Energiewelt des Jahres 2020 geworfen. Obwohl dabei vor über zehn Jahren der Zubau von Photovoltaik überschätzt und der von Offshore unterschätzt wurde, wurden zwei Kenngrößen zielgenau getroffen: Der Bruttostromverbrauch von 595 Terawattstunden (TWh) und der Anteil erneuerbarer Energien von 47 Prozent, der zum Ende dieses Jahrs realistisch ist. Vergangenes Jahr hat der BEE sein Szenario 2030 aktualisiert. Zwei Stellgrößen sind wieder klar benannt: Ein auf 740 TWh steigender Bruttostromverbrauch bei einem EE-Anteil von 65 Prozent. Damit wird unterstrichen, dass das Klimaschutzgesetz ernst genommen wird, welches Treibhausgasminderung in allen Sektoren und damit Sektorenkopplung erfordert.

Dies geht – trotz Erfolgen bei der Energieeffizienz – mit einem steigenden Bruttostromverbrauch einher, den ehrliche Szenarien abbilden müssen. In der Folge müssen die Zubauzahlen für erneuerbare Energien entsprechend ausgerichtet werden: Unserer Ansicht nach pro Jahr 10 Gigawatt (GW) Photovoltaik, 4,7 GW Windkraft an Land und 1,2 GW Windkraft auf dem Meer, sowie jährlich zusätzliche 0,6 GW Biomassekapazität. Das ist keine einfache, aber eine leistbare Aufgabe. Der vorliegende Entwurf des Szenariorahmens Strom 2021-2035 kann dies noch nicht leisten, aber die Richtung stimmt. 

Neu definiert der Entwurf des Szenariorahmens, dass sich die Szenarien künftig zwischen den Dimensionen Sektorenkopplung/Elektrifizierung und Netzorientierung einordnen sollen. Mit steigendem Elektrifizierungsgrad nimmt dem Vorschlag nach auch die Netzorientierung zu. Bisher wurde zwischen dem Status quo und innovativeren Pfaden unterschieden. Dieser Ansatz scheint dem Grundsatz nach plausibel, da eine höhere Sektorenkopplung nicht nur zur Treibhausgasminderung positiv beiträgt, sondern auch hinsichtlich der Wirkung auf das Netz neue Freiheitsgrade schaffen kann.

All-electric-Idee schimmert durch

Wir haben allerdings Bedenken, ob die Netzorientierung der Szenarien an den richtigen Stellschrauben ansetzt. Genutzt werden sollen in erster Linie kleinteilige Restriktionen – unter anderem eine mehr oder weniger harte Deckelung der Windenergie an Land in nördlichen Bundesländern sowie eine abnehmende Geschwindigkeit des Zubaus von PV-Freiflächenanlagen. Beide Ansätze sind eine planwirtschaftliche Übersteuerung, die die Welt des Jahres 2035 nicht abbilden kann, weil Innovationen, wie die Kopplung von Erzeugungsanlagen mit Sektorenkopplungsanwendungen und Speichern ausgeblendet bleiben. Hier schimmert die eigentlich überwundene Idee einer All-electric Welt noch einmal auf.

Klimaschutz ist nicht mehr nur eine Notwendigkeit, Klimaschutz ist nun auch Gesetz geworden. Das ist mehr als eine Handlungsempfehlung. Da das Klimaschutzpaket der Bunderegierung unserer Ansicht nach die Treibhausgasminderung in allen Sektoren noch nicht erreichen wird, ist es sinnvoll, in den heute diskutierten Szenarien für die Netzentwicklung diese nötige Nachsteuerung mit zu beachten. Letztlich ist diese durch das Klimaschutzgesetz vorgesehen, sofern die Sektorenziele nicht erreicht werden.

Daher ist es zum Beispiel völlig richtig, wenn die Übertragungsnetzbetreiber in zwei von drei Szenarien im Jahr 2035 weder Braun- noch Steinkohle am regulären Energiemarkt sehen. Auch den ansteigenden Stromverbrauch aufgrund der Sektorenkopplung sehen die Übertragungsnetzbetreiber vor, beispielsweise 729 TWh im neuen C2035-Szenario. Auch der BEE erwartet eine solche Größenordnung, nur ein paar Jahre früher. Es bleibt dabei: Die Erneuerbare-Energien-Branche kann günstig und schnell liefern, wenn man sie lässt. Die Möglichkeiten dafür sichert der neue Szenariorahmen Strom, wenn der Markt genügend Raum behält und auf planwirtschaftliche Mikrosteuerung verzichtet wird.

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