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Energie & Klima

Standpunkte Zeitenwende im Heizungskeller – was 65 Prozent erneuerbare Wärme bedeuten

Hendrik Ehrhardt, Leiter Public Affairs Berlin, Stiebel Eltron
Hendrik Ehrhardt, Leiter Public Affairs Berlin, Stiebel Eltron Foto: Stiebel Eltron

65 Prozent erneuerbare Wärme sollen laut Koalitionsvertrag ab 2025 bei neu eingebauten Heizungen Pflicht sein. Doch was heißt das genau? Hendrik Ehrhardt vom Wärmepumpenhersteller Stiebel Eltron interpretiert die Aussage wirtschaftlich und technisch – und mahnt zu schnellem Handeln. Mit unausgereiften Alternativen zur Wärmepumpe dürfe man sich nicht länger aufhalten.

von Hendrik Ehrhardt

veröffentlicht am 31.01.2022

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Ein Satz aus dem Koalitionsvertrag erregte die Aufmerksamkeit der Gebäudeexperten und der Heizungsindustrie: Ab 1. Januar 2025 soll jede neu eingebaute Heizung auf der Basis von 65 Prozent erneuerbarer Energien betrieben werden. Nimmt man den Satz sowie die Aussagen von Klimaminister Robert Habeck anlässlich seiner „Eröffnungsbilanz Klimaschutz“ ernst, ist es zwingend erforderlich, das so umzusetzen.

Zunächst muss dafür das 65-Prozent-Nutzungsgebot bereits im Jahr 2022 im Gebäudeenergiegesetz (GEG) fixiert werden, damit Verlässlichkeit hinsichtlich möglicher Erfüllungsvarianten entsteht. Flankiert werden sollte diese Vorgabe bis zu ihrem Inkrafttreten durch eine angepasste finanzielle Förderung der Heiztechniken, die dem Kriterium bereits heute entsprechen. So kann der erforderliche Transformationsprozess bei den Marktakteuren (vom Handwerk über Planer, Energieberater, Heiztechnikhandel und Heizgeräteindustrie bis hin zu Energieversorgern und Stadtwerken) weiter Fahrt aufnehmen.

Zudem müssen selbstverständlich Präzisierungen erfolgen. Zunächst stellt sich die Frage, worauf eigentlich sich die 65 Prozent genau beziehen. Der Wortlaut des Koalitionsvertrags setzt sie in Bezug zur „Heizung“, also dem Wärmeerzeuger, und zielt damit anders als die bisherige Systematik des GEG nicht auf den Gesamtenergiebedarf des Gebäudes ab.

Daher ist zum einen der Anwendungsbereich des Nutzungsgebots auf den neuen Wärmeerzeuger und dessen Bilanzraum zu richten, während weitere Energieaufwendungen, zum Beispiel für Kälte und Lüftung, außen vor bleiben. Auch bestehende Heizkessel, die in einem hybriden System weiterbetrieben werden, würden nicht berücksichtigt.

Blick auf Wärmeerzeugung vereinfacht Umsetzung

Dieser Fokus auf den neuen Wärmeerzeuger vereinfacht die Umsetzung der Vorschrift, weil ausschließlich dessen technische Eigenschaften zu betrachten sind. Anders als beim Installationsverbot reiner Ölheizungen nach Artikel 72 Abs. 4 GEG sind jedoch alle Arten von Wärmeerzeugern einzuschließen, nicht nur Heizkessel. Im Übrigen sollte eine vorzeitige anteilige Einführung des Nutzungsgebots, zum Beispiel mit geringeren Anteilen erneuerbarer Energie, vermieden werden. Denn das würde die Nachfrage nach Heizsystemen verstärken, die ab 2025 nicht mehr eingesetzt werden dürften, und damit zu einer Verunsicherung im Markt führen.

Etwaige andere Interpretationen der formulierten Vorgabe als deren Erfüllung mittels Wärmepumpen halten einer Berechnung kaum Stand. Im Wesentlichen würde nur noch eine mit 65 Prozent Biomethan betriebene Gasheizung diesen Wert erreichen. Die Vorgabe ist auch Ausdruck der Studienlage der vergangenen Jahre sowie der umsetzbaren Praxis, die für die Beheizung der meisten Gebäude Wärmepumpen und im städtischen Bereich die perspektivisch dekarbonisierte Fernwärme vorsieht.

