Energie aus Biomasse zu erzeugen – das klingt erstmal nach einer guten Sache, denn „bio“ klingt nachhaltig und „Masse“ so, als wäre davon unendlich und unproblematisch viel vorhanden. Der Schein trügt. Biomasse, das umfasst nicht nur biologische Abfälle, nicht wiederverwendbare Holzreste oder Gülle, sondern auch ganze Bäume aus Wäldern, industriell angebaute Pflanzen und Schnittmaterial aus Naturräumen.
Wer mit Biomasse Energie erzeugt, verbraucht also auch natürliche Lebensräume und nutzt die Landfläche, auf der die Biomasse wuchs. In Zeiten der zunehmenden Klima- und Artenkrisen werden sich diese Konflikte um Land, um fruchtbare Böden und um die Nutzung von Biomasse zunehmend, wie es auch der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen anmahnt, verschärfen.
Es ist wichtig, dass die Nationale Biomassestrategie diese Nutzungskonflikte und potenzielle Lösungen angeht. Leider formuliert sie erst nach der Verabschiedung einiger relevanter Gesetzgebungen notwendige Änderungen. Der derzeit kursierende Entwurfsstand (November 2023) reicht als Richtschnur nicht aus. Ob der politische Wille für die notwendige Regulierung der Energie-, Land- und Forstwirtschaft noch in dieser Koalition zu finden ist, bleibt außerdem fraglich.
Die politische Durchsetzbarkeit vieler Maßnahmen, die eine abgestimmte und nachhaltige Biomassenutzung zukünftig erlauben würde, läuft Gefahr, aus Angst vor der notwendigen Veränderung ausgebremst zu werden. Doch jenen, die die ökologische Transformation besonders im Landsektor bekämpfen, sollte bewusster sein, dass ohne gesunde Ökosysteme in einer viel zu verfrühten 1,5-Grad-Realität vielleicht bald keine sichere Produktion von Biomasse mehr möglich sein wird.
Für das Wohl der Vielen…
Bisher ist die gesetzliche Regulierung der Land- und Forstwirtschaft meist im Sinne der Biomassenutzung reguliert, wenn überhaupt von einer ernstzunehmenden Regulierung zu sprechen ist. Der Entwurf der Nationalen Biomassestrategie legt den Finger in die Wunde einer verfehlten Ökosystempolitik. Diese hat es bisher nicht geschafft, die langfristigen Ansprüche der gesamten Bevölkerung an die Ökosystemfunktionen der Natur mit den oft kurzfristigen privaten und industriellen Nutzungsinteressen in Einklang zu bringen.
Funktionen, wie die Wasserhaushaltssicherung, Kühlung, die CO2-Speicherung oder die Artenvielfalt haben im Sinne des Gemeinwohles zu oft das Nachsehen. Die notwendigen Kurskorrekturen in Deutschland und Europa wären vielfältig, um den Schutz der Natur und der natürlichen Lebensgrundlagen vor dem anstehenden Biomasseboom zu schützen. Werden solche Maßnahmen nicht bald aktiv für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Natur auf den Weg gebracht, wird das zukünftige Wohl der Vielen durch die Biomassenutzungsansprüche Weniger zunehmend weiter negativ beeinflusst.
Bioenergie ist nicht klimaneutral
Im Entwurf steht zu Recht, dass die Klimawirkung der Biomassenutzung bisher nicht real bewertet wird und die Verbrennung von Biomasse nicht als klimaneutral gelten kann. Auf diese offizielle Anerkennung warten Umweltverbände schon lange und es ist von zentraler Bedeutung, diesen wichtigen Punkt in der Strategie adressiert zu sehen und ihn zu erhalten. Der Verbrennung von Pflanzen und Bäumen muss dringend das Prädikat „Klimaneutralität“ entzogen werden. Entstehende Bioenergieemissionen schädigen das Klima jetzt. Die grün gewaschene Klimaneutralität der „Bio“ -Energie ist in Zeiten sterbender Wälder ein Märchen.
Laut der Strategie sollen Wälder auch nicht mehr in früheren Kohlekraftwerken landen. Gut so. Alles andere wäre absurd. Und Bioenergieemissionen sollen zukünftig endlich, wie die der fossilen Energien für die entstehenden Schäden am Klima bepreist werden. Auch das ist sehr zu begrüßen.
Risiko Carbon Capture
Schlecht im kursierenden Entwurf ist, dass die sogenannte BECCS-Technologie (Bioenergy with Carbon Capture and Storage, auch BECCS) vorangetrieben werden soll, bei der Abgase von Bioenergiekraftwerken zukünftig in Kohlendioxid-Endlagern zum Beispiel in der Nordsee oder auch auf dem deutschen Festland eingelagert werden sollen. Die Umweltrisiken sind groß, die Entwicklung dieser Energieform würde einen gigantischen Landverbrauch anheizen.
Die Entwicklung von Methoden, die Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre entnehmen (Carbon Dioxide Removal, auch CDR), wird von der EU derzeit mit der Verordnung zur Zertifizierung von Kohlenstoffentnahme-Methoden (CRCF) vorangetrieben. Eine Zertifizierung für BECCS zu starten, würde den Hunger nach Holzbiomasse und den Druck auf die Ökosysteme nur noch mehr erhöhen. Daher sollte die Zertifizierung und die Planung von BECCS-Anlagen, anders als es die Strategie suggeriert, dringend gestoppt werden.
