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Energie & Klima

Standpunkte „It's our way of life, stupid"

David Ryfisch ist Leiter des Teams Internationale Klimapolitik bei der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch
David Ryfisch ist Leiter des Teams Internationale Klimapolitik bei der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch Foto: Foto: Germanwatch

Die Bundesregierung steht als Präsidentschaft der G7 vor einer enormen Verantwortung. Sie muss eine Renaissance der Kohle verhindern, den Schutz der Menschenrechte in Lieferketten durchsetzen sowie ein ökologischeres und Ernährungssicherheit gewährendes Agrarsystem auf den Weg bringen, schreiben David Ryfisch, Cornelia Heydenreich und Konstantinos Tsilimekis von Germanwatch in ihrem Standpunkt.

von David Ryfisch

veröffentlicht am 25.05.2022

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Was haben wir allein in den letzten paar Jahren nicht alles erleben müssen: Seit über zwei Jahren eine weltweite Pandemie, die uns wahrscheinlich noch länger beschäftigen wird. Seit rund drei Monaten wieder Krieg in Europa mit all seinen furchtbaren Folgen. Und schon länger die Klimakrise, deren Auswirkungen nun aber immer verheerender werden. Die Liste ließe sich fortsetzen, es ist eine Krisenkaskade. All diese Krisen haben etwas gemeinsam: Sie haben viel zu tun mit unserer Art zu leben und zu wirtschaften:

Die Corona-Pandemie, offenbar mitverursacht durch unser immer tieferes Eindringen in Natur- und Lebensräume von Tieren, der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine, mitermöglicht durch unsere Gas- und Öl-getriebene Finanzierung der Putin‘schen Kriegsmaschinerie und die Klimakrise, maßgeblich verursacht durch die Emissionen der Industrie- und zuletzt auch zunehmend einiger Schwellenländer. Es ist nicht übertrieben, in Abwandlung von Bill Clintons berühmtem Wahlslogan von 1992 zu dem Schluss zu kommen: „It’s our way of life, stupid!

Es ist offenkundig: Eine Fortsetzung der Krisenkaskade können wir nur unterbinden, wenn wir bereit sind, unsere Lebens- und Wirtschaftsweise anzupassen – in dieser Frage sind Gesundheit, Klima, Frieden und auch die Freiheitsrechte künftiger Generationen eng miteinander verwoben. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine erhöht nun massiv den Druck – er zwingt uns zu schnellen Weichenstellungen. Dabei kann und muss die G7 eine zentrale Rolle spielen.

Es geht vor allem um die folgenden Themen:

Turbo für Erneuerbare gegen Renaissance der Kohle

Energie: Erleben wir eine Renaissance der Kohle insbesondere in vielen Schwellenländern oder gelingt es, ihnen zu einem Turbo bei den Erneuerbaren zu verhelfen? Daran hängt enorm viel. Kommt es tatsächlich zu einem breiten Zubau von Kohlekraftwerken in Ländern wie Indien, den Philippinen oder Indonesien – über die Planungen vor dem Krieg in der Ukraine hinaus – ist das 1,5-Grad-Limit nicht mehr zu schaffen und selbst eine Erderhitzung von unter zwei Grad nur noch sehr schwer erreichbar.

Fossile Projekte wie die Nutzung neuer Kapazitäten von LNG-Terminals mögen im Einzelfall zur Überbrückung kurzfristiger Engpässe erforderlich sein, aber drohen langfristig die Klimakrise zu verschärfen. Echte Antworten auf die Krisen wären stattdessen Energieeffizienz, Energiesparen, erneuerbare Energien und Elektrifizierung auf Basis der Erneuerbaren.

Dies müssen die G7 durch feste Ausstiegstermine aus der Kohle bis 2030, aus dem Verbrennungsmotor bis spätestens 2035 und eine Dekarbonisierung des gesamten Stromsektors ebenfalls bis 2035 untermauern. So würde der Weltgemeinschaft und den globalen Märkten gezeigt: Wir meinen es ernst – mit dem „Bonus“, dass die G7-Staaten die Kassen autokratischer Regime nicht mehr durch den Import fossiler Rohstoffe füllten. Allerdings wird das ohne eine zügige Energiewende auch in Schwellenländern nicht reichen. Dies erfordert die partnerschaftliche – und insbesondere auch finanzielle – Unterstützung der G7.

