Diese Woche läutet die Europäische Kommission die nächste Phase der europäischen Klimapolitik ein. Mit ihren Mitteilungen zum 2040-Ziel und zum industriellem Carbon Management schlägt sie die ersten Pflöcke in einer Debatte ein, die in den kommenden Monaten nicht nur die Europawahlen, sondern auch die Bildung der nächsten Kommission prägen wird. Die amtierende Kommission nutzt damit ihre wohl letzte große Gelegenheit, die klimapolitische Agenda zu setzen.
Mit Veröffentlichung des Zielvorschlags beginnt das ritualisierte Kräftemessen zwischen den EU-Institutionen sowie den Mitgliedstaaten über die Ambitionen in der Klimapolitik. Die endgültige Entscheidung über eine entsprechende Ergänzung des Europäischen Klimaschutzgesetzes wird allerdings erst später getroffen – die Einreichung des neuen NDC (nationaler Klimabeitrag) in 2025 gilt als Frist. Bis dahin sind intensive Diskussionen zu erwarten. Auch weil das Ambitionsniveau für 2040 insbesondere für die hoch politisierten Schnittstellen der Klimapolitik mit der Agrar- und Industriepolitik von Bedeutung ist.
Neue Technologien: ein Binnenmarkt für Carbon Management
Neben dem Ambitionsniveau legt die Kommission in einer parallel veröffentlichten und gekoppelten Mitteilung einen Schwerpunkt auf „Carbon Management“. Darunter werden Technologien verstanden, die CO2 abscheiden und unterirdisch speichern (Carbon Capture and Storage, CCS) oder als Ressource nutzen (Carbon Capture and Utilization, CCU). Neben industriellen Anwendungen, bei denen schwer vermeidbare Emissionen reduziert oder verzögert werden können, hebt die Kommission auch die CO2-Entnahme hervor. Bei diesen Technologien wird CO2 biogenen oder atmosphärischen Ursprungs abgeschieden und dauerhaft gespeichert.
Die Kommission sieht in der gemeinsamen Hochskalierung aller drei Technologien einen zentralen Baustein, um ihre Klimaziele zu erreichen. Dass dieses Thema in ihrer letzten großen klimapolitischen Initiative einen so hohen Stellenwert einnimmt, liegt zum einen an der durch die neuen Krisen geschärften Erkenntnis, dass die Schnittstelle zwischen einer ambitionierten Klimapolitik und einer wettbewerbsfähigen und resilienten Industrie für die nächste Phase der Klimapolitik von zentraler Bedeutung sein wird. Zum anderen spiegelt die Initiative die Überzeugung der Kommission wider, dass die zunehmenden Carbon Management-Aktivitäten in der Industrie und in einzelnen Mitgliedstaaten auf europäischer Ebene durch einen gemeinsamen Binnenmarkt gebündelt und gestärkt werden sollten.
Neue Spannungen in der deutschen Debatte
Carbon Management erfährt auch in Deutschland große Aufmerksamkeit. Zum Teil in polarisierten Debatten, die mit den neuen Strategiedokumenten aus Brüssel nicht einfacher werden. Deutschland erlebte im vergangenen Jahr eine CCS-Renaissance, die unter anderem auch zu Positionsänderungen bei den Grünen und einigen Umweltverbänden führte. Mit einem Fokus auf „schwer vermeidbare Emissionen“, jene Emissionen, für die bisher keine Vermeidungsoptionen jenseits des Carbon Management zur Verfügung stehen, entwickelten sich mögliche Kompromisslinien. Der langsam entstehende, fragile Konsens wird jedoch durch die neue Positionierung der Kommission in mindestens zwei Spannungsfeldern auf die Probe gestellt.
Zum einen wurde die Diskussion in Deutschland von vielen Akteuren so geführt, dass nur bestimmte Anwendungen des Carbon Management zugelassen werden sollten – entlang einer klaren Definition von „schwer vermeidbaren Emissionen“. Dieser prominente Begriff wird auch von der Kommission verwendet, eine Definition fehlt jedoch. Eine Verengung auf bestimmte Emissionen ist aus Brüsseler Sicht aber auch schwer mit dem EU-ETS vereinbar: CCS ist bereits heute voll in den ETS integriert und die Abscheidung einer Tonne CO2 kann die Abgabe eines Zertifikats ersetzen.
