Nur wenige Themen bewegen die Energiebranche so sehr wie die Ausgestaltung des Paragrafen 14a EnWG – verbirgt sich hinter diesem dürren Eintrag im Energiewirtschaftsgesetz doch eine der größten ungelösten Fragen der Energiewende: Wie lässt sich der steigende Stromverbrauch von E-Autos und Wärmepumpen mit den begrenzten Kapazitäten der Stromnetze unter einen Hut bringen?
Der deutsche Ansatz, um die Netze vor Lastspitzen durch E-Autos und Wärmepumpen zu schützen, erscheint zunächst plausibel. Drohen netzkritische Situationen, soll der Netzbetreiber eingreifen und Netzanschlusspunkte mit dahinter liegenden Wärmepumpen, Wallboxen, Speichern und Klimaanlagen abregeln können, bis die Gefahr vorbei ist. Abgewickelt werden soll das Ganze über das Smart Meter Gateway als Schnittstelle zwischen Stromnetz und Gebäude.
Das Problem: Es ist immer noch vollkommen unklar, wie die sogenannte „Reduzierung des netzwirksamen Leistungsbezugs“ flächendeckend umgesetzt werden soll. Bis heute ist dazu kein einziger Netzbetreiber in der Lage – und das, obwohl seit Jahren über die technischen Feinheiten diskutiert wird. Fast noch gravierender: Der Ansatz geht völlig an den Bedürfnissen der Menschen vorbei, die die Energiewende umsetzen sollen. Denn niemand freut sich, wenn der Strom abgeregelt wird.
Jüngster Vorschlag der Bundesnetzagentur zeigt gute Ansätze
Nachdem frühere Entwürfe heftig kritisiert worden waren, hat die mit der Ausgestaltung beauftragte Bundesnetzagentur kürzlich einen neuen Vorschlag für die Regeln rund um den 14a-Paragrafen vorgelegt. Dieser bleibt zwar dem alten Abregelungsprinzip treu, zeigt aber zum ersten Mal wirklich gute Ansätze.
So werden endlich zeitvariable Netzentgelte und damit ein wichtiges Marktinstrument gegen Lastspitzen berücksichtigt. Positiv ist auch, dass die Besitzer*innen von E-Autos und Wärmepumpen für die Eingriffe ausreichend finanziell entschädigt werden. Außerdem bleibt es den Besitzer*innen jetzt freigestellt, wie die Eingriffe hinter dem Netzanschlusspunkt technisch umgesetzt werden.
Technische Umsetzung der 900 Netzbetreiber ungeklärt
Bleibt die Problematik in der Praxis: Nach dem Willen der Bundesnetzagentur sollen die Netzbetreiber nun bis Oktober 2024 Zeit haben, um ein Konzept zur Umsetzung vorzulegen. Damit wird die Gretchenfrage, nämlich ob die fast 900 deutschen Verteilnetzbetreiber Paragraf 14a EnWG überhaupt jemals flächendeckend implementieren können, abermals aufgeschoben.
Bereits der Einbau der Smart Meter verläuft vonseiten der Netzbetreiber (genauer: der grundzuständigen Messstellenbetreiber) seit Jahren mehr als schleppend. Erst kürzlich musste mit dem Redispatch 2.0 das andere große Digitalisierungsprojekt auf der unteren Netzebene wieder gestoppt werden. Grund: Ein Großteil der Netzbetreiber ist nicht in der Lage, die erforderlichen Prozesse abzubilden.
Marktbasierte Flexibilität von Wärmepumpen, E-Autos & Speichern nutzen
All dies zeigt: Statt mit Durchgriffsrechten für die Netzbetreiber einen Sonderweg zu gehen, dessen Erfolg zweifelhaft ist und an den Bedürfnissen der Menschen vorbeigeht, sollte Deutschland – wie andere Länder auch – vorrangig auf marktbasierte Flexibilität setzen.
Der große Systemvorteil von Wärmepumpen, Elektroautos, und Speichern liegt darin, dass sie sehr flexibel sind – ihr Stromverbrauch also ohne große Komforteinbuße in Zeiten verschoben werden kann, in denen die Strompreise niedrig und die Netze wenig belastet sind. Etwa nachts, wenn die Stromnachfrage gering ist oder mittags, wenn viel Solarstrom produziert wird.
Variable Tarife und Netzentgelte sind der Schlüssel
Um diese Flexibilität zu nutzen, müssen lediglich die Preissignale der Strombörsen an die Kundinnen und Kunden weitergegeben werden. Dafür sind Smart Meter mit Basisfunktion (15 Minuten-Bilanzierung), wie sie in anderen Ländern verwendet werden und in Deutschland für den „agilen Rollout“ genügen, vollkommen ausreichend.
