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Sustainable Finance

Standpunkte Negative Emissionen: eine Chance für Start-ups

Larissa Skarke ist Investment-Managerin beim Wagniskapitalgeber World Fund, der in Climate-Tech-Startups mit hohem Dekabornisierungspotential investiert.
Larissa Skarke ist Investment-Managerin beim Wagniskapitalgeber World Fund, der in Climate-Tech-Startups mit hohem Dekabornisierungspotential investiert. Foto: World Fund

Von manchen als Wundermittel in der Klimakrise beworben – von anderen als technische Spielerei abgetan: Negative Emissionen, das Entfernen von CO2 aus der Atmosphäre, polarisieren. Larissa Skarke vom europäischen Climate-Tech-Wagniskapitalgeber World Fund ordnet die Carbon-Removal-Technologien ein.

von Larissa Skarke

veröffentlicht am 16.11.2023

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Um unsere Klimaziele zu erreichen, ist es unerlässlich, zusätzlich zur Vermeidung und Reduzierung des Ausstoßes von CO2, unvermeidbares und bereits emittiertes CO2 aktiv aus der Atmosphäre zu entfernen. Alle Szenarien des Weltklimarats IPCC, in denen wir weiterhin eine Chance haben, die Erwärmung des globalen Klimas auf ein erträgliches Maß zu reduzieren, rechnen das so genannte Carbon Removal mit ein – das Entfernen von CO2 aus der Atmosphäre. Diskutiert wird in diesem Zusammenhang vor allem die Qualität, die Kosten und die Skalierbarkeit von Technologien zur CO2-Entfernung. Gegner dieser Technologien führen zudem das Argument des Freifahrtscheins an, der es Emittenten erlaubt, weiterhin CO2 auszustoßen anstatt ihre Emissionen signifikant zu verringern.

Emissionsvermeidung reicht nicht

Das Problem ist aber wesentlich komplexer. Zwar sind negative Emissionsmaßnahmen kein Wundermittel, um die Klimakatastrophe im Alleingang zu verhindern. Allerdings kann ein Zusammenspiel mit Vermeidungs- und Reduktionsmaßnahmen, wie beispielsweise der massive Ausbau erneuerbarer Energien, Energieeffizienz, nachhaltige Landwirtschaft und Ernährung, der Schlüssel zum Erfolg sein.

Nicht jede der Maßnahmen in diesem Mix aus CO2-Vermeidung und -Reduzierung sowie Entfernungsstrategien ist vergleichbar effektiv und günstig. Deshalb ist die Antwort auf die Frage, ob es sinnvoll ist, CO2-Emissionen aus der Luft zu entfernen, ein klares: Ja, aber. Einerseits ist es in der Regel deutlich günstiger und effektiver, zu verhindern, dass Emissionen überhaupt entstehen, als sie mit viel Aufwand wieder aus der Luft zu entfernen. Andererseits wird es nicht reichen, nur auf Emissionsvermeidung und -reduktion zu setzen. Zudem gibt es Prozesse, die nur sehr schwierig zu dekarbonisieren sind. Ohne Lösungen zum Erzeugen negativer Emissionen steigt daher die Wahrscheinlichkeit, dass wir die gefährlichen Kipppunkte des Klimas überschreiten.

Noch komplexer wird das Thema dadurch, dass die Qualität von Emissionszertifikaten sehr unterschiedlich ist. Eine Analyse des britischen Guardians deckte auf, dass aktuell nur etwa fünf bis zehn Prozent der weltweit verkauften Emissionszertifikate echte negative Emissionen beinhalten, bei denen beispielsweise über das Pflanzen neuer Bäume CO2 wieder aus der Luft entfernt wird. Hierbei entsteht durch das aktive Entfernen bereits entstandener Emissionen ein Ausgleich für die zuvor ausgestoßenen Emissionen, so dass sich die CO2 Bilanz auf null beläuft. Bei mehr als 90 Prozent der Zertifikate handelt es sich jedoch um solche, bei denen der Verkäufer garantiert, dass durch das Zertifikat lediglich zusätzliche Emissionen vermieden werden, die ohne sein Zutun entstanden wären.

