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Sustainable Finance

Standpunkte Ich investiere in Kohle. Weil ich muss

Alison Schultz, Initiative SustainVBL
Alison Schultz, Initiative SustainVBL Foto: Foto: Alison Schultz

Die Mannheimer Finanzökonomin Alison Schultz ist pflichtversichert in der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) und wehrt sich dagegen, dass ihre Betriebsrentenbeiträge klimafeindlich angelegt werden. Mit der Initiative SustainVBL fordert sie von der staatlichen Einrichtung mit 29 Milliarden Euro Anlagekapital ein Umsteuern in Richtung Nachhaltigkeit.

von Alison Schultz

veröffentlicht am 19.08.2021

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Investiert eigentlich irgendwer heute noch ernsthaft in Kohle? Deutschland hat die Stilllegung seiner Kohlekraftwerke für 2038 beschlossen, bis spätestens 2040 müssen laut dem Pariser Klimaabkommen weltweit die letzten Kohleanlagen vom Netz gehen. Firmen und Verbraucher:innen steigen seit Jahren auf erneuerbare Energien um, bereits 2020 schrieben 46 Prozent aller Kohlekraftwerke Verluste. Klingt also nicht nach einem vielversprechenden Investment.

Nun, ich investiere in Kohle. Für meine Rente. Nicht, weil ich es sinnvoll finde, sondern weil ich muss. Wie 4,9 Millionen andere Angestellte im öffentlichen Dienst bin ich verpflichtend bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) versichert. Ich zahle 1,81 Prozent meines Lohns an die VBL, die dieses Geld anlegt, um mir im Ruhestand eine Betriebsrente auszuzahlen. Weil mein Arbeitgeber noch 6,45 Prozent drauflegt, fließen für mich als wissenschaftliche Mitarbeiterin mit einem Teilzeitvertrag monatlich mehr als 250 Euro an die VBL. Insgesamt verwaltet Deutschlands größte Zusatzversorgungseinrichtung des öffentlichen Dienstes laut Bilanz ein Anlagevermögen von etwa 29 Milliarden Euro. Was macht sie mit diesem Geld?

Versicherte wissen nicht, wo ihr Geld angelegt ist

Die erste Antwort lautet: Schwer zu sagen. Die VBL weigert sich, ihre Investments offenzulegen. Als Versicherte ist es mir – im Gegensatz zu Pensionskassen anderer Länder wie Norwegen – unmöglich, herauszufinden, welche Unternehmen mit meinen Rentengeldern finanziert werden. Nicht einmal das Bundesfinanzministerium, das die VBL als Anstalt öffentlichen Rechts offiziell beaufsichtigt, weiß über ihre Anlagen Bescheid, so geht es aus der Antwort des Ministeriums auf eine Anfrage der Bürgerbewegung Finanzwende hervor (Der Tagesspiegel berichtete).

Die zweite Antwort ist: Wohl nicht nur Gutes. Zumindest für einen kleinen Teil des Portfolios – etwa 40 Millionen Euro – lässt sich dem VBL-Geschäftsbericht entnehmen, wo das Geld angelegt ist, nämlich in dem Aktienfonds MI-Fonds 271. Dieser Fonds orientiert sich am MSCI World Index, investiert also in die größten Unternehmen der Welt. Darunter finden sich nicht nur Waffenproduzenten wie BAE Systems, sondern auch die Öl-Multis Shell und Exxon Mobile und die beiden größten Kohleunternehmen der Welt, BHP und Rio Tinto. Die VBL erwirtschaftet meine Rente also mithilfe der größten Klimasünder.

Riskante Wette gegen die Klimaziele der Bundesregierung

Jedes Investment ist eine Wette. Wer in fossile Brennstoffe investiert, wettet darauf, dass diese auch in Zukunft profitabel sein werden. Um profitabel zu bleiben, planen die großen fossilen Aktienunternehmen aktuell die Verbrennung von Kohle-, Öl- und Gasreserven in einem Umfang ein, der zu einer globalen Erwärmung von vier Grad Celsius führen würde. Wenn die VBL weiter in diese Unternehmen investiert, wettet sie also aktiv dagegen, dass die Bundesregierung – und mit ihr alle Unterzeichner des Pariser Klimaabkommens – den Kampf gegen den Klimawandel gewinnt. Sollte die VBL mit ihrer Wette Recht behalten, wären BHP und Rio Tinto vielleicht tatsächlich noch am Markt, wenn ich 2060 in Rente gehe, mit all den katastrophalen Folgen, die eine Erwärmung um vier Grad mit sich bringen würde. Sollte die Bundesregierung dagegen eine effektive Klimapolitik verfolgen, so wirkt sich diese zum finanziellen Nachteil der öffentlich Beschäftigten aus, deren Rentengelder in fossilen Brennstoffen liegen.

