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Energie & Klima

Standpunkte Energiesicherheit durch Kernfusion ist eine Illusion

Ernst Ulrich von Weizsäcker, Physiker und Umweltwissenschaftler
Ernst Ulrich von Weizsäcker, Physiker und Umweltwissenschaftler Foto: privat

Die Fusionsenergie wird die Hoffnungen, die viele in sie setzen, nicht erfüllen, schreibt der Physiker Ernst Ulrich von Weizsäcker in seinem Standpunkt. Selbst wenn die technischen Probleme gelöst würden, könnte ein Fusionsreaktor ökonomisch vermutlich nicht gegen erneuerbare Energien bestehen.

von Ernst Ulrich von Weizsäcker

veröffentlicht am 07.08.2020

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Am 28. Juli war Startschuss für die Montage des Fusionstestreaktors ITER in Cadarache in Südfrankreich. Mit Recht war Präsident Macron und waren wir stolz und politisch dankbar, dass die beteiligten Nationen – China, Indien, Japan, Südkorea, Russland, die USA sowie Europa –  hier friedlich zusammenzuarbeiten. Feiern darf man auch den Mut der Forscher, wirklich Neuland zu erkunden. Es ist echtes Neuland, auf der Erde die physikalischen Prozesse, die auf der Sonne ablaufen, im Kleinformat nachzubauen. 

Das Motiv von ITER ist aber nicht die Grundlagenforschung, sondern die Idee, mit der Fusionsenergie die Weltenergieversorgung für künftige Jahrtausende zu sichern. Dieses halte ich für eine technische und ökonomische Illusion. Und die ökologische Seite halte ich für brisant.  

Kein Stromkonzern investiert eigenes Geld in die Technologie

Seit etwa 70 Jahren mutmaßen die Vertreter der Fusionsenergie, es werde wohl noch 30 Jahre dauern, bis man damit echt Strom produzieren kann. Aber die Zeitspanne von 30 Jahren ist seither schon zweimal abgelaufen, und heute ist man dem Ziel zeitlich noch nicht nähergekommen. Im Übrigen kenne ich keinen Stromkonzern, der in die Fusionsenergie eigenes Geld investiert. 

Und die Umwelt? In der Werbung heißt es doch, die Fusionsenergie sei „sauberer Atomstrom“, weil der Brennstoff Wasserstoff sei und nicht Uran, Plutonium oder Thorium.

Wer so redet, will die Assoziation mit dem heute ja fast heiliggesprochenen Wasserstoff wecken. In Wirklichkeit geht es aber bei der Fusionsenergie um Deuterium, das erst einmal mit viel Energieaufwand herzustellen ist, und vor allem um Tritium, also radioaktiven Wasserstoff! Es sollen jeweils ein Deuterium- und ein Tritiumkern zu einem Heliumkern verschmelzen.

Dabei wird eine fabelhafte Energiemenge frei. Die sitzt zu etwa achtzig Prozent in schnellen Neutronen, die bei der Verschmelzung frei werden. Die Energie der Myriaden so freigesetzter Neutronen kann die extrem hohe Temperatur von einer Million Grad aufrechterhalten, vorausgesetzt, dass genügend Heliumatome erzeugt werden. Jedoch können die Neutronen bekanntlich praktisch jede Wand durcheilen. Irgendwann treffen sie auf ihrem Flug auf Atomkerne im Außenbereich des Reaktors und vereinigen sich dort zu neuen Isotopen, die sehr wohl radioaktiv sein können.  

Aber wie entsteht das Tritium? Es entsteht erst in einem Außenmantel des inneren Magnetkäfigrings mit dem Millionen Grad heißen Plasma. Das Plasma ist ein Zustand, wo die Atome ionisiert sind und die atomaren Kernkräfte die Kräfte der elektrischen Abstoßung überwiegen. Die Atome im Magnetkäfig machen zahllose Kollisionen. Jedoch verlassen die dabei ebenfalls freiwerdenden Neutronen den „Käfig“ und sausen erst mal in den äußeren lithiumhaltigen Mantel. Dort treffen sie öfter auf Lithiumatome und verwandeln diese in Tritium. Aber sehr viele durchstoßen auch den Mantel und erzeugen in der Umgebung des Fusionsreaktors eine deutliche Steigerung der Radioaktivität. Und auch das Tritium hat die Tendenz, ins Freie zu gelangen und bedeutet dann zusätzliche Radioaktivität.

Unerfreulich ist auch die Denkmöglichkeit, dass die Neutronen sowie das Tritium waffentaugliche Spaltprodukte herstellen könnten. Tritium gilt als möglicher Stoff für fortgeschrittene Atomwaffenprogramme.  

Die konkurrierende Alternative sind Wind- und Sonnenenergie

Ich halte es für theoretisch machbar, einen Fusionsreaktor so zu konstruieren, dass er tatsächlich Energie abliefert, dass die ungewünschte Radioaktivität in erträglichen Grenzen bleibt und dass der Missbrauch zur Waffenherstellung kontrolliert und unterbunden werden kann. Aber damit ist die ökonomische und ökologische Sinnhaftigkeit noch nicht erreicht. Erst mal: der „Erntefaktor“ (das Verhältnis der nutzbaren Energie zur vorher investierten Energie) könnte jämmerlich gering sein, jedenfalls viel kleiner als 30, – der typische Erntefaktor von Windenergie.

Und dann die konkurrierende Alternative: Zwanzig Jahre nach dem deutschen EEG kostet die Kilowattstunde Solarenergie in sonnenreichen Weltregionen weniger als fünf Eurocent und bei jüngsten Auktionen weniger als zwei Cent. Deutschland hat diese Dynamik der Welt geschenkt. Um aber mit dem Fusionsreaktor auf ähnliche Werte herunterzukommen, müsste die auf den ITER folgende Technologie absolut sensationelle ökonomische Ergebnisse erreichen, die ich mir heute nicht vorstellen kann. 

Wohlstand mit der Hälfte des heutigen Energieverbrauchs ist machbar

Schließlich ist in der ganzen Energiediskussion das Thema der Energieeffizienz immer noch im Schlafzustand. Meinen Studenten rechne ich gerne vor, dass man unter physikalisch idealen Bedingungen bloß eine Viertelkilowattstunde benötigen würde, um ein Zehn-Kilo-Gewicht von der Meeresspiegelhöhe auf den Gipfel des Mount Everest zu heben. Denn eine Kilowattstunde sind 3,6 Millionen Wattsekunden, und eine Wattsekunde ist ein Newtonmeter oder ein Joule. Damit kann man ein Kilo Gewicht ca. zehn Zentimeter gegen die Erdanziehung hochheben; mit 900.000 Wattsekunden also zehn Kilo Gewicht etwa 9000 Meter hoch.

Daraus abgeleitet kann ich mir physikalisch-technisch eine Welt sehr hohen Wohlstands mit der Hälfte der heutigen Weltenergieerzeugung vorstellen. Und diese Hälfte lässt sich vollständig mit ökologisch benignen erneuerbaren Energien (also nicht Palmöl- oder Maisplantagen!) herstellen.

Wozu dann noch das teure und riskante Fusionsprojekt? Na schön: für die Grundlagenforschung!

Ernst Ulrich von Weizsäcker war Direktor des UN-Zentrum für Wissenschaft und Technologie in New York, Direktor des Instituts für Europäische Umweltpolitik und Präsident des Wuppertal Instituts. Heute ist er Honorarprofessor an der Universität Freiburg und freiberuflich tätig.

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