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Energie & Klima

Standpunkte PV-Protektionismus schadet Klimaschutz und Wirtschaft

Carsten Pfeiffer, Leiter Strategie & Politik, Bundesverband Neue Energiewirtschaft
Carsten Pfeiffer, Leiter Strategie & Politik, Bundesverband Neue Energiewirtschaft Foto: BNE

Das Ziel einer starken europäischen PV-Industrie sei richtig, schreibt Carsten Pfeiffer vom BNE in seinem Standpunkt. Doch Protektionismus und Strafzölle sind aus seiner Sicht die falsche Antwort, die Dumping-Vorwürfe gegen Chinas Solarriesen hält er für konstruiert. Die Politik solle die EU-Industrie lieber übergangsweise durch Privilegien stärken und ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken.

von Carsten Pfeiffer

veröffentlicht am 04.10.2023

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Der Solarausbau in Deutschland und Europa boomt. Gut für die Wirtschaft, den Mittelstand und für das Klima! Es klingt alles gut, als würde es nach zähen Jahren endlich wieder laufen. Doch plötzlich schwebt wieder ein Damoklesschwert über dieser Erfolgsgeschichte. Das gleiche, das bereits in den 2010er Jahren den Boom abgewürgt hat: der Protektionismus. Einige Akteure fordern auf deutscher und europäischer Ebene, chinesische Photovoltaikimporte relevant zu verteuern oder einzuschränken. Hätte dies Erfolg, wären die Ziele der deutschen Energiewende, des EU-Green-Deals und die des Klimaschutzes über Nacht Makulatur.

Sehr viele Unternehmen entlang der gesamten Lieferkette drohen wieder in den Ruin getrieben zu werden, obwohl sie ein Vielfaches an Arbeitsplätzen vorweisen als die zahlenmäßig deutlich kleineren Solarmodul-Hersteller. Als die EU-Kommission vor Jahren Zölle eingeführt hatte, war der Schaden immens. Wie schädlich Protektionismus bei der PV wirken kann, lässt sich aktuell unter anderem in den USA und in Indien verfolgen. Dort ist Solarstrom nicht nur unnötig teuer, sondern der Zubau stagniert (USA) oder geht sogar zurück (Indien).

Protektionismus macht die Energiewende teurer

Je nach Ausgestaltung würde Protektionismus auch sämtliche PPA-Projekte in Deutschland mindestens verteuern oder den PPA-Markt völlig abräumen. Dies hätte direkt höhere Kosten für die Industrie zur Folge.

Die EEG-Förderungen müssten deutlich erhöht werden, um die höheren Kosten auszugleichen. Sollte es sogar zu einem Modulmangel kommen, müssten die Ausschreibungsvolumina gesenkt werden. Alle Überlegungen, über Contracts for Diffenrences (CfDs) Rückzahlungen zu erhalten, wären von jetzt auf gleich Utopie. Weder PV-PPAs noch CfDs könnten im Kontext eines wie auch immer konstruierten Industriestrompreises eine Rolle spielen, der von niedrigen Solarstrompreisen profitieren soll.

Dumping-Vorwürfe sind konstruiert

Es ist unter Resilienz-Gesichtspunkten richtig und wichtig, dass die USA und die EU eine eigene PV-Industrie aufbauen wollen. Gleichzeitig liegt auf der Hand, dass dies in Zeiten von Überkapazitäten schwierig ist. Der Verband der europäischen Photovoltaikhersteller (ESMC, Tagesspiegel Background berichtete) hat chinesischen Herstellern vermeintliches Dumping im Wettbewerb gegen die europäische Konkurrenz vorgeworfen.

Der BNE hält diese Dumpingvorwürfe für konstruiert, zumal ESMC die Vorwürfe nicht belegt. Mehr noch, die Dumpingvorwürfe werden mit der Frage der Lagerbestände europäischer Zwischenhändler vermischt. Tatsächlich wurden zeitweise in großem Maßstab Module geliefert, da asiatische Analysten – allen voran pv Infolink aus Taiwan – für 2023 ein sehr starkes Marktwachstum Europas vorausgesagt hatten. Doch das hat nichts mit Dumping zu tun, sondern mit normalem Marktverhalten. Apropos Lagerbestände: Die Vorwürfe von ESMC sind wie ein Kartenhaus zusammen gebrochen, nachdem der Analyst Rystad Energy seine Zahlen um 60 Prozent nach unten korrigiert hat, wie das PV-Magazine berichtete.

Ein Blick auf die weiteren vorgebrachten Argumente, zum Beispiel „forced labour“, lohnt. Gerade die modernsten und leistungsstärksten chinesischen Produktionskapazitäten der vergangenen Jahre wurden allerdings in anderen Provinzen als Xinjiang, in der von Zwangsarbeit ausgegangen wird, aufgebaut. Ein weiteres: die angeblich schlechteren Umweltstandards. Doch auch dabei gilt es zu beachten, dass es mittlerweile vom TÜV zertifizierte Module gibt, die niedrige CO2-Fußabdrücke aufweisen. Auch in China gibt es Wind- und Solarstrom, womit beste CO2-Werte erreichbar sind. Weitsichtige Hersteller produzieren längst mit Strom aus erneuerbaren Energien, insbesondere diejenigen, die Module auch exportieren wollen.

Vor allem: Warum sollten die großen chinesischen Hersteller ein Interesse daran haben, Dumpingpreise gegen eine europäische Industrie ins Spiel zu bringen, die sie zu einem relevanten Teil auf vorgelagerten Marktstufen als Kunden betrachten? Die Solarzellen und zum Teil sogar die Module europäischer Hersteller kommen zu einem relevanten Teil aus China. Die leider sehr wenigen Zellen, die tatsächlich in Europa produziert werden, machen nur einen minimalen Bruchteil des EU-Marktes aus, vom Weltmarkt ganz zu schweigen.

