„Ihr verhandelt schon mein ganzes Leben lang“, warf die damals 21-jährige Klimaaktivistin und heutige Kandidatin um den Parteivorsitz der British Columbia New Democratic Party den Delegierten der UN-Klimakonferenz in Durban entgegen. Ich bin älter als Anjali Appadurai, und auch mein ganzes Leben lang werden das Klima und die Ökosysteme unseres einzigen Planeten nur halbherzig geschützt, obwohl Wissen, Geld und Methodik für Veränderung längst vorhanden sind.
In den vergangenen Jahren spüren wir nun die Konsequenzen, vor denen zu warnen wir uns den Mund fusselig geredet haben. Laut Deutschem Wetterdienst ist die Gesamtmenge an Regen über die Jahre zwar nur leicht gesunken, hat sich aber auf schwerere Wetterereignisse konzentriert, sodass an den restlichen Tagen im Schnitt weniger Wasser vom Himmel fiel.
Für Felder, Wiesen und Wälder bedeutet das Trockenheit, wie der Dürremonitor des Umweltforschungszentrums UFZ zeigt. Das Wasser extrem starker Niederschläge läuft oberflächlich ab, schwemmt dabei Teile des Oberbodens weg und wird schlechter im Boden und Grundwasser gespeichert. Gleichzeitig schaden wir durch unsere landwirtschaftliche Praxis – wie intensives Pflügen, unzureichende organische Düngung, das Fehlen einer ganzjährigen Bodenbedeckung mit Pflanzen und die Beseitigung des Bodenlebens durch chemische Schädlingsbekämpfung – den Humusvorräten unserer Böden und reduzieren damit ihre Fähigkeit zur Wasserspeicherung.
Humus einer der größten Kohlenstoffspeicher unseres Planeten
Aus bodenkundlicher Sicht müssen wir daher ein Thema auf die Agenda zurückzubringen, das im letzten Jahr schon zaghaft in die öffentliche Debatte kam, aber leider durch den russischen Angriffskrieg wieder aus der Berichterstattung verschwunden ist. Es geht um Böden als Senke für CO2, als Wasserspeicher und ihre Rolle bei Klimaanpassungsstrategien.
Seit Beginn der Klimaschutzdebatte vor einigen Jahrzehnten stand vornehmlich die nach wie vor essenzielle Begrenzung des CO2-Ausstoßes bei der Verbrennung fossiler Energieträger im Fokus der politischen Diskussion, während die Funktion von Kohlenstoffsenken wie Böden, Wäldern oder Baumaterial wenig beachtet wurde. In den letzten Jahren aber konnte die Problemanalyse zunehmend auf Emissionen aus degradierten Böden und deren schwindende Fähigkeit zusätzlichen Kohlenstoff zu speichern, erweitert werden.
Da Humus einer der größten Kohlenstoffspeicher unseres Planeten ist, bedeutet die Degradierung von Böden eine große Gefahr für unser Klima. Die Mechanismen, die zu einem Rückgang der globalen Humusvorräte führen, unterscheiden sich aber nach Landnutzungsform und müssen unterschiedlich angegangen werden:
Moorböden wiedervernässen
Moore machen weltweit nur drei Prozent der Landfläche aus, aber 30 Prozent der terrestrischen Kohlenstoffvorräte. Sie leiden seit Jahrhunderten unter Torfabbau und der Trockenlegung für ackerbauliche Nutzung. Ihr Absterben führt zu jährlich etwa sieben Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen. Ihre Degradierung kann durch Wiedervernässung verhindert und die wirtschaftliche Existenz der Landwirt:innen durch Paludikultur (landwirtschaftliche Nutzung von Nassstandorten) erhalten werden.
Das Problem besteht darin, dass ein zusammenhängendes Entwässerungsgebiet oft mehrere Landbesitzer hat, sodass jede:r einzelne:r überzeugt oder gezwungen werden muss, damit es zu einer Wiedervernässung kommt. Hier stellen also Eigentumsverhältnisse und Anbaugewohnheiten der Landwirt:innen ein entscheidendes Hindernis für den Umbau der Landschaft dar. Umfassende Arbeiten zur Implementierung von Paludikulturen, die den Landwirt:innen eine Transformation mit gutem Einkommen ermöglichen sollen, gibt es im Land Brandenburg zum Beispiel an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde und in Mecklenburg am Moorzentrum der Universität Greifswald.
