Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Bruttostromerzeugung lag im ersten Halbjahr 2023 bei rund 52 Prozent. Nach dem Willen der Bundesregierung soll dieser Anteil auf dem Weg zu einem klimaneutralen Stromsystem im Jahr 2030 auf mindestens 80 Prozent steigen.
Dabei muss der Netzausbau mit der Energiewende schritthalten. Dem jüngsten „Bericht zum Zustand und Ausbau der Verteilernetze 2021“ der BNetzA zufolge besteht ein Investitionsbedarf von 27,61 Milliarden Euro. Allein bis zum Jahr 2031 würden die Verteilernetzbetreiber eine Verdopplung der Leistung der angeschlossenen Erneuerbare-Energien-Anlagen in der Hochspannungsebene erwarten. Ein Teil der erwarteten Kosten des Netzausbaus könnte vermieden werden, wenn zukünftig verstärkt auf Erneuerbare-Energien-Gemeinschaften (EG) gesetzt wird, das heißt auf den dezentralen beziehungsweise verbrauchsnahen Ausbau erneuerbarer Energien in Kombination mit Stromspeichern. Dennoch werden EG durch den bestehenden Rechtsrahmen diskriminiert und ausgebremst.
90 Prozent der Haushalte könnten versorgt werden
Die EG ist ein lokaler oder regionaler Zusammenschluss von Erzeugern und Verbrauchern erneuerbarer Energien, bei dem die Mitglieder den selbst erzeugten Ökostrom ihrer Gemeinschaft systemdienlich verbrauchen. Entscheidend ist, dass überschüssiger Ökostrom zwischen den Mitgliedern einer regionalen EG auf den untersten Netzebenen effizient verteilt werden kann.
Innerhalb der Grenzen der EG können Angebot und Nachfrage durch intelligentes Netzmanagement so aufeinander abgestimmt werden, dass Stromspeicher, Wärmepumpen betrieben oder Elektroautos geladen werden, wenn zu viel Strom produziert wird, und zurückgeregelt wird, wenn zu wenig Strom vorhanden ist. Insbesondere die Kombination von Batteriespeichern mit PV-Anlagen kann zu einem effizienten und ökologischen und in diesem Sinne flexibleren Energiesystem beitragen.
Die EG bieten ein erhebliches Potenzial für ein klimaneutrales Stromsystem, da 35 Prozent des im sogenannten Osterpaket vereinbarten Zubaus von 330 Gigawatt Windkraft und Photovoltaik bis 2030 durch direkte Bürgerbeteiligung installiert oder gemeinschaftlich erzeugt werden könnten. Das entspricht 75 Gigawatt Leistung (beziehungsweise jährlich 75 Terawattstunden), so das zentrale Ergebnis der Analyse, Potenzialstudie des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IöW) zum Energy Sharing .
Der zweite Aspekt ist die Teilhabe: Über 90 Prozent aller Haushalte in Deutschland könnten mit vergünstigtem „Energy-Sharing-Strom“ versorgt werden. Dafür wären in Deutschland geschätzt 5900 Energiegemeinschaften notwendig.
Gleichzeitig erhöhen die EG den Eigenverbrauch und die Spitzenlastkappung reduziert die Nachfrage nach (öffentlichem) Netzstrom, was wiederum den Netzausbaubedarf und die Abhängigkeit von Rohstoffimporten verringert.
Letztlich kann Ökostrom kostengünstiger bereitgestellt werden. Überschüssiger Ökostrom muss nicht mehr in das öffentliche Stromnetz eingespeist werden, wofür in Deutschland Netzentgelte sowie weitere Umlagen und Abgaben anfallen, die den Strom verteuern können. In der EG hingegen gilt ein Preis sowohl für den Strombezug aus der EG als auch für die Überschusseinspeisung, also den Verkauf von überschüssigem PV-Strom innerhalb der EG. Dadurch wird nicht nur die Autonomie der Gemeinden oder Regionen gestärkt, sondern es werden auch Gebühren reduziert und der überregionale Stromtransport verringert.
