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Energie & Klima

Standpunkte Übers Ziel hinaus ist auch vorbei

Anne Böhnke-Henrichs, stellvertretende Teamleiterin und Referentin Meeresschutz beim Nabu
Anne Böhnke-Henrichs, stellvertretende Teamleiterin und Referentin Meeresschutz beim Nabu Foto: copyright: sevens+maltry

Die aktuelle Novelle des Windenergie-auf-See-Gesetzes will Beschleunigung, greift aber zum falschen Werkzeug, beklagt Anne Böhnke-Henrichs vom Naturschutzbund Nabu in ihrem Standpunkt. Ein Verzicht auf die Umweltverträglichkeitsprüfung führe zu Rechtsunsicherheit und bremse so den Ausbau eher. Das BMWK setze damit europäisches Naturschutzrecht außer Kraft. Die eigentlichen Gründe für die Verzögerungen lägen ganz woanders.

von Anne Böhnke-Henrichs

veröffentlicht am 15.02.2024

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Ende November trat die überarbeitete Erneuerbare-Energien-Richtlinie (Renewable Energy Directive, RED III) der EU in Kraft. Für Offshore-Wind soll diese Richtlinie in Deutschland mit einer erneuten Novelle des Windenergie-auf-See-Gesetzes (WindSeeG) umgesetzt werden, einen Referentenentwurf dafür hat das Bundeswirtschaftsministerium kürzlich vorgelegt. Dessen genauere Analyse offenbart jedoch: Der Entwurf schießt weit über die Regelungen der RED III hinaus und fußt schon auf der völlig falschen Grundannahme, dass Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) den Offshore-Ausbau bremsten und im Umkehrschluss deren Beseitigung zu Beschleunigung führe.

Nun mag es nicht verwundern, wenn ein Verband wie der NABU das bemängelt. Allerdings zeigen auch immer wieder Äußerungen aus der Branche, dass Kritik auch von anderer Seite kommt. Die Befürchtung ist, dass der Wegfall der UVP zu Wissenslücken und Rechtsunsicherheiten führt. Eine eher seltene Einigkeit. Und auch das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) identifiziert in einer Stellungnahme aus dem Januar verzögerte Netzanbindungen der Offshore-Parks als Ursachen für verspätete Inbetriebnahmen. Noch ein Grund, hier genauer hinzuschauen, damit die Gesetzesnovelle nicht am eigentlichen Ziel vorbei geht, nämlich die Klimaziele zu erreichen.

Worum geht es bei den geplanten Neuregelungen genau?

Laut RED III sollen die Mitgliedstaaten sogenannte „Beschleunigungsgebiete“ ausweisen, und zwar in „ausreichendem“ Umfang, um die jeweiligen Ausbauziele zu erreichen. In diesen Beschleunigungsgebieten entfällt die Umweltverträglichkeitsprüfung, Genehmigungsverfahren für Offshore Windparks dürfen dort höchstens 24 Monate dauern, ausnahmsweise kann diese Frist um sechs Monate verlängert werden.

Das bedeutet aber auch: Wenn ein Mitgliedstaat mit frühzeitiger Planung die Ausbauziele anderweitig absichern kann, braucht es diese Einschnitte ins Naturschutzrecht und Vorsorgeprinzip nicht. Ein Weg, den die Niederlande beschreiten wollen und es wäre auch ein guter Weg für Deutschland. Denn mit dem Flächenentwicklungsplan besteht ein seit Jahren bewährtes Instrument, um den Offshore-Ausbau fristgerecht zu steuern. Der aktuelle Plan, noch mit flächendeckender Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung erstellt, zeigt: Die gesetzlichen Ausbauziele sind erreichbar.

So wirft es große Fragen auf, wenn das Bundeswirtschaftsministerium in seinem Gesetzesentwurf diese bewährten Pfade verlässt und dabei die Einschnitte ins Naturschutzrecht sogar noch potenziert. Denn es macht aus der Möglichkeit, Beschleunigungsgebiete auszuweisen, eine Verpflichtung, räumt neben der Umweltverträglichkeitsprüfung auch die artenschutzrechtliche Prüfung ab, der Zeitraum für Genehmigungsverfahren wird auf zwölf Monate halbiert. Zudem setzt der Entwurf europäisches Naturschutzrecht und die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie beim Ausbau außer Kraft. Damit begeht das federführende Wirtschaftsministerium Wortbruch am Koalitionsvertrag, der verspricht: „Die Energiewende werden wir ohne den Abbau von ökologischen Schutzstandards forcieren.“ Noch ist es möglich, dieses Versprechen zu retten.

