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Energie & Klima

Standpunkte Energiesicherheit und Energiewende müssen Hand in Hand gehen

Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe
Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe Foto: DUH/Heidi Scherm

Tschechien hat vergangene Woche die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, und Jan Philipp Albrecht, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, formulieren Empfehlungen dafür. Sie argumentieren, die europäische Antwort auf die Gasversorgungskrise müsse eine beschleunigte Energiewende sein. Neue Investitionen sollten grundsätzlich so ausgerichtet werden, dass sie die Klimaziele unterstützen und ihrem Erreichen nicht im Wege stehen.

von Sascha Müller-Kraenner

veröffentlicht am 06.07.2022

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Die EU macht sich Sorgen um ihre Energieversorgung – und das zu Recht. Vor allem die Gaspreise haben noch nie gesehene Höhen erreicht, was besonders ärmere Haushalte stark belastet. Auch die energieintensive Industrie muss massive Einschnitte befürchten. Immer mehr EU-Mitgliedstaaten werden überhaupt nicht mehr mit russischem Gas beliefert. Dass diese Lage auch Veränderungen der Energie- und Klimapolitik nach sich ziehen muss, ist klar.

Unter der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft stehen nun wichtige Weichenstellungen an, um die Energieversorgung der EU zu sichern und so schnell wie möglich unabhängig von russischen Öl- und Gaslieferungen zu werden. Das REPowerEU-Paket der Europäischen Kommission, das eine Welle neuer Energieinfrastrukturprojekte vorsieht, insbesondere von LNG-Terminals zum Gasimport, soll in der zweiten Jahreshälfte verhandelt werden. Ebenso das Gaspaket, das den Markthochlauf von Biomethan und grünem Wasserstoff regeln soll, sowie die Energieeffizienz- und die Gebäuderichtlinie, die einen wichtigen Beitrag zur Reduktion des Gasverbrauchs im Gebäudesektor und der Industrie leisten können.

Entscheidend hierbei wird es sein, eine Verlängerung der Abhängigkeit von fossilen Gasen zu verhindern und damit das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels weiterhin möglich zu halten. Zu dieser Erkenntnis kommt auch ein neuer Bericht zur zukünftigen Rolle von (fossilem) Gas in Europa, den die Heinrich-Böll-Stiftung und die Deutsche Umwelthilfe auf Basis der Diskussionen eines eigens einberufenen Expert:innengremiums erstellt haben.

Falsche Gewichtung durch tschechische Ratspräsidentschaft

Energiesicherheit ist entscheidend, darf aber nicht gegen den Klimaschutz ausgespielt werden. Das Programm der tschechischen Ratspräsidentschaft stellt die Energiesicherheit explizit über die Bedeutung der Energiewende. Das ist ein leider ein Missverständnis, denn Energiesicherheit ist nicht ohne eine EU-weite Energiewende möglich. Ein massiver Aufbau neuer fossiler Gasinfrastruktur zusammen mit einer gasfreundlichen Regulierung würde zu fossilen Lock-In Effekten führen, die wir uns in Anbetracht der Klimakrise nicht leisten können. Angesichts des zukünftig sinkenden Gasverbrauchs und der erwartbar dauerhaft höheren Gaspreise ist auch fragwürdig, ob dies für Europa wirtschaftlich und angesichts der schon jetzt absehbaren sozialen Implikationen in vielen Ländern langfristig vertretbar ist.

Es ist daher entscheidend, dass neue Gasinfrastrukturprojekte unter der tschechischen Ratspräsidentschaft kritisch geprüft werden, insbesondere auf ihre Klimaauswirkungen und ihren tatsächlichen Beitrag für die Versorgungssicherheit. Bestehende Pläne zum Bau neuer fossiler Gaskraftwerke und Heizkraftwerke sollten stetig neu bewertet und wo immer möglich durch grüne Alternativen ersetzt werden. Es gilt, wo immer möglich, auf Optionen zu setzen, die das Klima schützen und den Verbrauch fossilen Gases zu reduzieren, wie der Einsatz erneuerbarer Energien und die Elektrifizierung von Wärme und Verkehr, die Steigerung der Energieeffizienz, der Energiespeicherkapazität und der Nachfrageflexibilität.

Auch der Markthochlauf der Wasserstoff- und Biomethanproduktion ist ein wichtiger Baustein der Energiewende. Hier braucht es aber klare Rahmenbedingungen. Die Produktionskriterien für alternative Gase, die durch die Erneuerbare Energien-Richtlinie und das Gaspaket gesetzt werden, sind aktuell noch zu lax. Wenn nicht sichergestellt ist, dass Biomethan nur aus Reststoffen hergestellt werden kann, dann leiden die Biodiversität und die Nahrungsmittelversorgung unter dem Ausbau. Und wenn die zusätzliche Produktion grünen Wasserstoffs nicht klar mit dem dafür notwendigen zusätzlichen Ausbau von Grünstrom verknüpft wird, dann führt das dazu, dass fossile Kraftwerke länger laufen um den zusätzlichen Strombedarf zu kompensieren.

Verbindliche Dekarbonisierung des Gassektors

Der einzige Weg, von russischen Gaslieferungen unabhängig zu werden, ohne den Klimaschutz hinten anzustellen, führt über die Energiewende und die langfristige Reduzierung unseres Verbrauchs fossilen Gases. Allein die konsequente Umsetzung des Fit for 55-Pakets würde den EU-Gasverbrauch bis 2030 um 30 Prozent reduzieren. Es ist daher gut, dass die Kommission mit dem REPowerEU-Paket eine Anhebung der Effizienz- und Erneuerbaren-Ziele vorgeschlagen hat. Weniger vielversprechend ist, dass sich die EU-Mitgliedstaaten auf dem Energieministerrat letzte Woche nicht auf höhere Ziele einigen konnten.

Die EU-Mitgliedstaaten müssen unter tschechischer Führung nun gemeinsam eine schnelle und verbindliche Dekarbonisierungsagenda für die Gasverbrauchssektoren erarbeiten, die sowohl eine ehrgeizige Reduzierung der Treibhausgasemissionen als auch einen sozial gerechten und fairen Übergang vorsieht. Europäische Solidarität in der Krise bedeutet jetzt konkret, Notlagen und Energiearmut von EU-Bürger*innen mit gezielten und angepassten Instrumenten wirksam zu bekämpfen.

Schwerpunkt Energieeffizienz

Das Programm der tschechischen Ratspräsidentschaft betont dabei zu Recht die Rolle der Energieeffizienz, die bislang auf europäischer Ebene noch viel zu wenig Beachtung findet. Durch konkrete Maßnahmen wie ambitionierte Gebäude-Mindesteffizienzstandards, die verstärkte Förderung von energetischen Renovierungen und Wärmepumpeninstallationen, ein Ende der Subventionierung fossiler Individualheizungen und Fernwärme, sowie ein Verbot neuer Gasheizungen könnten hier enorme Gaseinsparpotenziale mobilisiert werden.

Fossiles Gas ist ein notwendiges Übel, aus dem wir so schnell wie möglich aussteigen müssen, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden. Putins Überfall auf die Ukraine ändert nichts an dieser grundlegenden Realität, ganz im Gegenteil. Er zeigt in aller Deutlichkeit, dass ein regulatorisch flankierter Ausstieg aus fossilem Gas essentieller Bestandteil der europäischen Energiewende ist und diese letztlich eine hohe Sicherheitsdividende für alle Europäerinnen und Europäer einbringt.

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