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Energie & Klima

Standpunkte Vom Bilderbuch in die Wirklichkeit – Die Grünen müssen konkret werden

Nikolaus Breuel, Mitglied des Präsidiums des Wirtschaftsrats der CDU
Nikolaus Breuel, Mitglied des Präsidiums des Wirtschaftsrats der CDU

Die Grünen haben einen wichtigen Beitrag zum Umweltbewusstsein geleistet. Nun, da eine Regierungsbeteiligung in näherer Zukunft wahrscheinlich sei, müssten sie Lösungen statt Heilsversprechen liefern: Für die Energiewende und die sichere Stromversorgung, aber auch für die finanziellen Rahmenbedingungen der Wirtschaft, schreibt Nikolaus Breuel, Präsidiumsmitglied des Wirtschaftsrats der CDU, in seinem Standpunkt.

von Nikolaus Breuel

veröffentlicht am 08.10.2019

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Wir können nicht weitermachen wie bisher. In wenigen Jahrzehnten haben wir das über Jahrmillionen entstandene Gleichgewicht der Erde beschädigt. Dass in jeder Minute Urwald im Umfang von dreißig Fußballfeldern verschwindet, dass wir nicht nur die Lunge der Erde vernichten, sondern die Natur belasten und umbauen, gefährdet die Nachhaltigkeit unseres Daseins. Dieses kritische Umweltbewusstsein haben die Grünen gefördert.

Doch damit nicht genug; sie postulieren das Ziel einer ökologisch korrekten, heilen Welt, verknüpft mit der Drohung eines apokalyptischen Szenarios durch den Klimawandel. Die grüne Erzählung passt perfekt in die Politik dieser Zeit: Nachdem sich die Auseinandersetzung um materielle Werte im zehnten Jahr der Hochkonjunktur und intensiv genutzten Verteilungsspielräumen abgeschwächt hat, suchen Menschen mit sozial-ökologischer Orientierung nach Sinn. Die Ausrichtung auf Ziele und Maßnahmen für eine bessere Umwelt löst diese Sinnkrise ein Stück weit auf.

Die Grünen müssen mehr liefern als Klimaschutzforderungen

Allerdings müssen die Grünen nun konsistent Inhalte liefern; konkret und aufrichtig.Liefern zuerst einmal bezüglich der Energiewende selbst. Sie müssen uns bewusst machen, was vor uns liegt. Wie sieht ein realistisches Konzept aus, das eine CO2-arme Stromerzeugung und Versorgungssicherheit miteinander vereint? Wie zielführend ist der vollständige Ausstieg aus der Kernkraft hinsichtlich des CO2-Ausstoßes und angesichts des Ziels, 2030 auch noch die Kohle vom Netz zu nehmen?

Bereits vor Stilllegung der letzten Kernkraftwerksblöcke kann sich Deutschland bei Dunkelflauten womöglich nicht mehr selbst versorgen. Wie sollen die gigantischen Mehrmengen an Ökostrom erzeugt werden angesichts wachsender Widerstände in mittlerweile mehr als tausend Bürgerinitiativen gegen Windkraftanlagen und Trassen? Wie sollen Lkw-, Schiffs- und Flugverkehr sowie Heizen und industrielle Verwendungen klimaneutral gestaltet werden und mit welchen Auswirkungen? Welche Einschränkungen und Verbote für Reisen, Konsum, die Lebensgestaltung kommen im Weltbild der Grünen auf die Bürger zu?

Bereits heute verschlingt die Energiewende über die EEG-Umlage pro Jahr rund 25 Milliarden Euro – ein gewaltiger Betrag, der auch für andere Anliegen der Gemeinschaft, zum Beispiel die digitale Bildung oder den Ausbau der Infrastruktur, genutzt werden könnte.

Die Versorgungssicherheit und bezahlbarer Strom sind Grundlage unseres modernen Daseins und unserer Wirtschaft. Es geht damit letztlich auch um rund acht Millionen Industriearbeitsplätze, die Finanzierbarkeit von Sozialleistungen, unseren Wohlstand – und die Möglichkeit, ökologisch motivierte Reformen umzusetzen. Wer die Gesellschaft so substantiell verändern möchte wie die Grünen, muss deshalb das energiepolitische Zieldreieck aus Umweltverträglichkeit, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit beachten.

Ein Beispiel hierfür findet sich ganz in unserer Nähe, in der Lausitz. Beim dort ansässigen zweitgrößten deutschen Stromerzeuger, der LEAG, wären rund 8000 Arbeitsplätze, darüber hinaus 20.000 Arbeitsplätze, die indirekt mit der Braunkohle verbunden sind, gefährdet. In der ohnehin schon strukturschwachen Region müssen industrielle Alternativen aufgebaut werden. Hierfür braucht es nicht nur finanzielle Versprechen, sondern konkrete Pläne.

Nachhaltigkeit auch für die Finanzpolitik

Nachhaltigkeit, das Thema der Grünen, muss im Übrigen über ökologische Themen hinaus auch für die Finanzpolitik gelten. Hier geht es ebenfalls darum, die Zukunft nicht im Übermaß zu belasten. Das Programm der Grünen indes blendet seine Wirkung auf künftige Generationen aus. Ihre Ideen hinsichtlich zusätzlicher und höherer Steuern sind reichhaltig. Zur Diskussion stehen zum Beispiel eine europäische Plastiksteuer, eine europäische Unternehmenssteuer, eine Klimaabgabe auf schmutzige Importe, die Finanztransaktionssteuer, eine Quellensteuer für Zinsen und Lizenzgebühren, die Digitalsteuer, eine Umsatzsteuer für internationale Flüge, eine Kerosinsteuer und die CO2-Steuer.

Auch eine Erhöhung der Einkommenssteuer und eine Reform der Erbschaftssteuer scheinen nicht ausgeschlossen zu sein. Ein solches Programm würden Bürger und Unternehmen kaum ohne Reaktion hinnehmen. Welche Ausweichbewegungen sind zu erwarten, mit Abwanderung von Arbeitsplätzen und Leistungsträgern? Und: Werden die hohen Programmkosten der Grünen auf eine massive Neuverschuldung zu Lasten der nächsten Generationen hinauslaufen?

Vor der Regierungsbeteiligung muss das Bilderbuch weg

Die Grünen haben wichtige Themen in die Politik gebracht; wie oft, wenn es um neue Ideen geht, mit der Wucht einfacher, gefälliger Bilder. Das war richtig. Nun aber steht eine Regierungsbeteiligung mit Gewicht in Aussicht. Wer sich in der Nähe der Macht nicht für die Frage der Machbarkeit interessiert, handelt unverantwortlich. Wer die Kehrseiten und Nebenwirkungen heilversprechender Programme nicht offenlegt, hält vorsätzlich einen Teil der Wahrheit zurück. Die Zeit des Bilderbuches ist vorüber. Die Grünen müssen jetzt realisierbare Konzepte vorlegen, sonst sind sie für alle diejenigen nicht wählbar, denen eine gute Zukunft des Landes und der Umwelt am Herzen liegt.

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