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Energie & Klima

Standpunkte Stromnetzplanung ohne politische Willkür

Nadine Bethge, stellvertretende Leiterin des Bereichs Energie und Klimaschutz, Deutsche Umwelthilfe
Nadine Bethge, stellvertretende Leiterin des Bereichs Energie und Klimaschutz, Deutsche Umwelthilfe Foto: Deutsche Umwelthilfe

Im Bundestag könnte es bald zur Abstimmung über einen weiteren Korridor der Stromtrasse SuedLink kommen, obwohl er bislang nicht zur Debatte stand. Nadine Bethge, stellvertretende Leiterin des Bereichs Energie und Klimaschutz bei der Deutschen Umwelthilfe, warnt die Parlamentarier davor. Die Stromnetzplanung sei bisher von hoher Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Akzeptanz geprägt. Ein Abweichen vom bewährten Planungsprozess untergrabe die Glaubwürdigkeit der Planungen.

von Nadine Bethge

veröffentlicht am 18.01.2021

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Gerade noch stand es für den 14. Januar auf der Tagesordnung: Der Stromnetzausbau sollte mit der Abstimmung über das Bundesbedarfsplangesetz im Bundestag in seine nächste Runde gehen. Dann wurde die Abstimmung auf die letzte Sitzungswoche im Januar verschoben, zumindest ist das der wahrscheinliche neue Termin. Hintergrund sind wohl die anhaltenden Diskussionen um einen neuen, dritten SuedLink-Korridor. Dieser soll zur Abstimmung anstehen, obwohl er in den vorausgehenden Planungsschritten gar nicht zur Debatte stand.

Grundsätzlich braucht es neue, starke Nord-Süd-Leitungen. Dass wir zunehmend erneuerbaren Strom aus dem Norden zu den Lastzentren im Süden und Westen transportieren müssen, ist vielfach nachgewiesen und steht außer Frage. Vor allem die Windenergie muss ihren Weg nach Süden finden. Darum wurde der SuedLink mit bisher zwei Leitungskorridoren im Bundesbedarfsplangesetz als notwendig bestätigt und ist zum Teil schon im Planfeststellungsverfahren.

Vielleicht braucht es sogar noch einen dritten Korridor. Aber dieser dritte Korridor war bisher nicht Teil der Szenarien, Konsultationen und Planungen. Er soll dennoch unter Umgehung der üblichen Planungsschritte vom Parlament als notwendig bestätigt werden. Dies darf nicht passieren. Ein solcher Vorgang würde die Bemühungen der vergangenen Jahre, einen fairen und transparenten Prozess zu etablieren, konterkarieren. Wenn Willkür Einzug hält, drohen die Leitungen ihre Legitimität zu verlieren. Wie sollen Bürgerinnen und Bürger vor Ort dann bei den nächsten Planungsschritten noch von der Rechtmäßigkeit neuer Leitungen überzeugt werden?

Unter Umständen sogar komplette Neuplanung nötig

Auch für die schon laufenden Planungen entlang des SuedLink könnte eine solche Entscheidung fatal sein. Sie könnte auf vielen Abschnitten des SuedLink eine komplette Neuplanung bedeuten, so wie schon einmal bei der Umstellung von Freileitungen auf Erdkabel geschehen. Einen solchen Zeitverlust können wir uns bei Energiewende und Klimaschutz nicht leisten. Von den hohen Kosten für Redispatch-Maßnahmen, die für weitere Jahre anfallen würden, nicht zu reden.

So verlockend eine schnelle politische Entscheidung für eine Leitung auch ist, die Parlamentarier müssen sich an die von ihnen selbst verordneten demokratischen Prozesse halten. Alles andere wäre ein Bärendienst für die Energiewende und würde zu Recht Proteste hervorrufen. Statt ungeprüft Leitungen durchzuwinken, sollten Inkonsistenzen des Planungsprozesses – die es trotz aller positiven Entwicklungen immer noch gibt – angegangen werden.

Zwar heißt es im Koalitionsvertrag: „Deutschland setzt sich gemäß dem Pariser Klimaschutzabkommen dafür ein, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius und möglichst auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen und spätestens in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts weltweit weitgehende Treibhausgasneutralität zu erreichen.“ Ein Szenario, welches Paris-Kompatibilität mit hohem Ambitionsniveau abbildet, fehlt jedoch noch immer.

Lastnahe Erzeugung und regionale Märkte

Auch braucht es ein Langfristszenario bis 2050, um den Transformationspfad vollständig abzubilden. Man könnte den steten Vorwurf der „Salami-Taktik“ entkräften und erstmals die ungefähre Dimension des Zielnetzes skizzieren. Hier wäre dann die Diskussion um den dritten SuedLink-Korridor an der richtigen Stelle. Auch das Innovationstempo muss weiter erhöht werden. Der klassische Netzausbau muss, wo immer möglich, durch innovative Lösungen ersetzt werden.

Des Weiteren wäre ein zusätzliches Szenario in der Netzplanung mit ausgeprägt lastnaher Erzeugung und lastnaher Flexibilität begrüßenswert, da es das Portfolio der Netzentwicklungsplanung noch einmal erweitern und Fragen vieler Akteure beantworten könnte. Diesem Szenario müssten regionale Märkte zugrunde liegen sowie die reale Flächenerschließbarkeit für erneuerbare Energien und Flexibilitätsanlagen.

Welche Stromleitung sinnvoll und nötig ist, kann ein Umweltverband kaum überprüfen. Aber der Prozess der Bedarfsermittlung lässt sich hinterfragen. Die Deutsche Umwelthilfe beteiligt sich regelmäßig an den Konsultationen zu Szenariorahmen und Netzentwicklungsplan und konnte gemeinsam mit anderen Akteuren Richtungsänderungen pro Klimaschutz bewirken.

Öffentlichkeitsbeteiligung hebt Klimaschutzniveau

Über die Zeit hat die umfassende Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Stromnetzplanung für ein hohes Klimaschutzniveau gesorgt. So enthält der aktuelle Szenariorahmen zwei Szenarien, in denen ein Kohleausstieg schon bis zum Jahr 2035 unterstellt wird. Der Szenariorahmen berücksichtigt auch die Ziele der Bundesregierung, in Deutschland bis 2030 bis zu fünf Gigawatt und spätestens bis 2040 weitere fünf Gigawatt Elektrolysekapazitäten zu errichten.

Mittlerweile wurde zudem ein realistischer Nettostromverbrauch für die Planungen zugrunde gelegt. Dieser war bisher zu gering kalkuliert. Die Öffentlichkeitsbeteiligung hat dafür gesorgt, dass neue industrielle Großabnehmer für Strom erfasst und die zu erwartenden Strombedarfe für Elektromobilität und Power-to-Gas-Anlagen angepasst wurden. Die Kalkulation mit dem höheren Stromverbrauch von bis zu 740 Terawattstunden ist zu begrüßen, denn sie fußt auf glaubwürdigen Studien anderer Akteure und gibt ein konsistentes Bild ab.

Die Stromnetzplanung ist also insgesamt auf einem guten Weg. Diesen etablierten Planungs- und Genehmigungsprozess gilt es weiter „zu leben“. Er darf nicht von politischer Willkür unterwandert werden. Hoffen wir, dass den Parlamentariern ein langfristig sauberer Prozess wichtiger ist als ein kurzfristiger politischer Sieg.

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