Deutschland befindet sich im Dauerkrisenmodus. Zur nach wie vor nicht ausgestandenen Coronakrise kommen der russische Angriff auf die Ukraine und die dadurch ausgelöste Energiekrise. Vor diesem Hintergrund sucht die Ampel-Koalition händeringend nach Unabhängigkeit von russischem Gas und Öl. Der Krieg in der Ukraine beschleunigt die Energie- und Wärmewende in Deutschland. Neben dem Ausbau der Photovoltaik – Stichwort Solardachpflicht – kursiert in der aktuellen Debatte auch die Idee, Gebäude in Deutschland schnellstmöglich mit Wärmepumpen auszustatten und hierfür umfassende Förderprogramme aufzusetzen.
Wärmepumpen sind aber keinesfalls für jede Art von Gebäude ideale Lösung. Zudem sind sie weder für die Unabhängigkeit von Putins Gas noch für die Wärmewende ein kurzfristig umsetzbares Rezept, denn es geht beim Einbau der Anlagen nur in Mäuseschrittchen voran. Im bisherigen Rekordjahr 2021 wurden gerade einmal 154.000 Anlagen in Betrieb genommen. Bis 2050 müssten 15 bis 17 Millionen Wärmepumpen eingebaut sein, um Klimaneutralität zu erreichen.
Die Bundesregierung hat sich tatsächlich sogar ein noch ambitionierteres Ziel vorgenommen, nämlich Klimaneutralität bis 2045. Die Rolle des Gebäudesektors zum Erreichen dieses Ziels ist bekannt; dennoch sind von 35 Millionen Wohngebäuden nach wie vor knapp drei Viertel unsaniert. Ihr Ziel, jährlich ein Prozent der Gebäude energetisch zu sanieren, hatte die letzte unionsgeführte Bundesregierung 2021 erneut verfehlt – eine schwere Hypothek, für die die Ampel-Koalition jetzt Lösungen finden muss.
Jede neue Anlage muss fachgerecht installiert und eingestellt werden, um ihre volle Effizienzwirkung zu entfalten. Bloß: Dem Handwerk in Deutschland fehlen dafür die Fachkräfte. Wer umfangreiche Förderprogramme auflegt, ohne dieses Problem zu lösen, läuft Gefahr, viel Geld in den Sand zu setzen und fürs Klima wenig zu gewinnen. Allen diskutierten Instrumenten und Maßnahmen ist eines gemeinsam: Sie können nur umgesetzt werden, wenn es gelingt, die dafür nötigen gut ausgebildeten Fachkräfte zu gewinnen und dauerhaft im Handwerk zu halten. Dieser Aspekt kommt in der Debatte deutlich zu kurz.
Fachkräftemangel – ein hausgemachtes Problem
Bereits heute fehlen dem Handwerk in Deutschland 65.000 Fachkräfte, davon 54.000 Gesellinnen und Gesellen. Rund 40 Prozent der für den Umbau zur Klimaneutralität benötigten Arbeitskräfte entfallen im Jahr 2035 auf Berufsgruppen, für die die Bundesagentur für Arbeit (BA) schon im Jahr 2019 einen Mangel festgestellt hat.
Diese Fachkräftelücke vergrößert sich stetig, verschärft auch durch den demografischen Wandel: Zahlen der SOKA-Bau zufolge, der Lohnausgleichskasse für die Branche, sind aktuell rund 45 Prozent aller Beschäftigten im Bauhauptgewerbe über 45 Jahre alt. Das heißt, dass 180.000 Beschäftigte in den nächsten fünf bis zehn Jahren altersbedingt aus dem Beruf ausscheiden. Besonders betroffen ist der Bereich der Bau- und Ausbaugewerke, der für den Umbau der Energieversorgung auf Erneuerbare und damit für das Erreichen der Klimaziele zunehmend bedeutsam wird. Für die Demografie kann die Branche nichts – wohl aber für ihre Attraktivität für Beschäftigte.
Tarifflucht treibt Beschäftigte in die Industrie
Denn nicht nur die hohe körperliche Belastung besonders in den Bau- und Ausbaugewerken führt dazu, dass mehr als die Hälfte der im Handwerk ausgebildeten Fachkräfte in die Industrie wechseln. Auch schlechtere Arbeitsbedingungen, niedrige Entlohnung und fehlende Perspektiven durch mangelnde Fort- und Weiterbildung tragen dazu bei. Im Handwerk liegt der Monatslohn im Schnitt 1000 Euro unter dem in der restlichen Wirtschaft.
