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Energie & Klima

Standpunkte Energiespeicher können Systemverantwortung übernehmen – wenn man sie endlich lässt

Urban Windelen, Geschäftsführer Bundesverband Energiespeicher Systeme (BVES)
Urban Windelen, Geschäftsführer Bundesverband Energiespeicher Systeme (BVES) Foto: BVES

Längst gibt es einen Konsens, dass das Energiesystem von morgen viel Speicherkapazität benötigt, um effizient zu funktionieren. Doch die elementar wichtige Befreiung von vollen Netzentgelten laufe bald aus, warnt Urban Windelen vom Speicherverband BVES in seinem Standpunkt. Eine Anschlussregelung sei im Zuständigkeitsvakuum rund um die neue Rolle der Bundesnetzagentur verschwunden. Investoren zögen sich zurück, der Schaden wachse täglich.

von Urban Windelen

veröffentlicht am 16.10.2023

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Es ist mittlerweile allgemeiner Sach- und Fachstand: Energiespeicher sind unverzichtbar, um die Herausforderungen der Energiewende zu bewältigen. Sie nehmen Energie auf, wenn sie nicht gebraucht wird oder das System zu überlasten droht. Sie stellen die Energie wieder bereit, wenn sie benötigt wird. Dieses zunächst simple Prinzip ist entscheidend, um die erneuerbare Energieerzeugung effizient zu nutzen, das Energiesystem stabil zu halten und auf schwankenden Bedarf beim Letztverbraucher zu reagieren. Energiespeicher ermöglichen jedoch noch viel mehr. Sie sind Schlüssel zur Dekarbonisierung der Industrie, liefern hohe Leistung für die Schnellladeinfrastruktur der Elektromobilität, bringen Effizienz in Netzausbau und Netznutzung.

Wenn Energiespeicher so clever und so vielseitig sind, warum haben wir dann so wenig davon? Das liegt nicht an fehlenden Technologien und innovativen Unternehmen. Speicher sind mittlerweile in allen Größen und Leistungsklassen verfügbar. Gerade in Deutschland sind wir technologisch exzellent aufgestellt und haben einen großen technischen Vorsprung erarbeitet. Nein, es sind die regulatorischen Rahmenbedingungen und überbordende Bürokratie, die den Ausbau des Speicherparks in Deutschland, von Batterien über Pumpspeicher bis Wasserstoff, ausbremsen.

Stand heute endet 2026 jeder rentable Speicherbetrieb

Seit Jahren weist die Branche auf die Schwierigkeiten wie den drohenden Fristablauf von Paragraf 118 Absatz 6 des Energiewirtschaftsgesetzes EnWG im Juni 2026 hin. Ab diesem Datum müssen Energiespeicher wieder Netzentgelte bezahlen und Speicherstrom wird wieder doppelt mit Netzentgelten belastet. Das wäre das Ende jeglichen rentablen Speicherbetriebs.

Mit Grund hat der Gesetzgeber bereits vor 15 Jahren diese Regelung gefunden, um Energiespeicher nicht mit Netzentgelten zu belasten. Schließlich verbrauchen und erzeugen Speicher keinen Strom, sie stellen ihn dem System zeitlich verzögert wieder zur Verfügung. Einspeicherung und Ausspeicherung sind also keine typische Netznutzung, die mit Netzentgelten belastet werden sollte. Diese gute Regelung erhielt aber damals eine Geltungsfrist bis 2026, weil man sich vielleicht noch nicht so ganz sicher war, ob und wie man Speicher zukünftig benötigen wird und wie sich Speicher und neue Technologien wie Lithium-Ionen-Batterien weiterentwickeln.

Heute gibt es diese vielen Fragezeichen nicht mehr und der Bedarf an Flexibilität durch Energiespeicher wächst und wächst. Selbst die Bundesnetzagentur nennt in ihrem Netzentwicklungsplan einen Bedarf von über 25 Gigawatt Speicherkapazität innerhalb der kommenden zehn Jahre. Zum Vergleich: Momentan sind etwa 1,3 GW Batteriespeicher in unserem Energiesystem aufgebaut. Also sollten wir uns doch eigentlich beeilen, den Bedarf schnell zu erfüllen.

