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Energie & Klima

Standpunkte Entscheidend ist die aktive Bürger*innenbeteiligung

Valérie Lange, Referentin Energiepolitik und -wirtschaft beim Bündnis Bürgerenergie
Valérie Lange, Referentin Energiepolitik und -wirtschaft beim Bündnis Bürgerenergie

Windkraft- und Freiflächen-PV-Anlagen stoßen mancherorts auf Widerstand. Aktive Teilhabe der Bürger*innen an dem Ausbau der Neuanlagen vor Ort kann die Perspektive auf die Energiewende grundlegend verändern. Wie eine bundesweite finanzielle Beteiligung aussehen, kann zeigt ein detaillierter Vorschlag des Bündnis Bürgerenergie und des Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverband, den Referentin Valérie Lange erläutert.

von Valérie Lange

veröffentlicht am 11.01.2024

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Die Energiewende kann nicht ohne den Rückhalt der lokalen Bevölkerung erfolgreich sein. Widerstände und mangelnde Akzeptanz hindern die zügige Umsetzung von Wind- und Freiflächen-PV-Projekten. Zahlreiche Bürgerenergiegemeinschaften zeigen mit ihrem Engagement jedoch: je mehr Teilhalbe an der Energiewende vor Ort möglich ist, desto mehr Akzeptanz erfährt sie in der Region. Leider ist es noch keine Selbstverständlichkeit, dass die Bürger*innen im Umkreis großer Erneuerbaren-Anlagen von dem Ausbau profitieren. 

Mit dem Ziel, die Akzeptanz von neuen Windenergieanlagen zu fördern, führte die letzte Bundesregierung die freiwillige Kommunalbeteiligung ein. Die Zuwendung von 0,2 Cent pro Kilowattstunde kann an alle Kommunen in einem Umkreis von 2,5 Kilometern um eine Windenergieanlage fließen. Diese Kosten können sich Anlagenbetreiber, die eine finanzielle Förderung nach dem EEG erhalten, vom Netzbetreiber erstatten lassen. Inzwischen kann die Regelung auch für Freiflächen-PV-Anlagen genutzt werden.

Bundesländer preschen voraus

Zahlreichen Bundesländern reicht das nicht. Allein im letzten Jahr haben fünf ambitionierte Bundesländer darüberhinausgehende Beteiligungsgesetze verhandelt oder beschlossen. Nicht nur die Beteiligung der Kommunen war hier entscheidend, einige Bundesländer binden nun auch die Bürger*innen vor Ort direkt ein. So ist es nun in Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen Pflicht, Bürger*innen ein Beteiligungsangebot zu unterbreiten, auch in den Entwürfen von Thüringen und Niedersachsen ist dies vorgesehen. Wir begrüßen die klare Ansage dieser Bundesländer, dass die freiwillige Kommunalbeteiligung ungenügend ist. Diese Bundesländer haben erkannt: Die Energiewende darf nicht länger als rein technokratisches Unterfangen betrachtet werden. Sie ist eine Gemeinschaftsaufgabe, bei der jede*r Einzelne*r eine Rolle spielen kann und sollte. 

Die Vielzahl an Landesregelungen führt nun zu einer recht unübersichtlichen Lage. Stark unterschiedliche Regelungen von Bundesland zu Bundesland können zu Wettbewerbsverzerrungen und Standortvorteilen in einem Bundesland sowie Standortnachteilen in anderen führen. Der bunte Fleckenteppich birgt das Risiko, den Ausbau insgesamt zu hemmen. 

Goldstandard aktive Bürger*innenbeteiligung

Unser Vorschlag zur bundesweiten finanziellen Beteiligung der Bürger*innen vor Ort kann hier Einheitlichkeit und flächendeckende Bürger*innenbeteiligung bringen. Grundlage hierfür ist das im Dezember beschlossene Bürgerenergiegesetz Nordrhein-Westfalen. Hervorzuheben am heute veröffentlichten Regelungsvorschlag ist die Flexibilität des Teilhabeverfahrens, um regionale Unterschiede in den Kommunen zu berücksichtigen. Dabei gilt der Grundsatz: Die aktive Bürger*innenbeteiligung ist der Goldstandard. Hierunter fallen der Erwerb von Gesellschaftsanteilen oder einzelner Windräder durch die Bürger*innen oder die lokalen Bürgerenergieakteure. Obwohl der administrative Aufwand höher ist, steigt durch die gesellschaftliche Beteiligung neben der lokalen Wertschöpfung auch die Identifikation mit der Anlage und die Akzeptanz der Energiewende vor Ort.

Gleichzeitig ist die aktive Bürger*innenbeteiligung nicht unbedingt das optimale Mittel für alle Projekte und Kommunen. Der anpassungsfähige Rahmen kann den regionalen Spezifika Rechnung tragen. Alternativ kann sich auf passive finanzielle Beteiligung wie Sparprodukte oder Nachrangdarlehen oder auch andere Beteiligungsmöglichkeiten geeinigt werden. 

Der Beteiligungsprozess zeichnet sich dadurch aus, dass die Kommune, der Vorhabenträger und die  regionalen Bürgerenergieakteure eine individuelle Beteiligungsvereinbarung aushandeln. Sechs Monate nach Erhalt des gesicherten Baurechts muss der Vorhabenträger zunächst einen Entwurf einer Beteiligungsvereinbarung vorlegen. Anschließend schließen die Parteien innerhalb eines Jahres eine Beteiligungsvereinbarung, die bestmöglich die lokalen Gegebenheiten berücksichtigt. 

Sollte keine Vereinbarung zustande kommen, werden die Bürger*innen über eine Ersatzbeteiligung in Form einer gesellschaftlichen Beteiligung in der Höhe von 20 Prozent der Gesellschaftsanteile beteiligt. Bei Verstoß gegen diese Beteiligungspflichten können die Vorhabenträger mit einer Ausgleichsabgabe belastet werden. In jedem Fall ist so sichergestellt, dass auch die Bürger*innen von der Wertschöpfung durch die Erneuerbaren-Anlagen in der Region profitieren. 

Entschließungsantrag jetzt umsetzen

Mit diesem Vorschlag setzen wir auf einen entscheidenden Faktor für das Gelingen der Energiewende: die möglichst aktive Beteiligung von Bürger*innen im Umfeld der Erneuerbaren-Anlagen. Die Beteiligung der Menschen vor Ort ist nicht nur eine Frage der Fairness, sondern macht die lokale Energiewende begreifbar. Und dieses Verständnis und die Akzeptanz der großen Wind- und Solaranlagen sind essentielle Voraussetzung für die Energiewende. 

Daher ist es Zeit, ins Handeln zu kommen: Im Erneuerbare-Energien-Gesetz 2023 hat der Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, in der nächsten EEG-Novelle Vorschläge für weitergehende Kommunal- und Bürgerbeteiligung zu entwickeln. Der Zeitpunkt für die Umsetzung ist jetzt.

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