Ob fossile Energieträger, Waffen oder Unternehmen, die Arbeitnehmerrechte verletzen: Anders als andere große Pensionskassen, wie der staatliche Pensionsfonds Norwegens oder die französische Caisse des Dépôts, schließt die VBL weder problematische Sektoren konsequent aus, noch investiert sie gezielt in zukunftsträchtige Unternehmen.

Keine Auskunft auf Fragen von Versicherten

Nicht finanziert werden lediglich von den UN geächtete Waffen. Auf ihrer Website gibt die VBL außerdem an, nicht in Unternehmen zu investieren, die schwer oder systematisch gegen Menschenrechte und die ILO-Kernarbeitsnormen verstoßen. Die Aushöhlung von Arbeitnehmerrechten durch Amazon oder das fehlende Engagement von Nestlé gegen Kinderarbeit in der Kakaoernte scheinen jedoch hierunter nicht zu fallen; beide Unternehmen sind unter den sechs größten Positionen des MI-Fonds 271. Welche Firmen sie tatsächlich ausschließt, verschweigt die VBL genauso wie die Unternehmen, die sie finanziert, um – laut Website – „eine positive Wirkung zu erzielen“.

Dieser Umgang mit den Rentengeldern veranlasste schon 2019 mehrere tausend öffentlich Beschäftigte, die VBL per E-Mail um Auskunft über ihre Anlagen zu bitten. Als sich daraufhin nichts bewegte, veröffentlichten wir als Angestellte verschiedener Universitäten und Forschungseinrichtungen im Oktober 2020 einen Offenen Brief, der Transparenz, verpflichtende soziale und ökologische Standards, sowie den Ausschluss fossiler Energieträger aus dem Portfolio verlangt. Unsere Forderungen werden mittlerweile von 30 Institutionen und zahlreichen VBL-Versicherten unterstützt.

„Engagement-Ansatz“ ohne Belege

Der Vorstand der VBL erklärte auf unsere Forderungen lediglich, dass die VBL bereits einen „Engagement-Ansatz“ verfolge, sich also bei Hauptversammlungen für eine nachhaltigere Unternehmensführung einsetze.

Ein Engagement der Anteilseigner kann Unternehmenspolitik durchaus positiv beeinflussen, wenn es mit Nachdruck betrieben wird. Die VBL kümmert sich hier jedoch nicht selbst, sondern beauftragt die Deka-Bank und damit ein Unternehmen, dem kürzlich von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg in einem Fall Greenwashing vorgeworfen wurde. Welche Anträge für die VBL eingebracht und wie in Hauptversammlungen abgestimmt wurde, ist wiederum nicht transparent.

Nachhaltig anlegen ist so schwierig wie Elektroautos bauen

Ende dieses Jahres trifft sich der Verwaltungsrat der VBL, um über Nachhaltigkeit der Anlagen zu diskutieren. Natürlich ist es nicht einfach, für volle Transparenz zu sorgen, klimafeindliche und unsoziale Unternehmen konsequent auszuschließen, sich bei Firmen mit Nachhaltigkeitspotenzial hartnäckig als Anteilseigner einzubringen und gezielt in Projekte zu investieren, die die sozial-ökologische Transformation vorantreiben. Es ist genauso schwierig wie Elektroautos zu bauen, die Stromversorgung klimaneutral zu gestalten oder Alternativen zu Plastikverpackungen durchzusetzen.

Es ist aber auch genauso notwendig. Denn die sozial-ökologische Transformation benötigt Geld, und zwar viel Geld. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung schätzt, dass allein in Deutschland zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens bis zum Jahr 2050 sechs Billionen Euro private Investitionen fließen müssen. Die 29 Milliarden Euro der VBL wären ein Anfang.

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