Investoren ziehen sich zurück – auch aus H2-Projekten

Eigentlich. Und eigentlich schienen wir auch auf einem guten Weg. Der Bundestag hat nach Jahren der Diskussion und Rechtsunsicherheit im Energiewirtschaftsgesetz eine Definition von Energiespeicheranlagen eingefügt und damit einen Anfang gemacht. Die Definition basiert auf den europäischen Vorschriften und besagt, dass Speicher Energie nur auf der Zeitachse verschieben, ohne sie zu verbrauchen oder zu erzeugen. Doppelte Abgaben, Steuern und Umlagen auf dem Speicherstrom wie Netzentgelte sollen damit final verhindert werden.

Wer „A“ sagt, muss aber auch „B“ sagen. Und „B“ bedeutet, die Definition in die Praxis zu bringen. Dafür sind noch einige gesetzliche Anpassungen erforderlich. Besonders wichtig ist es jetzt, die drohende Belastung mit Netzentgelten zu verhindern. Hier bahnt sich ein echter Fadenriss beim Ausbau der notwendigen Flexibilität durch Speicher an. Nahezu täglich werden Speicherprojekte aufgrund dieser Unsicherheit abgesagt oder verschoben.

Investoren ziehen sich wegen mangelnder Investitionssicherheit zurück und Projektgesellschaften stellen ihren Betrieb ein. Das betrifft auch Wasserstoffprojekte, denen auch die Netzentgeltbelastung droht, wenn sie nicht bis 2026 fertig werden. Und 2026 steht für Investoren vor der Tür, insbesondere angesichts der aktuellen Geschwindigkeit der Genehmigungsbehörden, belasteter Lieferketten und weiterer zu erwartender Verzögerungen.

Die jüngste Anhörung zu Speichern im Bundestagsausschuss und auch die Debatte im Bundestagsplenum haben gezeigt, dass es einen breiten politischen Konsens pro Energiespeicher über Koalitions- und Fraktionsgrenzen hinweg gibt. Es scheint eigentlich einen klaren Willen zu geben, „B“ zu sagen und so die Definition von Energiespeicheranlagen mit einer Speicherstrategie zu unterstützen.

Verweis auf neue Rolle der BNetzA blockiert Lösung

Erneut: Eigentlich. Denn hier kommt das EuGH-Urteil ins Spiel, das der Bundesnetzagentur weitere und größere Kompetenzen, etwa bei der Ausgestaltung der Netzentgelte, überträgt. Der Gesetzgeber und die Politik sollen plötzlich nicht mehr zuständig sein.

Ja, das EuGH-Urteil muss berücksichtigt und umgesetzt werden. Das bedeutet, dass viele Fragen rund um Netzentgelte zukünftig allein durch die BNetzA zu beantworten sind. Die Reichweite des Urteils ist jedoch Auslegungssache. Für das „Wie“ einer Netzentgeltpflicht wird eventuell die BNetzA alleinig zuständig sein. Beim grundsätzlichen „Ob“ einer Netzentgeltpflicht schwingt dagegen eine weitreichende politische Dimension mit, die nicht einer Behörde allein überlassen werden sollte.

Mit dem Verweis auf dieses Urteil droht die Lösung der Hemmnisse für Energiespeicher in ferne Zeiten geschoben zu werden. Zeit ist aber gerade ein knappes Gut. Die Energiespeicherbranche benötigt schnell Planungssicherheit und unser Energiesystem kann nicht länger auf die notwendige Flexibilität warten.

Für beide Auslegungen des Urteils gibt es fundierte juristische Positionen. Daher bleibt die Frage letztendlich politisch zu klären. Dies bringt uns wieder zum Ausgangspunkt zurück. Wenn wir Energiespeicher für das Energiesystem benötigen, wie es der Netzentwicklungsplan vorgibt, und das gleichzeitig breiter wissenschaftlicher Konsens ist, der über Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg immer betont wird, dann sollten wir endlich „B“ sagen – wie Beschleunigung des Speicherausbaus und nicht „B“ wie Bürokratie, Behörde und lange Bank.

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