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Energie & Klima

Standpunkte Mit Chemie beim Klimaschutz durchstarten

Denise Dignam, President, Chemours Advanced Performance Materials
Denise Dignam, President, Chemours Advanced Performance Materials Foto: Chemours

Der Wandel zu einer nachhaltigen Wirtschaft ist aufgrund des Klimawandels alternativlos. Wir müssen unsere Anstrengungen intensivieren, um Emissionen zu senken und gleichzeitig die Energiesicherheit zu wahren. Dabei könne die Chemie eine entscheidende Rolle spielen – wenn man sie lasse, argumentiert Denise Dignam vom US-Chemiekonzern Chemours.

von Denise Dignam

veröffentlicht am 03.06.2022

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Die russische Invasion in der Ukraine hat die europäische Verwundbarkeit in der Energieversorgung offengelegt. Der Aufbau einer versorgungssicheren Infrastruktur genießt in Europa jetzt höchste Priorität. Damit verbunden ist ein beschleunigter Ausbau erneuerbarer Energien. Sie sollen ein Mehr an Energieunabhängigkeit gewährleisten. Der schnelle Ausbau der Erneuerbaren ist auch und gerade mit Blick auf den Klimawandel ein wichtiges Signal. Schließlich drohen wir unsere Klimaziele aus dem Blick zu verlieren. Das hat der jüngste IPCC-Bericht klar unterstrichen.

Um beim Kampf gegen die Erderwärmung nach vorne zu kommen, ist es mit dem Ausbau der Erneuerbaren allein aber nicht getan. Wir müssen alle zusammenarbeiten, um die schnelle, nachhaltige Transformation unserer Gesellschaft zu forcieren. Bislang kommen wir damit leider nur in Trippelschritten voran. Dadurch wird das Problem immer größer, was zwangsläufig auch dessen Lösung erschwert.

Wie kommen wir aus diesem Teufelskreis heraus? Zunächst einmal wäre es sinnvoll, wenn sich alle Beteiligten, auch die Chemieindustrie, von den über Jahre gewachsenen ideologischen Glaubenssätzen verabschieden würden. Wir müssen konkrete Handlungsschritte definieren, die auf einem klaren Verständnis der Fakten und einem Grundverständnis für die unterschiedlichen Interessenlagen in unserer Gesellschaft fußen.

Das wird allen Beteiligten schmerzhafte Zugeständnisse abverlangen. Anders geht es aber nicht. Wir brauchen eine valide Strategie, die größtmögliche gesellschaftliche und politische Akzeptanz besitzt, langfristige Gültigkeit behält und klare Leitlinien definiert, um die nötige Transformation zu realisieren. Wir müssen Emissionen schnell und signifikant reduzieren – und auf einem niedrigen Niveau halten. Daraus kann dann endlich ein berechenbarer Rahmen resultieren, der es der Wirtschaft erlaubt, langfristig zu planen und zu investieren.

Chemie ist unverzichtbar für „Net Zero“

Auch die Chemieindustrie wird dazu ihren Beitrag leisten müssen. Und dazu sind wir bereit. Wir unterwerfen uns selbst ambitionierten Klimaschutzzielen und stellen uns offen kritischen Fragen zu uns und unseren Produkten. Wir wollen Berührungsängste abbauen und dafür sorgen, dass unsere Branche in die Diskussion um die nachhaltige Transformation einbezogen wird, denn ohne uns wird es nicht funktionieren. Wir sind Schrittmacher dieser Transformation für zahlreiche andere Sektoren. Und die Potenziale der Chemie sind noch lange nicht ausgeschöpft.

