In Politik und Medien werden die Diskussionen um die einheitliche deutsche Strom-Gebotszone und lokale Netzentgelte häufig miteinander vermischt. Im Kern geht es bei beiden Debatten darum, Fehlanreize in ökonomisch stimmige Anreize zu überführen. Da Veränderungen jedoch Umverteilungen mit sich bringen, ist daraus eine festgefahrene politische Diskussion geworden – geprägt von der Hoffnung auf günstigere Strompreise in Norddeutschland und Sorgen um höhere Strompreise im Süden.
Bei der Diskussion der Gebotszone geht es darum, strukturelle Engpässe innerhalb des deutschen Übertragungsnetzes für die Marktteilnehmer sichtbar zu machen. Aktuell ist das nicht der Fall. In Zeiten hoher Windeinspeisung, vor allem im Norden, sinken die Strompreise deutschlandweit. Flexible Verbraucher erhalten einen Anreiz, ihren Stromverbrauch zu erhöhen. Tatsächlich kann aufgrund von Netzengpässen ein Teil des günstigen Windstroms nicht nach Süddeutschland transportiert werden. Stattdessen werden teure Gaskraftwerke in Süddeutschland hochgefahren.
Die Kostendifferenz wird auf alle Stromkunden umgelegt. Die Bundesnetzagentur beziffert die Summe aller Kosten für die Bewirtschaftung der Netzengpässe für 2022 auf 4,2 Milliarden Euro, ab 2026 sollen diese Kosten laut Prognosen von Frontier Economics auf jährlich 6,5 Milliarden Euro steigen. Wenn Gaskraftwerke in einigen Jahren zunehmend mit Wasserstoff befeuert werden, steigen diese Zusatzkosten weiter.
Ziel eines effektiven europäischen Strommarktdesigns sollte es sein, vor allem flexiblen Verbraucher:innen über differenzierte Preise zu signalisieren, mit welchen energiewirtschaftlichen Kosten der Betrieb ihrer Anlagen verbunden ist. Vor diesem Hintergrund wird die Aufteilung Deutschlands in zwei oder mehr Gebotszonen diskutiert. Da das gegenwärtige einheitliche System auch negative Auswirkungen auf den Stromaustausch mit den europäischen Nachbarn hat, hat der europäische Regulierer ACER die deutschen Übertragungsnetzbetreiber aufgefordert, sogar bis zu fünf deutsche Gebotszonen auf ihren volkswirtschaftlichen Nutzen hin zu untersuchen.
Schon heute drastische Strompreisunterschiede
Die aktuell meistdiskutierte Option ist eine Trennung der einheitlichen deutschen Gebotszone in zwei Zonen. Der Effekt einer solchen Zweiteilung ist jüngst in verschiedenen modellgestützten Analysen berechnet worden. Interessanterweise kommen die Analysen, trotz teils unterschiedlicher Annahmen und Methodiken, zu weitgehend übereinstimmenden Ergebnissen: So berechnen sie Strompreisunterschiede im mittelfristigen jährlichen Durchschnitt von etwa einem Cent pro Kilowattstunde.
Dabei gäbe es viele Stunden mit Preisgleichheit und einige Stunden mit hohen Preisdifferenzen, maßgeblich bei Starkwind mit hoher Stromnachfrage. Würden flexible Kund:innnen im Süden ihren Verbrauch in diesen Zeiten reduzieren, könnten sie nicht nur ihren eigenen Bezugspreis reduzieren, sondern auch dafür sorgen, dass die durchschnittlichen Preise sinken – zugunsten aller.
In der politischen Debatte geht es häufig weniger um die Effizienz des Energiesystems, sondern mehr um die Wettbewerbsposition der betroffenen Unternehmen, also um die potenziellen negativen Auswirkungen auf Wertschöpfung und Arbeitsplätze.
Regelmäßig unterschätzt wird dabei, in welchem Maße Verbraucher:innen schon heute unterschiedlichen Strombezugskosten infolge der erheblichen Divergenz der Netzentgelte ausgesetzt sind. Für einen industriellen Verbrauch in der Mittelspannung mit 24 Gigawattstunden im Jahr, einer Jahreshöchstlast von 4000 Kilowatt und einer Jahresbenutzungsdauer von 6000 Stunden gibt die BNetzA in ihrem Monitoringbericht 2022 eine Netzentgelt-Spanne von 0,74 bis 5,73 Cent pro Kilowattstunde an, je nachdem, an welches der 900 Verteilnetze der Verbraucher angeschlossen ist.