Politische Weichenstellungen vor Ort und andernorts
Die Europäische Union hat „Energy Sharing“ bereits 2019 in der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (Paragraf 22) mit einer Umsetzungsfrist bis Mitte 2021 verankert. Zwar wird die „Bürgerenergiegesellschaft“ mit der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) 2023 erstmals europarechtskonform gesetzlich definiert, dennoch verhindert die aktuelle Rechtslage, dass sich Erneuerbare-Energien-Gemeinschaften bilden und wirtschaftlich arbeiten können. Bislang ist es nach deutschem Recht zwar möglich, dass Bürgerenergiegemeinschaften gemeinsam Strom erzeugen, nicht aber, dass sie den Strom auch gemeinsam selbst nutzen. Die gemeinschaftliche Nutzung des erzeugten Stroms wird nach wie vor faktisch verhindert, da alle Netzentgelte (in voller Höhe), Umlagen und Steuern zu zahlen sind und es sich daher schlicht nicht lohnt.
Demgegenüber hat Österreich die Richtlinie bereits erfolgreich umgesetzt und beheimatet 230 aktive Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften. Vereinfacht ausgedrückt streicht oder senkt Österreich die Steuern, Abgaben und Entgelte, sodass die Netzgebühren im Mittelspannungsbereich um 28 Prozent bis zur Niederspannung um 58 Prozent gesunken sind. Auch die energiewirtschaftlichen Auflagen wie Bilanzierungs- und Messpflichten wurden deutlich reduziert.
Davon profitieren nicht nur die Endverbraucherinnen und Endverbraucher, besser gesagt, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der EG, sondern auch Energiesystemanbieter wie Neoom, da die Rahmenbedingungen in Österreich einen wirtschaftlichen Betrieb für alle Marktteilnehmer gewährleisten. Wie das funktioniert, sehen wir in der Gemeinde Freistadt in Österreich. Auf Basis der Erfassung und Speicherung der realen Lastgänge über mehrere Monate mit einer speziellen Software produziert Freistadt nun 700.000 kWh Grünstrom pro Jahr, erreicht damit einen Autarkiegrad von durchschnittlich 79,9 Prozent und spart 50 Tonnen CO2 pro Jahr. Die Teilnehmer der Energiegemeinschaft vor Ort zahlen für den Strom 12 bis 15 Centweniger als für den normalen Netzstrom.
Ökostrom systemdienlich verbrauchen
Der regulatorische Rahmen in Deutschland muss nun weiterentwickelt werden, damit EG ihren systemdienlichen Charakter entfalten können. Dabei müssen auch die offenen Fragen zur „Versicherungsfunktion“ des öffentlichen Netzes als Backup politisch entschieden werden, um die Verbreitung von EG akzeptanzfördernd voranzutreiben. Hier geht es dann um eine sachgerechte Reduzierung der Netzentgelte, Umlagen und Steuern, die durch eine geringere Belastung des Stromnetzes durch EG begründet werden könnten, um das EG-Modell nicht zu diskriminieren.
EG tragen zu den übergeordneten klima- und energiepolitischen Zielen der Bundesregierung bei und können die Energiewende für Netzbetreiber und alle Marktteilnehmer bezahlbar machen. Auch die Ampelregierung hat die Umsetzung von EG im Koalitionsvertrag festgeschrieben und mit der Novelle des EEG 2023 signalisiert, dieses Potenzial nutzen zu wollen. Nun gilt es, die politischen Rahmenbedingungen – analog zu Österreich – zu schärfen und das große Potenzial der EG nutzbar zu machen.
Walter Kreisel ist Geschäftsführer der Neoom Germany GmbH, einem
Unternehmen für integrierte dezentrale Energielösungen. Das Unternehmen stellt
Batteriespeicher und Ladestations-Produkte einschließlich
Energiemanagement-Software her.