Boden von Wäldern und Wiesen enthalten in der Regel doppelt so viel Humus wie Ackerböden. Diesen verlieren sie, wenn sie unter den Pflug genommen werden. Kohlenstoffverluste werden durch Entwaldungsverbote und die gesetzliche Einschränkung von Grünlandumbruch zum Teil verhindert.
Der Druck, der derzeit vonseiten des Bauernverbandes stattfindet, Grünland in Ackerland umzuwandeln, ist angesichts der Klimafolgen und der herrschenden Überproduktion von Getreide irrational. In Einzelfällen kann so eine Umwandlung schon sinnvoll sein, sollte dann aber an die Nutzung ökologischer Anbaumethoden gebunden sein, welche Humus im Boden aufbauen.
Regeneration der Böden im Acker- und Gartenbau
Acker- und Gartenbauflächen machen circa 46 Prozent der Fläche Deutschlands aus. Seit mehr als zwei Jahrzehnten sind Methoden des Humusaufbaus sowohl wissenschaftlich gut erforscht als auch weithin im biologischen Landbau erprobt: Es sind Gründüngung und Untersaat, ein Verzicht auf wendende Bodenbearbeitung zur Erhaltung der Bodenstruktur, die Etablierung von Agroforstsystemen, der Aufbruch von Pflugsohlenverdichtung, die Verhinderung von Bodenverdichtung durch Verzicht auf schweres landwirtschaftliches Gerät, die Rückführung von Komposten und Gärresten, der Einsatz von Pflanzenkohle, die Förderung der Biodiversität des Bodenlebens durch Einarbeitung von Streu und Flächenrotte sowie weitestmöglicher Verzicht auf chemische Schädlingsbekämpfung.
All diese Maßnahmen würden mit der Erhöhung der Humusvorräte nicht nur eine Verbesserung der Klimabilanz und Biodiversität der Landwirtschaft bewirken, sondern sind durch die Steigerung der Wasserspeicherfähigkeit der Böden eine hervorragende Anpassungsmaßnahme an Hitze- und Wasserstress. Sie würden uns so helfen.
Alle drei – Moore, Grünland und Äcker – werden in den Klimaschutzmaßnahmen des Bundeslandwirtschaftsministerium adressiert. Anstelle eines umfassenden gesetzlichen Rahmens für die Transformation des landwirtschaftlichen Sektors werden jedoch mit der „Klimaschutzmaßnahme Humus“ für die nächsten sechs Jahre nur Modellvorhaben an rund 150 Demonstrationshöfen aufgelegt.
Längst ist die Zeit der Praxis gekommen
Das geschieht, obwohl längst ausreichend gesichertes Wissen vorhanden ist und tausende ökologisch orientierte Betriebe seit vielen Jahren ähnliche Maßnahmen zur Bodenregeneration in der ein oder anderen Kombination praktisch betreiben. Hätten Landwirt:innen eine Agroforstverpflichtung für 30 Prozent ihrer Ackerfläche und flächendeckend Untersaat, gäbe es sofort ein anderes Klima auf dem Feld.
Für uns alle ist ökologische Forschung unverzichtbar, da wir durch sie Mechanismen unserer Umwelt verstehen und die Natur nachhaltig nutzen und bewahren lernen. Aber längst ist die Zeit der Praxis gekommen. Wenn Forschungsvorhaben gestartet werden, um wegbereitende politische Entscheidungen hinauszuzögern und dabei tatkräftig auszusehen, wenn das Divestment fossiler Produktionsweisen ausgebremst und Investitionen und ordnungspolitische Maßnahmen für die Transformation unserer Landwirtschaft nicht stattfinden, dann verschwinden unsere Wälder und versteppen unsere Böden. Erst in den sandigen Gegenden Norddeutschlands, aber bald auch in Fichtelgebirge, Schwarzwald, der Pfalz oder dem schönen Harz. Und dann soll niemand sagen, das Wissen wäre zu spät gekommen.
Dr. rer. nat. Frederick Büks forscht an der TU Berlin im Fachgebiet Bodenkunde zur Fruchtbarkeit, Struktur und Regeneration landwirtschaftlich genutzter Böden.