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Energie & Klima

Standpunkte Keine Panik! Oranienburg ist ein Einzelfall

Frank Borchardt, Senior Project Manager Digitalisierung und Metering beim Forum Netztechnik/Netzbetrieb im VDE
Frank Borchardt, Senior Project Manager Digitalisierung und Metering beim Forum Netztechnik/Netzbetrieb im VDE Foto: VDE FNN

Netzengpass in Brandenburg: Die Stadtwerke Oranienburg verkündeten, keine neuen Wärmepumpen oder Wallboxen ans städtische Stromnetz mehr anschließen zu können. Mit der Energiepolitik der Bundesregierung hat dieses Problem nichts zu tun, meint Frank Borchardt vom Forum Netztechnik/Netzbetrieb im VDE – und skizziert Lösungen für die Verteilnetze der Zukunft.

von Frank Borchardt

veröffentlicht am 22.04.2024

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Zuletzt haben die Stadtwerke Oranienburg mit einem ungewöhnlichen Hilferuf auf sich aufmerksam gemacht: „Um das Stromnetz in Oranienburg weiter stabil zu halten, können die Stadtwerke ab sofort keine Neuanmeldungen oder Leistungserhöhungen von Hausanschlüssen mehr genehmigen“.

Aufgrund des unerwarteten Wachstums der Stadt und insbesondere der hohen Nachfrage nach Anschlüssen für Wärmepumpen und Wallboxen sei die Kapazitätsgrenze des städtischen Stromnetzes erreicht. Die Ablehnung weiterer Anschlüsse sei für den sicheren Betrieb unerlässlich. Nach der ersten Überraschung folgten zu erwartende Unkenrufe, Oranienburg sei erst der Anfang und überhaupt sei Minister Habecks Energiepolitik für die Misere verantwortlich.

Nein! Das Problem der Stadtwerke Oranienburg ist ein Einzelfall. Elektromobilität wurde schon vor vielen Jahren und nicht erst von der aktuellen Bundesregierung zum Ziel erklärt. Ja, die Wärmewende hat durch die als Folge des Kriegs in der Ukraine notwendige Abkehr vom Erdgas eine größere Dynamik bekommen als zuvor.

Unbestrittene Ursache des Problems in Oranienburg ist jedoch die begrenzte Leistung, die das einzige die Stadt versorgende Umspannwerk aus dem Hochspannungsnetz bereitstellen kann. Soweit inzwischen bekannt, wusste man von diesem Risiko seit 2017. Die Planung für ein neues Umspannwerk wurden erst im vergangenen Jahr begonnen. Das war einfach viel zu spät.

Die Nachfrage nach Wärmepumpen und Wallboxen in einer seit Jahren wachsenden Stadt im Berliner Speckgürtel dürfte niemanden überraschen. Ob es eine gute Idee ist, eine Stadt von bald 50.000 Einwohnern ohne nennenswerte Eigenerzeugung über ein einziges, in die Jahre gekommenes Umspannwerk zu versorgen, darf angezweifelt werden. Zu den Kernaufgaben jedes Netzbetreibers zählt die vorausschauende Planung seines Stromnetzes und es ist davon auszugehen, dass die überwältigende Mehrheit der deutschen Netzbetreiber diese Kernaufgabe auch zuverlässig erfüllt. Deshalb: Einzelfall.

Eine gründliche Aufarbeitung der Vergangenheit dieses Falles ist dringend anzuraten. Damit erhalten andere Netzbetreiber die Chance, ihre eigene Planung rechtzeitig zu hinterfragen und dieselben Fehler kein zweites Mal zu machen. Den Bürgerinnen und Bürgern in Oranienburg hilft das jedoch nicht. Hier sind jetzt kreative Notlösungen gefragt, an denen die Beteiligten bereits arbeiten. Zum Beispiel kann eine temporäre Erweiterung des bestehenden Umspannwerks Linderung bringen.

