Zugegeben: In Koalitionsverträgen haben Prosa und Programmatik Tradition. Dass die neue Ampel-Edition in zentralen Themen aber derart vage bleibt, ist beunruhigend. Der druckfrische Koalitionsvertrag – für mich als Gesundheitspolitiker eine ernüchternde Lektüre. Der große Wurf ist ausgeblieben.
So ist bei der Zukunft der Krankenhauslandschaft zwar die Rede von „nötigen Reformen“, einer „Regierungskommission“, vorzulegenden „Leitplanken“ und „Empfehlungen“ – aber welchen? Und wann genau? Womöglich wissen es die Koalitionäre selbst nicht. Es ist alarmierend, dass eine Bundesregierung in spe hier so unkonkret bleibt.
Für die Finanzierung der Pflege sieht es nicht besser aus. In unserer alternden Gesellschaft ist das System dringend reformbedürftig, doch die Ampel vertagt die Reform der sozialen Pflegeversicherung auf das Jahr 2023. Eine „Expertenkommission“ wird betraut, bis dahin sind keine handfesten Ergebnisse zu erwarten. Auch hier konnten sich die Koalitionäre offenbar nicht einigen, vielleicht fehlten auch die Ideen. „Wenn ich mal nicht weiter weiß, gründe ich einen Arbeitskreis.“
Konkreter abgehandelt werden stattdessen Themen wie Gendermedizin oder die Cannabis-Freigabe. Dass währenddessen die Pflegefinanzierung für Millionen Menschen und die Zukunft unserer knapp 2.000 Krankenhäuser auf der Strecke bleiben, ist eine beunruhigende Schwerpunktsetzung. Wer dem Kiffen im Koalitionsvertrag einen eigenen Absatz widmet, sollte auch Antworten auf die wirklich relevanten Fragen geben. Die Ampel bleibt sie schuldig.
Widersprüchliche Signale an Gesundheitswirtschaft
Das gilt in ähnlicher Weise für die oft diskutierte Selbstverwaltung der Pflege. Auch hier spielt die Ampel auf Zeit. Die geplante „Befragung aller Pflegenden“ klingt nett, doch die entscheidenden Punkte sind längst bekannt: Die Stimmung ist schlecht, die Pflegekräfte wollen (und brauchen) mehr Mitsprache und eine angemessene Vertretung, auf freiwilliger Basis wohlgemerkt. Umfragen braucht es für solche Erkenntnisse nicht.
Zutiefst widersprüchliche Signale sendet die Ampel an die Gesundheitswirtschaft: Grünes Licht für Entbürokratisierung und Zuschüsse für die Stärkung unseres Pharmastandortes. Die Ansiedlung innovativer Unternehmen soll in Deutschland attraktiver werden. Zugleich aber werden tiefe Eingriffe in die Preisbildung bei Arzneimitteln angekündigt, zudem eine Fortsetzung des Preismoratoriums. Welche innovativen Unternehmen will man mit solchen Bedingungen nach Deutschland locken?
In der Digitalisierung wird die Ampel aufgreifen, was die Union in hohem Tempo vorangetrieben hat. Bemerkenswert in diesem Kontext ist der Sinneswandel der SPD bei der Nutzung von Gesundheitsdaten für die wissenschaftliche Forschung. Hier blicken wir zurück auf drei Jahre (und drei Gesetze), geprägt von der dogmatischen Blockadehaltung der SPD bei diesem Thema. Für die Medizin wäre es ein Quantensprung, wenn das Potenzial von Forschungsdaten nun endlich umfassender erschlossen würde. Bleibt – unter anderem auch mit Blick auf die ePA und das E-Rezept – zu hoffen, dass im Bereich E-Health neben der heiligen DSGVO-Konformität auch auf weltliche Praktikabilität geachtet wird.
Bundeszuschuss für die GKV als Fass ohne Boden?
Das besondere Augenmerk der Ampel auf Prävention in verschiedenen Lebensbereichen ist zu unterstützen, bleibt aber unbestimmt. Wie soll die politische Prävention vor Einsamkeit aussehen? Welche „klima- und umweltbedingten Gesundheitsschäden“ fürchten die Koalitionäre in naher Zukunft für die Deutschen?
Auf der Finanzierungsseite hingegen bleibt offen, wie die „regelhafte Dynamisierung“ des Bundeszuschusses für die GKV ausgestaltet werden soll. Ohne Deckelung würde sie zum Fass ohne Boden. Gespart wird derweil (stumpf und populär) vor allem wieder im Arzneimittel-Sektor, obwohl der seit Jahren längst kein kritischer Kostentreiber mehr ist. Dass stattdessen (und unangenehmerweise) auch in anderen GKV-Leistungsbereichen und in den Kliniken großes Einsparpotenzial besteht, ist wohl unter den Verhandlungstisch gefallen.
Immerhin: Die Ampel-Pläne knüpfen an vielen Stellen an die Gesetzgebung an, die wir als CDU/CSU in den vergangenen Jahren vorangetrieben haben: Ob Intensivpflege oder Digitalisierung, Innovationsfonds, Apothekengesetz oder Kassenwerbung: Falls sich die neue Koalition hier und da mit der Arbeit der alten schmückt, lässt das auf eine gewisse Kontinuität hoffen. Den Akteuren unseres Gesundheitssystems würde das Verlässlichkeit und Handlungssicherheit geben.
Unterm Strich bietet das Ampel-Papier viel Altbekanntes, viele Versprechungen und viele gute Worte. Doch gerade in der Medizin gilt die Methode „viel hilft viel“ als fatal. Zusammenfassen lässt sich das Gesundheits-Kapitel des Koalitionsvertrages mit den Attributen „unkonkret und unterfinanziert“. Denn alle frommen Wünsche verpuffen, wenn sie nicht konkret und glaubwürdig gegenfinanziert sind. Für eine politische Agenda, die auf vier Jahre richtungsweisend für eines der wichtigsten Politikfelder sein soll, ist all das zu ambitionslos.
Keine Lust auf Verantwortung
Besonders fatal: In Ampel-Kreisen hieß es zuletzt, niemand wolle das Gesundheitsministerium übernehmen. Das Risiko schlechter Presse sei zu hoch, das Corona-Krisenmanagement voller Fallstricke und das Politikfeld generell ein Minenfeld. Was für ein Armutszeugnis! Als Union waren und sind wir stolz, dass wir die Gesundheitspolitik unseres Landes in den letzten Jahren an zentraler Stelle lenken durften.
Jede andere Partei mit Regierungsanspruch sollte es auch sein und dieses Ressort mit Leidenschaft in Angriff nehmen. Wer in der Gesundheitspolitik keinen Mut aufbringt, Verantwortung zu übernehmen, disqualifiziert sich schon zu Beginn der Legislatur.
Der Magdeburger CDU-Bundestagsabgeordnete Tino Sorge sitzt seit 2013 im Gesundheitsausschuss und war in der vergangenen Legislatur Berichterstatter seiner Fraktion für die Bereiche Digitalisierung und Gesundheitswirtschaft.