Wie negative Emissionen erreicht werden

Das ist in manchen Fällen sinnvoll – in anderen nicht. So ist es beispielsweise besser, die Abholzung eines bestehenden Walds, der viel CO2 bindet, vollständig zu vermeiden, als an einem Ort Wald abzuholzen und an einem anderen neue Bäume zu pflanzen. Allerdings gibt es im Allgemeinen große Zweifel an der Additionalität so genannter Vermeidungszertifikate: Bedeuten mehr verkaufte Zertifikate unterm Strich wirklich weniger CO2 in der Atmosphäre? Zusätzlich sind diese Art von Zertifikaten aufgrund mangelnder Qualitätssicherung jüngst immer mehr in Verruf geraten.

Auf der anderen Seite treiben zunehmende staatliche Mechanismen, wie Verbotsregulierungen und Besteuerungen, gemeinsam mit steigenden „Net Zero”-Verpflichtungen im privaten Sektor die Nachfrage nach Emissionszertifikaten. Per Definition können „Net Zero”-Verpflichtungen nur dann erreicht werden, wenn CO2 aktiv entfernt und nicht nur andernorts vermieden wird. Wir beim World Fund gehen deshalb davon aus, dass die Nachfrage nach streng zertifizierten, qualitativ hochwertigen Zertifikaten sowohl aufgrund der Marktnachfrage als auch aufgrund der zunehmenden Regulierung deutlich steigen wird.

Es gibt verschiedene Ansätze für das Entfernen von CO2 aus der Atmosphäre: Sie reichen vom Bäume pflanzen über regenerative Landwirtschaftsmethoden, die gesündere Böden kultivieren und dadurch mehr Kohlenstoff im Boden speichern bis zur durch Technologie beschleunigten und verstärkten Gesteinswitterung, das so genannte Enhanced Rock Weathering. Für gewöhnlich ist Verwitterung ein langsamer natürlicher Prozess, bei dem CO2 im Rahmen einer geochemischen Reaktion dauerhaft in Karbonaten gebunden wird. Dieser natürliche Prozess kann beispielsweise dadurch beschleunigt werden, dass Silikatstein gemahlen wird und anschließend auf Agrarflächen ausgestreut wird. Hierbei wird durch die gesteigerte Gesteinsoberfläche die Verwitterung und somit die CO2-Bindung signifikant beschleunigt. Bei der natürlichen Verwitterung von Mineralen, die reich an Kieselsäure sind, wird CO2 aus der Atmosphäre entzogen und langfristig in Form von festen Carbonaten oder gelöstem Bicarbonat in Ozeanen gebunden. Der derzeit meistdiskutierte Ansatz ist jedoch das sogenannte Direct Air Capture – also das Herausfiltern von CO2 aus der direkten Umgebungsluft. Es gibt aber auch bisher noch wenig erforschte Methoden wie CO2-Speicherung in Meeren.

Bei fast allen diesen Methoden spielen technologisch innovative Start-ups und Wagniskapital eine wichtige Rolle, um diese Lösungen zu entwickeln und zu skalieren. So könnte Software beispielsweise helfen, zu berechnen, wo Bäume gepflanzt werden sollten, und Drohnen könnten die Bepflanzungspläne anschließend kostengünstig umsetzen. Große Chancen ergeben sich jedoch auch im Bereich der kapitalintensiven Lösungen oder deren Finanzierung – beispielsweise das oben genannte Direct Air Capturing, das kapitalintensiver Anlagen und Feldversuche bedarf, um eine verlässliche und skalierbare Lösung für das Entfernen von CO2 aus der Atmosphäre anzubieten.

Der Markt für negative Emissionen wächst derzeit rasant – und befindet sich erst am Beginn einer langen Wachstumsphase. Bei den Carbon-Removal-Technologien sehen wir klare Fortschritte und marktfähige Lösungen in greifbarer Nähe. Wichtig ist es, diese Lösungen frühzeitig zu unterstützen, so dass sie sich im Gleichlauf mit dem wachsenden Markt entwickeln können. Auf Start-ups, deren Lösungen in den kommenden Jahren einen sinnvollen, effektiven und wirtschaftlichen Beitrag zur Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre anbieten können, wartet ein hochinteressanter Markt.

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