Die pauschale Ablehnung von Neuanschlüssen ist jedenfalls keine Option. Sie ist weder kreativ noch zielführend. Zur Erinnerung: Seit dem 1. Januar 2024 sind Netzbetreiber verpflichtet, steuerbare Verbrauchseinrichtungen an ihr Netz anzuschließen, und dazu zählen eben auch Wärmepumpen und Wallboxen. Im Gegenzug zu dieser Anschlusspflicht sind diese neu anzuschließenden Verbraucher netzorientiert zu steuern. Genau das schreibt die im Zuge der Umsetzung von Paragraf 14a EnWG ergangene Festlegung der Bundesnetzagentur vor.

Das Instrument der netzorientierten Steuerung wurde genau zur Abwehr solcher Probleme geschaffen, wie sie aktuell in Oranienburg auftreten. Natürlich gingen alle an dieser Festlegung Beteiligte immer von der Hypothese aus, dass ein Netzengpass in einem einzelnen Netzabschnitt durch eine in Spitzenzeiten zu hohe Entnahmeleistung der steuerbaren Verbrauchseinrichtungen hervorgerufen wird.

Dass im vorliegenden Fall stattdessen die grundsätzliche Einspeiseleistung in alle Netzabschnitte unzureichend ist und damit für das gesamte Stadtgebiet einen Netzengpass verursacht, ist eine interessante Variante des Paragraf-14a-Szenarios. Das ändert aber nichts an der verpflichtenden Anwendung des gesetzlichen Rahmens.

Netzorientierte Steuerung heißt, dass den betroffenen Kunden nicht jederzeit die maximale Leistung zur Verfügung steht. Netzbetreiber drosseln die Leistung von steuerbaren Verbrauchseinrichtungen vorübergehend. Damit werden die Lasten in ihrem Netz so verschoben, dass sie über den Tag und die Nacht gleichmäßiger verteilt sind. So entstehen im Netz weniger kritische Lastspitzen.

Natürlich braucht auch die netzorientierte Steuerung Technik, die heute noch nicht vorhanden ist. Ein weiteres Problem rückt in den Fokus, dass ausdrücklich nicht den Verantwortlichen in Oranienburg anzulasten ist. Es ist die noch nicht erfolgte Digitalisierung der Verteilnetze. Jahrelang verschleppt, hat diese erst in den vergangenen zwei Jahren nennenswert Fahrt aufgenommen.

Digitalisierung bringt Intelligenz in das Verteilnetz. Intelligenz hilft dabei, das vorhandene Netz besser auszunutzen und mehr Kunden anschließen zu können, auch wenn der Netzausbau erst später erfolgt. Im Wissen, dass die benötigte Intelligenz noch aufzubauen ist, wurden für das Hier und Jetzt Übergangsregelungen geschaffen, die es Netzbetreibern ermöglichen, vorhandene Technik im Sinne der neuen Ziele einzusetzen.

Nicht wirklich intelligent, aber zielführend, werden einzelne steuerbare Verbrauchseinrichtungen zu fest geplanten Zeiten vorübergehend in ihrer Leistung gedrosselt. Wenn reihum jeder betroffene Kunde einmal gedrosselt wird, ergibt das in Summe den gleichen Effekt, den die zukünftige Intelligenz mit deutlich weniger Eingriffen in einzelne Kundenanlagen erzielen soll.

Im Zusammenspiel mit den eingangs erwähnten, kreativen Lösungen zur temporären Erweiterung des Umspannwerks sollte so die Notlage abzuwenden sein. Ja, schön ist anders. Für potenzielle Kunden in Oranienburg ist das trotzdem die bessere Option, als gar keinen Anschluss an das Stromnetz zu erhalten.

Wenn man die Krise als Chance betrachtet, bietet das Problem der Stadtwerke Oranienburg der gesamten Energiewirtschaft die Chance, die Wirksamkeit der gerade eingeführten Maßnahmen zur besseren Ausnutzung der vorhandenen Netzinfrastruktur quasi in einem Reallabor zu erproben und gegebenenfalls noch zu verbessern. Im Zuge der Energiewende allein auf den Netzausbau zu setzen, wäre der falsche Weg.

Denn der Ausbau dauert in Deutschland zu lange. Digitalisierung ist mit weniger Aufwand verbunden und schneller zu erzielen. Kurz- und mittelfristig muss das Stromnetz so gut wie möglich digitalisiert werden. Mit der intelligenten Steuerung verschaffen wir uns Zeit, bis die Stromnetze ausreichend ausgebaut sind.

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