Doch wie wäre die Vorgabe im GEG abzubilden? Mit der Einführung der „Bundesförderung effiziente Gebäude“ und des Gebäudeenergiegesetzes hat sich der Gesetzgeber bereits entschieden, Wärmeerzeuger auf Basis der europäischen Ökodesign-Vorgaben zu bewerten. Die dort verankerte Raumheizungs-Energieeffizienz (ETAsh) hat den Vorteil, dass verschiedene Arten von Heizgeräten miteinander hinsichtlich ihrer Energieeffizienz und Einbindung erneuerbarer Energien verglichen werden können.

Auch mit Blick auf Praxistauglichkeit und Vollzug spricht vieles für einen Ansatz nach Ökodesign. Erfahrungen mit dem Erneuerbaren-Wärmegesetz in Baden-Württemberg zeigen, dass ein mangelhafter Vollzug die Wirkung des Gesetzes erheblich hemmt. Dort sind vor allem Schornsteinfeger damit betraut, wobei sie den Mindestanteil auf den Gebäudeenergiebedarf beziehen müssen. Diese Berechnungen sind zu komplex, vor allem wenn künftig Kombinationen aus Gaskessel und Wärmepumpe sowie weiteren Komponenten (etwa Anteile Biogas) zu berücksichtigen sind. Andererseits können Witterungsbedingungen bei Hybridgeräten zu erheblichen Schwankungen beim Betrieb der fossilen Erzeugungskomponente führen.

Eigentümer brauchen Klarheit

Für Gebäudeeigentümer muss möglichst einfach und rechtssicher klar sein, ob eine neue Heizung das Nutzungsgebot erfüllt oder nicht. Bestenfalls ist dies bereits am Gerät ablesbar. Nur so ist zu erwarten, dass ein millionenfacher Rollout von erneuerbaren Heizungssystemen erfolgt.

Diejenigen, die auf veraltete und vielfach widerlegte Vorurteile gegenüber der Wärmepumpentechnologie (Wärmeschutz, Wirtschaftlichkeit, Vorlauftemperatur, …) hinweisen, müssen Gegenvorschläge zur Erreichung der Klimaschutzziele im Gebäudesektor machen. Darüber hinaus muss auch benannt werden, wie viele Gebäude tatsächlich etwaige Ausnahmen betreffen und welche betriebs- und volkswirtschaftlichen Kosten Alternativen nach sich ziehen würden.

Eine spätere oder stufenweise Einführung des Ziels würde den Umstand ignorieren, dass 2045 der gesamte Heizungsbestand 100 Prozent erneuerbare Energien erreicht haben muss. Auch anderen Herausforderungen der Wärmepumpentechnologie, wie Handwerkskapazitäten und der Ausbau des Stromverteilnetzes, kann man nicht durch deren bloße Erwähnung, sondern nur mit konkreten Lösungsansätzen begegnen. In der Debatte wird selten bis nie benannt, dass das Fachhandwerk mit Wärmepumpen eine höhere Wertschöpfung erzielt. Ebenso „zufällig“ wird oft auch das Flexibilitätspotential von Wärmepumpen in Verbindung mit thermischen Speichern für das Stromverteilnetz vergessen.

Fazit: Schnelle Umsetzung wäre Meilenstein

Mit der Absenkung der EEG-Umlage in diesem Jahr und deren vollständiger Finanzierung aus dem Bundeshaushalt ab 2023 hat die Koalition wichtige Voraussetzungen für Erreichung der Klimaziele geschaffen, die längst überfällig waren. Für den Gebäudesektor wäre eine Umsetzung des Nutzungsgebots von 65 Prozent erneuerbarer Wärme in der nächsten Novelle des Gebäudeenergiegesetzes beziehungsweise im Klimaschutz-Sofortprogramm 2022 der nächste wegweisende Meilenstein.

Ganz nebenbei würde sich damit auch die Diskussion über derzeit nicht verfügbare Wärmetechnologien erübrigen, deren mangelnde Effizienz ohnehin erhebliche Kosten für Endkunden und die Volkswirtschaft verursachen würde – von zahlreichen ungelösten technischen Fragen ganz abgesehen. Anfangen statt Aufschieben muss jedenfalls jetzt die Devise im Wärmemarkt sein!

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