Kennen Sie das noch von „früher“? Wenn bei einer Zusammenkunft auch nur ein Strafrechtsanwalt oder eine Strafrechtsanwältin dabei waren, wurde er/sie schnell Mittelpunkt des Geschehens. Strafrechtsanwälte können erfahrungsgemäß auf einen nahezu unerschöpflichen Vorrat an interessanten Anekdoten ihres Alltages zurückgreifen. „Da habe ich dann den wahren Mörder überführt“, „Mein letzter Mandant kam mit seiner Waffe im Koffer“ und „Die Anfahrt lief mit verbundenen Augen“. Alles schon gehört, mitsamt weiterer teils gruseliger Details.
Mit meinen Erfahrungen aus dem Energie- oder Umweltrecht brauchte ich da gar nicht erst anfangen. „Die Braunkohleklausel gekippt? Aha, nun ja, toll“. Auf die Frage, was ich denn beruflich mache, antwortete ich in solchen Situationen mit dem vagen Hinweis „totale Sondermaterie, für bestimmte Unternehmen und so“. Seit es die Energiewende und den „Green Deal“ gibt, möchten Freunde und Bekannte aber gern auch hierüber sprechen. Die hohen Gas- und Strompreise oder die Art der Energieerzeugung bewegen sie dabei mehr als eine verteidigte gefährliche Körperverletzung.
Eine lockere Geburtstagsrunde wird zu einem Austausch von Fachwissen auf höchstem Niveau und die Emotionen erreichen bei bestimmten Themen ein für Jura erstaunliches Level. Weil ich am Ende regelmäßig die Expertin geben soll („Du kennst Dich da doch aus!“), praktiziere ich seit einiger Zeit den eingangs erwähnten Strafrechts-Move. Und erfreue meine Mitmenschen ungefragt und weitgehend abendfüllend mit Geschichten aus der Praxis des deutschen Planungs- und Genehmigungsrechts.
Tatsächlich gibt es da einiges zu erzählen und weil alle wollen, dass die Energiewende vorangeht (mein Aufhänger) und die Wirtschaft weiter in Deutschland investiert, starten wir schon mal mit einem partyfreundlichen Grundkonsens. Natürlich müssen Windräder, Stromtrassen, Elektrolyseure etcetera gebaut werden. Genauso wie es die funktionsfähigen Brücken und Straßen geben muss, Wohnungen, den Chemiepark oder die Papiermaschine. All dies setzt behördliche Genehmigungen voraus und auch der laufende Betrieb wird behördlich überwacht. Und hier komme ich ins Spiel, durchaus Netflix-tauglich, wie ich finde.
Zum Beispiel mit dieser Geschichte: Das Genehmigungsverfahren läuft plangemäß, bis die Mitarbeiterin einer Denkmalbehörde meint, der Baugrund muss komplett (alle 50 Zentimeter) mit Gräben durchzogen und auf erhaltenswertes Gut geprüft werden. Die Begründung für die damit verbundene, etwa zwölfmonatige Verzögerung lautet schlicht: „Diesseits des Urals findet man immer was!“ Dieser seither gern zitierte Satz überzeugt weder den Bauherrn noch die Anwältin. Diverse Gespräche und einen vertrauensbildenden Stadtbummel später findet sich auch eine akzeptable Lösung.
„Brauchen Sie doch hier gar nicht!“
Plot 2: Die (hier notwendig unsympathische) Mitarbeiterin der Fachbehörde Bau spricht sich gegen eine Genehmigung aus, weil die zwei Grundstücke (die dem Antragsteller gehören) nicht im Grundbuch vereinigt sind. Sämtliche Gespräche über die andere Rechtslage scheitern. Haben wir Zeit zu Gericht zu gehen? Natürlich nicht! Den Antrag auf die alternative und schnellere Vereinigungsbaulast wiederum nimmt die Mitarbeiterin des Bauamtes gar nicht erst entgegen. Zitat: „Lehne ich ja eh ab, muss ich also auch nicht annehmen. Sie müssen die Grundstücke vereinigen.“
Dass auch das nicht der Rechtslage entspricht, ist klar. Haben wir Zeit, zu Gericht zu gehen? Natürlich nicht! Diverse Gespräche mit allen Beteiligten später kommt er dann, der Anruf aus der Chefetage! „Sie bekommen die Genehmigung! Aber: Mal unter uns. Warum haben Sie diesen […] Antrag zur Vereinigungsbaulast gestellt? Wie, Alternative zur Grundstücksvereinigung? Brauchen Sie doch hier gar nicht.“ Ja, eben. Anwältin und Mandant verfallen in längeres gemeinsames Schweigen (bei zehn Monaten Verzug durchaus angemessen) und beschließen schlussendlich, die erhaltene Genehmigung einfach besonders ordentlich zu feiern.