Auch die durchschnittliche Wochenarbeitszeit liegt mit 40,6 Stunden deutlich höher, 20 Prozent der Handwerksbeschäftigten arbeiten sogar mehr als 48 Stunden wöchentlich. Mehr arbeiten, weniger verdienen – dass Fachkräfte sich umorientieren, ist wenig verwunderlich. Die Bedingungen im Handwerk wirken sich einer Erhebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes zufolge auch auf die Zukunftserwartungen der Beschäftigten aus: 79 Prozent rechnen mit einer niedrigen Rente, die nicht oder nur knapp zum Leben reicht. 39 Prozent fürchten sogar, das Rentenalter in ihrem Beruf erst gar nicht zu erreichen.
Was dagegen hilft? Der Schutz durch Tarifverträge. Derzeit arbeiten aber nur noch 30 Prozent der Beschäftigten in Handwerksbetrieben unter den Bedingungen eines Tarifvertrags. Mit der Abschaffung des Branchenmindestlohns in der Baubranche werden es künftig noch weniger sein. Hauptursache für die sinkende Tarifbindung ist die Tarifflucht der Arbeitgeber, die trotzdem nicht müde werden, den Fachkräftemangel zu jeder Zeit öffentlich laut zu beklagen.
Die Politik kann jetzt den richtigen Rahmen setzen
Die Ampel-Koalition hat jetzt die Chance, mit den richtigen Rahmenbedingungen zur Lösung dieser Schwierigkeiten beizutragen. Dazu gehört, die Tarifbindung zu fördern: Sogenannte „Ohne-Tarif“-Mitgliedschaften in Arbeitgeberverbänden müssen der Vergangenheit angehören. Innungen und ihre Verbände müssen in die Pflicht genommen werden, ihre gesetzliche Aufgabe als Tarifpartner wahrzunehmen.
Darüber hinaus müssen die Verantwortlichen in der Politik Förderprogramme an Bedingungen knüpfen: Für den Gebäudebereich sollte der Förderrahmen auf 15 Jahre festgelegt und die Förderquote in diesem Zeitraum so gesetzt sein, dass zeitnahe Investitionen beispielsweise in Gebäudedämmung oder neue Heizungen stärker gefördert werden als später vorgenommene (degressive Förderstruktur).
Unternehmen, die geförderte Aufträge ausführen, sollten dafür ihre fachliche Eignung, Kapazität sowie die Erfüllung zentraler sozialer Kriterien wie die Zahlung von Tariflöhnen bei der KfW nachweisen müssen. Gerade kleineren Bauherren – vor allem Eigentümer:innen von Einfamilien- oder Mietshäusern – könnten dann auf eine Positivliste von Unternehmen zurückgreifen. Damit könnte der bürokratische Aufwand bei der Beantragung von Fördermitteln erheblich minimiert werden.
Tempo geht nur mit attraktiven Arbeitsplätzen
Besonders bei geringeren Projektvolumen ist es außerdem weit verbreitet, dass Aufträge an Subunternehmer weitergegeben werden. Auftraggeber können dann nicht mehr nachvollziehen, wer zu welchen Konditionen und Bedingungen auf der eigenen Baustelle arbeitet und über welche Qualifikation die Handwerker:innen verfügen. Fehler in der Montage oder bei der Wartung kommen aber sowohl Verbraucher als auch das Klima auf Dauer teuer zu stehen. Zusammen mit einer Beschränkung von Subunternehmerketten würde eine Präqualifizierung der Auftragnehmer bei der KfW für kleinere Bauherren mehr Verlässlichkeit bei der Qualität der durchgeführten Arbeit mit sich bringen und für die Beschäftigten sicherstellen, dass sie gerecht entlohnt unter guten Bedingungen arbeiten.
Alle diese Fortschritte wären wichtig für die
Beschäftigten, aber sie helfen auch bei der Umsetzung eines zentralen
gesellschaftlichen Ziels. Bleibt die Attraktivität des Handwerks und des
Baugewerbes so gering wie jetzt, gibt es keine Aussichten, den Fachkräfteschwund
zu stoppen. Die Infrastruktur einer klimaneutralen Gesellschaft, von der Wärmepumpe
bis zur energetischen Sanierung, kann dann unmöglich im geforderten Tempo
erreicht werden.