Ausgelöschte Lebensformen sind nicht ersetzbar
Der Flächenanspruch für das Erreichen der im Klimaschutzgesetz, der EU-Biodiversitätsstrategie oder dem Weltnaturabkommen gesetzten Ziele, müsste durch gesetzlich gesicherte Flächen zu einer deutlichen Begrenzung der Biomasseentnahme in wirksamen Naturschutzflächen führen. Mindestens 30 Prozent der deutschen Landflächen müssen effektiv vor der industriellen Entnahme von Biomasse geschützt werden, 30 Prozent der degradierten Flächen sollen ökologisch bewirtschaftet und wiederhergestellt werden und mindestens 25 Millionen Tonnen Kohlenstoff sollen über den Landsektor bis 2030 zusätzlich gespeichert werden.
Es braucht den Verbleib und den Vorratsaufbau von natürlicher Biomasse in der Natur, um diese Ziele zu erreichen. Der Strategieentwurf verpasst es, eine neue Gesetzgebung für die Sicherung der notwendigen Naturschutz- und Renaturierungsflächen als Maßnahme zur Begrenzung der Entnahme von Wald-Biomasse aus Schutzgebieten und dem konventionellen Anbau von Energiepflanzen in Schutzgebieten zu definieren.
Die Zeit für flankierende Kompensationsmechanismen, die suggerieren, dass der Verlust von weiteren Arten und Ökosystemen im sechsten Artensterben auf der Erde einfach durch Geld für den Naturschutz ersetzt werden kann, ist vorbei. Ausgelöschte Lebensformen sind nicht ersetzbar. Und wer denkt, dass kontinuierliche fossile Emissionen durch Baumpflanzaktionen unschädlich gemacht werden, spielt ein gefährliches Spiel gegen die Zeit. Fossile Emissionen können nicht durch die Senken der biogenen Kohlenstoffkreisläufe schöngerechnet werden.
Natur: Im überragenden Interesse
Bisher hat die Ampel-Regierung den Naturschutz durch die gesetzlichen Regeln für den Ausbau neuer Infrastruktur für Gasleitungen, Stromnetze oder Autobahnen in die Defensive gedrängt. Initiiert durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, steht die weitere Versiegelung der Natur für Infrastruktur nun im „überragenden öffentlichen Interesse“ und gewinnt wahrscheinlich in den meisten juristischen Abwägungen über dem „besonderen öffentlichen Interesse“ des Naturschutzes. Soll eine ausgewogene Biomassenutzung eine Chance haben, muss der Verbleib von biogener Biomasse in den Naturräumen durch einen verbesserten Wald- und Naturschutz auch im überragenden öffentlichen Interesse stehen.
Ein starkes Bundeswaldgesetz
Darüber hinaus braucht es klare Regelungen, um das Wachstum in den Wäldern vor dem Hunger der verschwenderischen Holznutzung zu sichern. Der Fokus auf langlebige Produkte in dem Entwurf und die Ansätze für eine potenzielle Pflicht für die Kaskadennutzung von Biomasse sind daher sehr zu begrüßen.
Im neuen Bundeswaldgesetz, das in der Biomassestrategie sonderbarerweise auch als klare Maßnahme fehlt, müssen dafür wirklich wirksame Elemente einen aktiven Vorratsaufbau und die Erhaltung des Waldes garantieren. Zum Beispiel auch mit einer klaren Ermächtigung zur Regulierung der Holzeinschläge in besonders schützenswerten Laub- und Laubmischwäldern.
Die Förderprogramme des BMEL für klimaangepasstes Waldmanagement und die des Umweltministeriums für den natürlichen Klimaschutz können Eigentümerinnen helfen, auf Biomassenutzung stärker zu verzichten. Sie haben aber auch eine Eigentumspflicht, die in Zeiten der Klimakrise für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen neu definiert werden sollte.
Das neue Klimaanpassungsgesetz fordert zu Recht Strategien auf allen Ebenen der Verwaltung, um auch die Ökosystemleistungen der Wälder und Felder für eine verbesserte Klimaanpassung zu stärken. Die Schwächung von Ökosystemleistungen durch die industrielle Produktion und Entnahme von Biomasse ist hier in den wenigsten Fällen wirklich fördernd.
Der Entwurf der Nationalen Biomassestrategie liefert also wichtige Anreize für eine Ökosystempolitik von morgen, die der falschen und verschwenderischen Biomassenutzung deutliche Grenzen geben muss. Ohne aber den politischen Mut, klare gesetzliche Regelung zum Schutz der Natur zu schaffen, wird der entstandene und zukünftige Biomassebedarf die Übernutzung der Ökosysteme auf dem Feld und im Wald weiter massiv vorantreiben – zum Schaden von uns allen.
Jannes Stoppel ist Politikexperte für Naturschutz- und Klimapolitik im Landsektor bei der Umweltorganisation Greenpeace Deutschland.