Das zeigt schon der Blick auf die Spezialchemikalien. Zum Beispiel sorgen Hochleistungsmaterialien (Advanced Performance Materials) dafür, dass Windräder robust und weniger fehleranfällig sind. Auch in der Solarindustrie dienen sie als elektrische Isolierung und verlängern die Lebensdauer der Module um bis zu 25 Jahre. Sie sind außerdem ein zentraler Bestandteil von Wärmepumpen und isolierenden Farben und Schäumen, die eine Schlüsselrolle im energieeffizienten und nachhaltigen Bausektor spielen. Und ohne Ionenaustauschmembrane ist die baldige emissionsneutrale Herstellung von Wasserstoff nicht realisierbar.

Ähnliches gilt für die Bedeutung von Hochleistungsmaterialien in verschiedenen anderen Bereichen, die elementar für die nachhaltige Transformation sind. Hochleistungschemikalien sind für die Halbleiterproduktion und den Ausbau einer breiten 5G-Infrastruktur enorm wichtig. Auch werden sie in moderneren Brennstoffzellen und in Batterien in Elektrofahrzeugen eingesetzt und erhöhen die Effizienz und Sicherheit in zahlreichen Automobilkomponenten.

Zielgerichtete Regulierung

Sofern die Chemiebranche die nötige Investitionssicherheit erhält, können bei Hochleistungschemikalien noch erhebliche Innovationssprünge erwartet werden, die wiederum die Transformation der Wirtschaft enorm befördern werden.

Daraus lässt sich selbstverständlich nicht der Schluss ableiten, dass man ihnen pauschal eine Unbedenklichkeitsbescheinigung ausstellen sollte. Im Gegenteil: Wir befürworten eine genaue Abwägung, ob ein chemischer Stoff sicher eingesetzt werden kann und einen signifikanten sozioökonomischen Mehrwert schafft. Genau das geschieht im Rahmen der bestehenden EU-Regulierung.

Die mit diesem Regulierungsrahmen verbundene Berechenbarkeit droht aber zu verschwinden. So wird im Januar 2023 ein EU-Beschränkungsvorschlag für die gesamte PFAS-Gruppe (per- und polyfluorierte Chemikalien) erwartet. Damit würden nicht weniger als 4700 Stoffe im Rasenmäher-Verfahren gleichförmig reguliert und aus dem Markt gedrängt werden. Vergessen wird dabei, dass sich diese Stoffe im Hinblick auf Risikoprofil, Umweltauswirkungen, Anwendungen und ihren sozioökonomischen Mehrwert ganz erheblich voneinander unterscheiden.

Das wiegt hier besonders schwer, denn auch viele Spezialchemikalien sind den PFAS zugeordnet. Wenn sie ungeachtet ihres eindeutig beherrschbaren Risikoprofils vom Markt verschwinden würden, hätte das massive negative Auswirkungen auf die Transformation vieler Industrien und letztendlich auch auf den Klimaschutz.

Detaillierte Einzelfallprüfung notwendig

Deshalb ist es umso wichtiger, auch hier sorgfältig und zielgerichtet vorzugehen. Das heißt nicht, dass gar nichts passieren soll. Der existierende Regulierungsrahmen bietet genau den notwendigen Rahmen, um jede Substanz genau unter die Lupe zu nehmen und daraus zielgerichtete Regulierungsschritte abzuleiten, im besten Interesse des Umweltschutzes.

Genau auf diesen harten Regulierungsrahmen vertrauen wir in der Chemieindustrie. Er schafft die Planungssicherheit, die wir für Investitionen in neue nachhaltige und klimafreundliche Innovationen und Lösungen brauchen. Dieser Regulierungsrahmen sorgt für Substitutionen, wo immer diese möglich sind. Wenn uns diese Planungssicherheit gewährt wird, kann die Chemie ihre Schlüsselfunktion erfüllen. Und genau das werden wir dann auch tun.

Die ausgebildete Chemieingenieurin Denise Dignam ist seit Anfang 2021 Präsidentin von Advanced Performance Materials (früher Fluorprodukte), einer Spezialchemie-Sparte des US-Chemiekonzerns The Chemours Company. Chemours wurde 2015 als Spin-off des Chemieriesen DuPont gegründet. 

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