Viel mehr Getreide zur Ernährung der Menschen, weniger für Tiermast und Biokraftstoffe

Ernährungskrise und Landwirtschaft: Bekommt die industriell getriebene Landwirtschaft nun Rückenwind für ihren Ansatz, allein durch Ertragssteigerung die Ernährungskrisen lösen zu wollen? Oder gelingt es, an die Wurzel zu gehen? Wie der Jahresbericht zu Ernährungskrisen 2022 hervorhebt, liegen die Hauptursachen für den Anstieg akuten Hungers vor allem in Konflikten, Wetterextremen und Wirtschaftskrisen. Der Krieg in der Ukraine und seine Folgen für die globale Ernährung machen zudem klar: Die landwirtschaftliche Produktion und unser Konsum müssen insgesamt nachhaltiger werden.

Die Schlüssel hierfür sind einerseits ökologischere Agrar- und Ernährungssysteme, wie vom UN-Komitee für Welternährung empfohlen, und andererseits die vorrangige Nutzung von Getreide für die direkte menschliche Ernährung, statt es weiter in großen Mengen für Tierfutter oder Biokraftstoffe zu verwenden. Darüber hinaus sollten die Zahlungen der G7 an das Welternährungsprogramm für die akute Krisenhilfe deutlich erhöht und importabhängigen Entwicklungsländern durch einen Schuldenerlass mehr Mittel für den Kauf von Getreide und ländliche beziehungsweise landwirtschaftliche Entwicklung zur Verfügung gestellt werden.

Verantwortung für Schutz der Menschenrechte in Lieferketten statt Ignoranz

Menschenrechte: Wird nun der Schutz von Menschen und Umwelt vor Ausbeutung abgetan als „Gedöns“, auf das man angesichts des Strebens nach Energieunabhängigkeit nicht allzu viel Rücksicht nehmen könne? Oder erkennen wir, dass die Achtung der Menschenrechte die Grundlage ist für ein krisenfestes Wirtschaftssystem? Dass es letztlich um nicht weniger geht als um die Verteidigung unserer rechtebasierten und freiheitlichen Gesellschaften gegen autoritäre Tendenzen? Die G7 eint ihre demokratische Gesinnung, aber zugleich als führende Wirtschaftsmächte auch die Verantwortung, durch ihre Wirtschaftsweise nicht Menschenrechte und demokratische Strukturen weltweit weiter zu schwächen.

Daher ist es höchste Zeit, dass sich die G7 klar zu umfassenden und rechtsverbindlichen Menschenrechts- und Umweltregeln für die globalen Lieferketten bekennt. Die G7-Länder sollten sich nicht nur verpflichten, zügig nationale beziehungsweise auch EU-weite Gesetze zu beschließen, sondern auch aktiv die Verabschiedung eines internationalen Vertrags voranbringen.

Ein entsprechender UN-Prozess existiert seit Jahren , wurde aber bislang von den G7-Staaten ignoriert oder behindert. Gestern gab es einen beachtlichen Kurswechsel: Bei ihrer Ministerkonferenz in Wolfsburg haben sich die G7-Arbeitsminister:innen für ein international verbindliches Instrument ausgesprochen. Damit könnten nicht nur Menschen und Umwelt in globalen Wertschöpfungsketten besser geschützt werden. Auch Unternehmen würden sich gegen künftige Krisen besser wappnen.

Wir stehen nicht zuletzt vor der Frage: Setzt sich das Völkerrecht durch oder erleben wir eine neue Blockbildung und die Herrschaft des Rechts des Stärkeren? Dies sind die drängenden Themen der Gegenwart und viele dieser Fragen werden bereits in den kommenden Monaten beantwortet werden. Die Bundesregierung steht als Präsidentschaft der G7 damit vor einer enormen Verantwortung.

David Ryfisch ist Leiter des Teams Internationale Klimapolitik bei der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch. Mitautoren des Beitrags sind Cornelia Heydenreich, Teamleiterin Unternehmensverantwortung, und Konstantinos Tsilimekis, Teamleiter Welternährung, Landnutzung und Handel.

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