Grundprinzip der 1:1-Umsetzung von EU-Recht

Noch im Deutschlandpakt vom 6. November 2023 heißt es: „Bund und Länder verfolgen gemeinsam das Ziel, den formellen und materiellen Prüfungsumfang auf das erforderliche Maß zu reduzieren. Diesem Zweck dient auch das Grundprinzip der 1:1-Umsetzung EU-rechtlicher Vorgaben“. Ein solches postuliertes Grundprinzip darf nicht zu Rosinenpickerei werden, aber genau das droht mit der RED III-Umsetzung und ist leider kein Einzelfall. Planungsbeschleunigung, LNG Beschleunigungsgesetz: Alles Beispiele, die Naturschutzrecht immer mehr zu einem Torso verkümmern lassen.

Andersherum ist bei der Umsetzung von Naturschutzrecht deutlich weniger Ambition erkennbar. Den guten Umweltzustand nach Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie hat Deutschland verfehlt, die Schieflage in den Meeren wird immer größer und wir können sie uns nicht leisten. Auch der Weltklimarat (IPCC) ist sich einig, dass wir für unvermeidbare Restemissionen CO2-Senken benötigen. Die einzigen verlässlichen Senken, die uns aktuell in großem Maßstab zur Verfügung stehen, sind gesunde Ökosysteme. Ohne sie wird es nicht gehen.

Aber auch für den Offshore-Ausbau ist die überschießende Umsetzung der RED III ein Bärendienst. Wenn der WindSeeG-Novelle als Grundlage des Offshore-Ausbaus die europarechtliche Absicherung fehlt, wie rechtssicher und verlässlich kann dann der Ausbau sein? Statt Beschleunigung knirscht Sand im Getriebe.

Wo hakt es wirklich beim Offshore-Ausbau?

Netzanbindungen und Netzausbau sind zwei große Knackpunkte, die Verzögerungen betragen laut BSH teils über zwei Jahre. Das gilt es aufzulösen. Doch es liegt auch an fehlender Hafeninfrastruktur, zu wenig Fachpersonal, und der Ausbau der Übertragungsnetze an Land kommt nicht rechtzeitig voran, er hält schon heute nicht Schritt mit dem Offshore-Ausbau. Wenn viel Wind weht, passiert es immer häufiger, dass zwar viel Strom erzeugt wird, aber die Netze den grünen Strom nicht aufnehmen können. Wenn Windparks dann abgeregelt werden, ist das teuer für uns alle, die Kosten landen als Netzentgelte auf unserer Stromrechnung.

Aber auch für die Arten und Lebensräume ist das teuer, denn mit ausreichend leistungsfähigen Netzen könnten wir ihnen den ein oder anderen Windpark ersparen oder aber dem Klima die ein oder andere Tonne CO2. Die Menge des so „verlorenen“ Stroms ist erheblich. Laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage mussten allein im ersten Quartal 2023 2,2 Terawattstunden abgeregelt werden. Hochgerechnet aufs Jahr würden so rund 8,8 Terawattstunden verlorengehen, das ist rund ein Drittel des im Jahr 2023 erzeugten Offshore-Stroms in Deutschland. 

Wie können Meeresschutz und Offshore-Ausbau gemeinsam gelingen?

Ganz grundsätzlich können Natur- und Klimakrise nur gleichberechtigt und gemeinsam gelöst werden. Dafür braucht es den politischen Willen, an Wissen fehlt es nicht: Die Berichte der regionalen Meeresschutzabkommen OSPAR und HELCOM sowie der nationale Bericht nach Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie dokumentieren den desaströsen Zustand unserer Meere. Mit dem Geld aus der Meeresschutzkomponente nach § 58 WindSeeG, die aus den staatlichen Einnahmen der Offshore-Windausschreibungen finanziert wird, wäre auch Geld für echte Maßnahmen vorhanden.

Um den Offshore-Ausbau zu steuern, brauchen wir keine Beschleunigungsgebiete, sondern können auf bewährtes Planungsrecht zurückgreifen und im Sinne des Vorsorgeprinzips auf die UVP bauen, auch im Sinne der Rechtssicherheit. Deutschland hat als einer der Vorreiter des Offshore-Ausbaus einen großen Vorsprung vor anderen EU-Mitgliedsstaaten. Das bedeutet auch, die Verantwortung zu zeigen, wie der Ausbau naturverträglich gelingt. Daran muss sich die WindSeeG-Novelle messen lassen, das hat die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag versprochen. Jetzt ist es an den Mitgliedern des Bundestags, die Balance zwischen Klima- und Naturschutz zurückzuholen.

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