Leidtragend sind vor allem die ländlichen Gebiete
Interessanterweise tritt die maximale Spreizung von fast fünf Cent innerhalb eines einzigen Bundeslandes auf: in Bayern. Selbst ohne das Extrembeispiel Bayern gibt es im bundesweiten Vergleich eine Spreizung der Netzentgelte um 4,58 Cent. Bei einer Betrachtung der mengengewichteten Mittelwerte je Bundesland ergibt sich eine Spreizung von 2,41 Cent (Saarland) bis zu 3,35 Cent (Schleswig-Holstein), also von knapp einem Cent pro kWh – das ist in etwa die gleiche Differenz, die bei einem Split der Gebotszonen zu erwarten wäre.
In der Regel sind also die regionalen Entgeltdifferenzen der Verteilnetze deutlich höher als der Effekt einer Gebotszonenteilung, sowohl im Hinblick auf eine Nord-Süd-Betrachtung als auch beim Vergleich der Bundesländer untereinander. Bei den kleineren gewerblichen Verbrauchern und Haushaltskund:innen ist der Unterschied aufgrund ihrer insgesamt höheren Netzentgelte sogar noch ausgeprägter.
Dabei gilt: Leidtragende hoher Netzkosten sind vor allem Verbraucher:innen in ländlichen Gebieten. Sie sind doppelt benachteiligt, da die Infrastruktur – wie immer schon – von einer geringeren Anzahl an Kund:innen finanziert werden muss. Hinzu kommen mit dem fortschreitenden Ausbau von Windkraft und Solarenergie auf dem Land weitere Kosten für deren Netzanschluss. Für die Akzeptanz der Energiewende ist dies ein Problem. Forderungen nach einer Neuausrichtung der Netzkostenallokation erscheinen da folgerichtig.
Folgt man der Logik, dass Gebotszonen durch Engpassfreiheit im Übertragungsnetz definiert werden, müsste man diesen Ansatz auch auf die Verteilnetze anwenden. Wenn innerhalb der (nationalen) Gebotszone(n) Engpassfreiheit besteht, sollten auch die Entgelte der Verteilnetze keine regionalen Verbrauchshürden darstellen. Die Preise für die Nutzung der Verteilnetze müssten innerhalb der jeweiligen Spannungsebene angeglichen werden, so wie das (schrittweise) seit 2017 für die Übertragungsnetzkosten umgesetzt wurde.
BNetzA muss Antwort auf Ungerechtigkeit liefern
Bei diesem Ansatz würden die tendenziell höheren Netzkosten im Norden über ganz Deutschland ausgeglichen. Zumindest solange Verbraucher:innen im Süden trotz Netzknappheit vom günstigen Wind im Norden profitieren und die resultierenden Kosten der Engpassbewirtschaftung auch von den Verbraucher:innen im Norden getragen werden. Bei einer Teilung der Gebotszone wären nach dieser Logik nur die Verteilnetzkosten innerhalb der jeweiligen Region auszugleichen. Wie sich die summierten Strombezugskosten industrieller Verbraucher dadurch ändern, hängt dann vom Gebotszonenzuschnitt und den aktuellen lokalen Netzentgelten ab.
Mit Inkrafttreten des novellierten Energiewirtschaftsgesetzes wird innerhalb der Bundesnetzagentur eine neue Beschlusskammer geschaffen, die für grundsätzliche und politische Netzkostenfragen zuständig sein wird. Wenn man den Äußerungen des BNetzA-Präsidenten Klaus Müller folgt, ist ein Beschlussverfahren als politische Antwort auf die wachsende Ungerechtigkeit der Netzkostenverteilung bald zu erwarten. Damit kann der Regulierer einen wichtigen Beitrag für die Akzeptanz der Energiewende leisten, gerade im ländlichen Raum, wo die Transformation vornehmlich stattfindet und auch besonders sichtbar ist.
Der Ball liegt im Spielfeld der BNetzA. Es wird spannend, wie sie ihre neue Unabhängigkeit einsetzen wird.
Philipp Godron ist Programmleiter Strom beim Thinktank
Agora Energiewende. Andreas Jahn arbeitet als Senior Associate beim Regulatory
Assistance Project (RAP), ebenfalls einem Thinktank.