Stromkund*innen müssen sich nicht mehr darum kümmern, wann das E-Auto lädt oder die Wärmepumpe läuft, sondern geben nur noch ihre Präferenz in unserer App an – zum Beispiel, dass das Auto morgens um 7 Uhr zu mindestens 70 Prozent geladen sein soll. Basierend auf dieser Präferenz und den im Tagesverlauf unterschiedlichen Strompreisen generiert unsere Software dann den für die Kund*innen günstigsten Ladezyklus. Das Laden wird größtenteils in die Nacht verschoben, wenn Verbrauch und Preise niedrig und die Netze wenig belastet sind. Zukünftig könnten auch lokale Netzengpässe in die Berechnung der Ladezyklen einfließen.
Diese Flexibilität schafft eine Win-Win-Win-Situation: Erstens profitiert das Energiesystem, indem Strom vor allem dann verbraucht wird, wenn es dem Stromnetz nützt und weniger Geld in den Netzausbau gesteckt werden muss. Zweitens profitiert das Klima, weil mehr Flexibilität im Verbrauch auch mehr günstige, grüne Erzeugung im Netz ermöglicht und weniger teure, schmutzige Gas- und Kohlekraftwerke benötigt werden. Und drittens profitieren die Verbraucher*innen, indem sie durch die Lastverschiebung eines E-Autos schnell 1000 Euro pro Jahr und mehr sparen können.
Flexibilität kann Gas- und Kohlekraftwerke ersetzen
Auf unserem Heimatmarkt Großbritannien hat Octopus Energy im Rahmen des Projekts „Saving Sessions“ bereits gezeigt, wie nachfrageseitige Flexibilität zur Systemstabilität beitragen kann: Kund*innen wurden dafür belohnt, zu bestimmten vorangekündigten Zeiten, in denen Lastspitzen auftraten, weniger Strom zu verbrauchen. Teilnehmen konnten alle mit einem Smart Meter.
Und obwohl die Verbreitung von Elektroautos und Wärmepumpen auch in Großbritannien noch am Anfang steht, konnten in mehreren Sessions im Durchschnitt 350.000 Kund*innen rund 130 Megawatt Last verschieben – das ist die Leistung eines Gaskraftwerks. Auch für Deutschland ist das Potential ist enorm: Die Bundesregierung schätzt, dass der Stromverbrauch von Elektroautos auf 70 Terawattstunden (2018: zwei TWh) und von Wärmepumpen auf 42 TWh (2018: sieben TWh) in 2030 ansteigen wird – zusammen entspricht dies dann fast einem Sechstel des gesamten deutschen Stromverbrauchs. Schon heute verfügen deutsche Haushalte über 880.000 Heimspeicher, die noch nicht flexibel eingesetzt werden. Mit einer kumulierten Leistung von 4,7 Gigawatt könnten sie zeitweise so viel Strom ins Netz einspeisen wie drei bis vier Atomkraftwerke.
Und auch die Menschen selbst wollen ein aktiver Teil der Energiewende sein: Unsere Erfahrungen in UK zeigen, dass 96 Prozent der Teilnehmer*innen auch in Zukunft an den Lastverschiebungen unserer „Saving Sessions“ teilnehmen wollen. Dies deckt sich mit den jüngsten Umfragen des Branchenverbandes Bitkom, nach denen auch in Deutschland 78 Prozent der Befragten in Zukunft einen variablen Stromtarif nutzen würden.
Smart Meter: Mehr Mut zur Einfachheit
wagen
Doch leider spielt die kleinskalige Flexibilität aus Wärmepumpen, E-Autos und
Speichern im deutschen Energiesystem bisher
keine Rolle. Es fehlt schon an der Grundvoraussetzung: Smart Metern.
Immerhin verspricht das kürzlich in Kraft getretene Smart-Meter-Gesetz (GNDEW) Fortschritte beim Rollout, auch durch
die flächendeckende Einführung dynamischer Stromtarife ab 2025.
Allerdings sind die technischen Vorgaben an die Smart Meter immer noch zu kompliziert. Hier schließt sich auch
der Kreis: Ohne die hohen Anforderungen des Paragraf 14a EnWG müssten die Smart
Meter nicht „Schalten und Steuern“
können, die Geräte wären günstiger, einfacher und mit weniger Aufwand
installierbar, marktbasierte Flexibilität könnte viel schneller eingesetzt
werden.
Für das Gelingen der Energiewende brauchen wir also ein grundlegendes Umdenken
der Behörden: Hin zu mehr Einfachheit und
mit mehr Vertrauen in den Markt und seine innovativen Lösungen. Wir sind
bereit.
Bastian Gierull ist seit
Juli dieses Jahres neuer Deutschland-Chef von Octopus Energy. Das Unternehmen
mit britischen Wurzeln will als Stromanbieter unter anderem mit flexiblen
Tarifen wachsen. Es strebt aber auch eine bedeutende Rolle bei
Wärmepumpeninstallationen an und ist deshalb von der Ausgestaltung der
14a-Regelung betroffen.