Auch die Nutzung von CO2 wird in naher Zukunft in ähnlicher Weise integriert sein. Es ist schwer vorstellbar, dass Anwendungen in Deutschland verboten werden, während sie in anderen EU-Ländern genutzt werden. Wenn die Anwendungsfelder von CCS und CCU begrenzt werden sollen, müsste sich diese Fokussierung auch in der europäischen Gesetzgebung widerspiegeln. Ob und wie die Kluft zwischen der deutschen Debatte und der jüngsten Initiative der Kommission überbrückt werden kann, sollte ein zentraler Bestandteil der noch zu veröffentlichenden deutschen Carbon Management Strategie sein.
Ein zweites Spannungsfeld ergibt sich aus dem grundsätzlichen politischen Ansatz. Anders als die Kommission behandelt die Bundesregierung die Abscheidung in der Industrie (CCS/CCU) und die CO2-Entnahme aus der Atmosphäre (CDR) in zwei getrennten Strategieprozessen. Eine analytische Trennung dieser Technologien ist sinnvoll, da sie unterschiedliche Funktionen auf dem Weg zu Netto-Null erfüllen. Sie strategisch zusammenzudenken und in politischen Initiativen eng zu verzahnen, ermöglicht aber auch Synergien.
Das neue Strategiepapier der Kommission betont beispielsweise den schrittweisen Übergang von CCS/CCU zur CO2-Entnahme und den Mehrwert einer integriert geplanten Infrastruktur. Die Betonung des Aspekts, dass die CCS-Infrastruktur langfristig höhere CO2-Entnahmepotenziale ermöglicht, ist nicht nur mit Blick auf den Bedarf an CO2-Entnahme geboten. Er könnte – bei klaren Vereinbarungen über schrittweise Entwicklungspfade – auch vertrauensbildend wirken und dazu beitragen, den bislang fragilen Konsens zu Carbon Management zu stärken.
Innovative Fördermechanismen für verantwortungsvollen Hochlauf
Auf diese Spannungsfelder sollte in der frühen Phase der Carbon Management-Politik vor allem mit Vorschlägen für intelligente, EU-weit koordinierte Fördermechanismen reagiert werden. Carbon Management-Technologien und -Infrastrukturen sind aufwändig und kostenintensiv, entsprechend groß ist der Einfluss von Förderbedingungen. Da sich die einzelnen Anwendungen stark unterscheiden, sollten sie nicht alle gleich behandelt werden, sondern eine abgestufte Förderung erhalten. Entscheidende Kriterien sollte dabei neben dem Klimanutzen auch ihr Beitrag zum Übergang zu einer klimaneutralen Industrie sein.
Eine graduelle Abstufung ermöglicht es, klimapolitisch wichtige Anwendungen, zum Beispiel in der Zementindustrie oder in Müllverbrennungsanlagen, zu priorisieren. Anwendungen, bei denen das Risiko eines Lock-in von fossilen Energieträgern besteht, könnten bei der Förderung unberücksichtigt bleiben. Ein strategischer Schwerpunkt sollte dabei auch auf Anwendungen liegen, die mittel- bis langfristig eine Entnahme von CO2 ermöglichen. Wer sich dazu verpflichtet, sollte besonders gefördert werden – bisher gibt es keine finanziellen Anreize, diese Techniken voranzutreiben.
Carbon Management als zusätzliche Herausforderung
Carbon Management ist ein wichtiger Baustein für die nächste Phase der Klimapolitik und ein Bindeglied zu einer auf Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz ausgerichteten Industriepolitik. Trotz dieser Bedeutung bleibt wichtig zu betonen: Selbst ein umfassender und rasanter Ausbau von Carbon Management-Kapazitäten wird die Notwendigkeit drastischer Emissionsreduktion nicht umgehen können. Das Erreichen der Klimaziele für 2040 und 2050 wird durch Carbon Management keineswegs einfacher – Carbon Management ist eine zusätzliche Herausforderung auf dem Weg dorthin.
Deutschland kommt in dem von der Kommission angestrebten Binnenmarkt für Carbon Management eine Schlüsselrolle zu. Nicht nur als Industriestandort, sondern auch wegen seiner zentralen geographischen Lage. Auch deshalb sollten die zu veröffentlichenden Carbon Management-Strategie und die Langfriststrategie für Negativemissionen ein besonderes Augenmerk auf die Spannungen mit der EU-Ebene legen.