Im Vergleich mit den Produktionsanlagen chinesischer Hersteller sind das Pilotlinien mit deutlich höheren Kosten. Der mit Abstand größte produzierende europäische Zellhersteller hatte im ersten Halbjahr 2023 gerade einmal rund 300 Megawatt Zell-Produktionskapazität. Damit hätte gerade mal der PV-Zubau Deutschlands einer Juni-Woche abgedeckt werden können. Freiflächenmodule mit Solarzellen aus europäischer Produktion gibt es nicht. Die Vorwürfe sind daher schon mangels Motiv absurd. Klartext: Die Schwäche der europäischen Hersteller ist das Problem, nicht die Stärke der chinesischen Konkurrenz.

Knallharter Wettbewerb zwischen den chinesischen PV-Giganten

Zudem: Die Modulpreise liegen 2023 knapp unterhalb den Modulpreisen des Jahres 2019 – 15 Cent pro Watt im Vergleich zu damals 16 Cent. Seitdem ist die Zeit nicht stehen geblieben. Chinesische Hersteller haben ihre Produktionskapazitäten deutlich erweitert, auf moderne Technologien wie Topcon, HJT oder back-contact Zellen gesetzt und damit Kosten massiv gesenkt. 2024 sollen in China eine Million Megawatt Zell- und Modulproduktionskapazität erreicht werden. Die Wirkungsgrade der Module sind in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen.

Ja, es gibt einen knallharten Wettbewerb, allerdings zwischen den chinesischen PV-Giganten, von denen einzelne Produktionskapazitäten um 100 GW aufbauen. Von diesem Wettbewerb profitieren wir alle. Sinkende Modulpreise führen zu höherer Nachfrage, mehr Installationen, mehr Klimaschutz und mehr Arbeitsplätzen in der Solarbranche – weltweit, aber auch in Deutschland und in der EU. Die mittelständischen Unternehmen, die Handwerksbetriebe sind es, die vor Ort installieren, warten, sich um alles kümmern – und am Solarausbau verdienen. Insofern schaden ihnen und damit der regionalen Wertschöpfung protektionistische Maßnahmen am stärksten und direktesten.

Protektionismus hat schon einmal massiv geschadet

Die Protektionismus-Vorschläge gegen China bergen hohe Risiken. Die europäischen Hersteller könnten den EU-Markt über viele Jahre hinweg nicht einmal ansatzweise abdecken, zumal auch die europäischen Hersteller auf Vorprodukte auf China – insbesondere Zellen – zurückgreifen. Als die EU-Kommission vor rund zehn Jahren Zölle eingeführt hatte, war der Schaden immens. Der Versuch, damit die europäische Solarindustrie zu retten, ist krachend gescheitert. Schlimmer noch. Die hohen Zölle hatten die Module so verteuert, dass der Markt in der EU implodierte. Das kostete massenweise Jobs und Unternehmen in der Solarbranche. Eine lesenswerte Aufarbeitung findet sich in einem Blogbeitrag von Karl-Heinz- Remmers. Heute fällt gerade mal ein Prozent der PV-Arbeitsplätze auf die Lieferkette der Modulproduktion. Es wäre kurzsichtig, die übrigen 99 Prozent zu gefährden.

Großskalierung der PV-Produktionskapazitäten nötig

Ende der Nullerjahre gab es noch starke europäische PV-Hersteller. Diese Zeiten sind leider vorbei. Die aktuellen Player sind von Wettbewerbsfähigkeit weit entfernt und verkaufen teilweise Module noch zu Preisen, die vor zehn Jahren üblich waren. Sie könnten Wettbewerbsfähigkeit nur dann erreichen, wenn sie sowohl technologisch als auch von der Größenordnung auf Augenhöhe mit den chinesischen Herstellern mitspielen können. Der BNE hat sich sehr für den Aufbau einer starken europäischen PV-Wirtschaft starkgemacht. Unser Ansatz der Großskalierung der PV-Produktionskapazitäten wurde jedoch nicht übernommen. Sowohl in Berlin als auch in Brüssel wurde erst endlos getagt und danach wurden unzulängliche Programme aufgelegt, die nicht ausreichen, große Player aufzubauen, die mit den großen chinesischen Playern mithalten können.

Wenn die Politik der europäischen PV-Industrie kurzfristig wirklich helfen will, muss sie Rahmenbedingungen schaffen, unter denen diese ihre Kosten deutlich reduzieren können. Da die europäischen Unternehmen bis auf Weiteres nicht wettbewerbsfähig sind, könnte ihnen kurzfristig in einer Übergangsphase durch Privilegierungen, zum Beispiel mit Sonderausschreibungen im Dachsegment, geholfen werden. Diese Ausschreibungen müssen aber so gestaltet werden, dass die Unternehmen dennoch Kostendruck wahrnehmen und schnell ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern.

Mittel- und langfristig müssen Berlin und Brüssel eine Strategie verfolgen, die europäische PV-Industrie groß und wettbewerbsfähig zu machen. Das Schlimmste, was jetzt passieren könnte, wäre, dass Berlin und Brüssel den Schwarzen Peter einfach nach China schieben, um von ihrer mangelnden Aktivität beim Aufbau der PV-Industrie abzulenken. Das wäre in Folge ein immenser Schaden für Klimaschutz, Energiewende, Resilienz und PV-Branche, aber auch für die Stromkunden, die höhere Stromkosten zu tragen hätten. Der Bumerang würde so zur Politik zurückkommen, die erklären muss, weshalb wieder ein Zukunftsprojekt gebremst wird, statt ihm Schwung zu geben.

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