Immerhin hat jede meiner Geschichten ein „happy end“. Ernst wird die Sache aber dann, wenn es nicht mehr möglich ist, Genehmigungen für wichtige Vorhaben in angemessenen Zeiträumen zu erwirken. Und so scheint es, wenn wir zum Beispiel nur auf die Stromtrasse SuedLink schauen – eine der seit Jahren in Planung befindlichen HGÜ-Leitungen, die anstatt 2022 nun 2028 in Betrieb gehen „soll“. Und für die bereits2013 die energiewirtschaftliche Notwendigkeit und der vordringliche Bedarf festgestellt wurden.
Schön ist, dass auch die Politik einen dringenden Handlungsbedarf festgestellt hat. Fast alle Parteien nannten in ihrem Wahlprogramm 2021 als die beste Antwort für die Klimawende die „Beschleunigung von Plan- und Genehmigungsverfahren“. Entsprechend oft taucht das Thema im Koalitionsvertrag von SPD, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN und FDP auf. Wobei der Handlungsdruck nicht allein mit dem Klimaschutz, sondern auch mit dem Verständnis von einem modernen (digitalen) Staat und der Notwendigkeit guter Infrastrukturen begründet wird. Konkrete Maßnahmen für das Gelingen der Beschleunigung werden auch gleich gezeigt, was den unbedingten Willen zur Beschleunigung glaubhaft werden lässt.
Die verschiedenen Vorschläge zeigen außerdem, dass für eine Beschleunigung weder das Prinzip der Sorgfalt noch die Beteiligungsmöglichkeiten oder der Rechtsschutz der Anwohner beschnitten werden muss. Legislativ angeordnete Vereinfachungen sind möglich oder bereits angelegt. Wenn Wind-, Photovoltaik-, Elektrolyseanlagen und Speicher als privilegierte Vorhaben im Außenbereich eingeordnet würden, wenn Länder und Kommunen zum Ausweisen von entsprechenden Flächen verpflichtet sind, wenn Ersatzbauten ohne weitere Planfeststellung möglich wären – dann ist allein hierdurch eine Beschleunigung für viele Anlagen möglich.
Weitere Erleichterungen für klimapositive Vorhaben werden diskutiert. Auch eine TA Artenschutz, ähnlich der bekannten und zum 1. Dezember 2021 gerade reformierten TA Luft, wäre ein Beitrag zur Klarheit und Vereinfachung für alle Beteiligten. Oder die fortlaufende behördliche Betrachtung der FFH- und Natura-2000-Gebiete.
Private Projektmanager, reformierte Behörden
In der Praxis zeigt sich auch, dass die Genehmigungserteilung schneller erfolgen kann, wenn die Vorhabenträger*innen den richtigen Input leisten (dürfen), zum Beispiel durch die Finanzierung privater Projektmanager*innen oder auch externer und der Behörde verpflichteter Sachverständiger. Gleichzeitig schließlich muss bei den Behörden selbst reformiert werden. Personal und Mittel müssen vermehrt bereitgestellt und Fachexpertise in Pools gebündelt werden.
Hilfreich wäre auch der Grundsatz, dass von mehreren Alternativen immer diejenige zu wählen ist, mit der ein Vorhaben am schnellsten realisiert werden kann. Klingt schlüssig, ist aber kein allgemein gültiger Handlungsmaßstab. Deshalb meint eine Fachbehörde (Achtung, Anekdote Nummer drei) den Brandschutz- und Standsicherheits-Nachweis schon im Genehmigungsverfahren fordern zu müssen, obwohl der Vorhabenträger – nicht ungewöhnlich – noch nicht einmal in der Detailplanung ist. Die Auflage zur Genehmigung, nach der beide Nachweise vor Inbetriebnahme vorzulegen sind, wäre zwar gleichwertig, aber – so die Mitarbeiterin – „geht so nicht“. In anderen Bundesländern geht das schon. Und schwups. Wieder ein Potential zur Beschleunigung identifiziert.
Generell sollten
Genehmigungsverfahren als Leitlinie die Effizienz und partnerschaftliche
Zielgerichtetheit etablieren, mit einer klaren Stärkung der federführenden
Genehmigungsbehörde. Dann wären zwar die Plots 1-3 nicht geschehen. Das
allerdings macht wiederum nichts. Dann könnte ich über die vielen guten
Erlebnisse und Ergebnisse erzählen, die es in den Genehmigungsverfahren natürlich
auch schon jetzt gibt. Und wenn die langweilig werden, kann ich immer noch auf
diverse wilde Geschichten aus der Compliance-Welt zurückgreifen.