Die Corona-Pandemie hat leider auch einen entscheidenden Beitrag zu den Multiresistenzen beigesteuert, denn die Zahlen der Antibiotikaverbräuche ist deutschlandweit 2020 in den Kliniken deutlich angestiegen. Der Grund hierfür ist, dass das medizinische Personal zur Behandlung der Covid-19-Patient:innen vermehrt Breitbandantibiotika verabreicht hat. Breitbandantibiotika bekämpfen mit ihrer Wirkung mehr als einen Erreger und werden eingesetzt, um Symptome zu behandeln, die von unbekannten Erregern verursacht werden. Da Antibiotika Bakterien bekämpfen, aber keine Viren, sind sie gegen Corona-Infektionen wirkungslos. Dennoch wurden Antibiotika hier zur Behandlung eingesetzt, weil die Anwender sich nicht anders zu helfen wussten und ihnen zum Teil die Fachkenntnisse zum richtigen Umgang mit Antibiotika schlichtweg fehlen. Ein falscher Einsatz von Antibiotika fördert jedoch die Entstehung von Multiresistenzen – mit teils tödlichen Folgen. Die WHO rechnet damit, dass 2050 mehr Menschen an Infektionen mit multiresistenten Erregern sterben, als an Krebs.
Multiresistente Erreger – Entstehung und Verbreitung
Multiresistente Erreger sind Bakterien, die gegen eine Vielzahl von Antibiotika unempfindlich sind. Bestimmte Gruppen, wie Immunsupprimierte, sehr junge und ältere Menschen sowie Personen mit schweren Grunderkrankungen, sind dabei besonders gefährdet. Zu den bekanntesten Erregern, die Resistenzen gebildet haben, zählt der MRSA (Grampositive Methicillin resistenter Staphylococcus aureus). Viele gesunde Menschen haben MRSA-Bakterien oder eine sensible Variante davon auf der Haut, wo der Erreger keinen Schaden anrichtet. In Kontakt mit offenen Wunden können diese hingegen sehr gefährlich werden und lebensbedrohliche Entzündungen oder eine Blutvergiftung verursachen. Besonders gefährlich ist er für Patienten mit Immunsupression, weil in diesem Fall die gewöhnlich eingesetzte Therapie nicht hilft. Allerdings fürchten sich Experten heute mehr vor den sogenannten multiresistenten gramnegativen Erregern (MRGN), gegen die es nur noch wenige bis keine Antibiotika mehr gibt.
Für die Medizin sind Multiresistenzen ein wachsendes Problem, das sich durch den falschen Einsatz von Antibiotika zusätzlich vergrößert. Wird zum Beispiel ein Antibiotikum zu niedrig dosiert oder zu lange verabreicht, können Bakterien Resistenzen bilden. Diese Erbinformationen geben sie auf unterschiedlichen Wegen an andere Erreger weiter und bilden neue resistente Stämme. Ein anderes Problem: Eine ungezielte Therapie tötet nur die empfindlichen Erreger ab. Die resistenten, die vorher in der Unterzahl waren, werden nicht mehr in Schach gehalten, was zur Folge hat, dass diese dann Überhand nehmen und krankmachen können. Um dem gezielt entgegenzuwirken, untersuchen internationale Studien derzeit umfangreich, ob und um wie viele Tage bestimmte Antibiotika-Therapien verkürzt werden können.
Infektionen mit multiresistenten Erregern können nicht mehr mit Antibiotika behandelt und schlimmstenfalls nicht aufgehalten werden. Eine aktuelle Auswertung an den Helios Kliniken zeigt, dass ein Drittel (36,3 Prozent) der Patienten, die sich im Krankenhaus mit einem multiresistenten Erreger angesteckt haben, an der Infektion verstorben ist. Fast 40 Prozent jener Patienten hatten eine unzureichende antimikrobielle Therapie erhalten. Ein Ergebnis, das insbesondere bei der Verordnung entsprechender Antibiotika Verbesserungspotential aufzeigt.
Weiterbildung im Umgang mit Antibiotika
Um den Ärztinnen und Ärzten mehr Sicherheit zu geben, haben bereits erste Kliniken im Sinne der Antibiotic Stewardship Initiative (ABS) Aus- und Weiterbildungsprogramme zum richtigen Umgang mit Antibiotika etabliert. Die ausgebildeten Antibiotika-Beauftragten stehen ihren Kolleginnen und Kollegen zur Seite und beraten bei der Verordnung von Antibiotika. Ziel ist es, die Ärztinnen und Ärzte für das Thema Antibiotika zu sensibilisieren und durch die richtige Gabe von Antibiotika die Entstehung von Multiresistenzen zu verhindern. Dabei sollte das Wissen vor allem in die Breite getragen werden, indem möglichst viele eine Basisausbildung und ein Teil eine zusätzliche erweiterte Ausbildung erhalten. Diese ABS-Experten oder Infektiologen sollen dann die Beauftragten unterstützen, wenn sie an ihre Grenzen stoßen.
Während der Corona-Pandemie sind viele Aus- und Weiterbildungen ausgefallen, auch die ABS-Schulungen waren betroffen. Die gestiegenen Antibiotikaverbrauchszahlen im vergangenen Jahr zeigen deutlich, wie wichtig die Ausbildung zum Umgang mit Antibiotika ist, um falsche Behandlungen zu vermeiden. Die Corona-Situation hat daher vor Augen geführt, dass fachliche Weiterbildungen möglichst immer fortgesetzt werden sollten – gegebenenfalls in einem anderen, auf die Situation angepassten, Format. Die Helios Kliniken haben beispielsweise die Ausbildung ihrer ABS-Beauftragten im Zuge der Pandemie komplett digitalisiert.
Neben der Aus- und Weiterbildung im Umgang mit Antibiotika sind Reportings und Reviews essentiell für eine Verbesserung der Situation. Nur, wenn der Verbrauch von Antibiotika beobachtet wird, können Auffälligkeiten und eine eventuelle falsche Anwendung festgestellt werden. Solche Auffälligkeiten sollten in sogenannten Peer Reviews analysiert werden. In dem Feedback-Verfahren soll den Kolleginnen und Kollegen gezielt eine Hilfestellung bei der Verbesserung ihrer Therapien und der Diagnostik gegeben werden. Die Helios Kliniken haben in all ihren Kliniken ein Antibiotika-Reporting eingeführt und veröffentlichen den Antibiotika-Verbrauch seit 2020 jedes Jahr.
PD Dr. Irit Nachtigall, Fachgruppenleiterin Infektiologie und Antibiotic Stewarship bei Helios und Regionalleitung der Region Ost.