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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Datenbank digitalisiert Therapieprotokolle

Rolf van Lengen ist Leiter des Forschungsprogramms „Digital Healthcare“ am Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE in Kaiserslautern
Rolf van Lengen ist Leiter des Forschungsprogramms „Digital Healthcare“ am Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE in Kaiserslautern Foto: Fraunhofer IESE

Die Digitalisierung birgt für die Ausgestaltung des Gesundheitswesens ein riesiges Potenzial, geht aber trotzdem nur schleppend voran. Dass es es sich lohnen würde, aufs Gaspedal zu treten, zeige das Beispiel der „Onkopti-Datenbank“, die die Behandlung von Krebspatienten verbessern soll – meint Rolf von Lengen, der hinter dem Fraunhofer-Projekt steht und es hier skizziert.

von Rolf van Lengen

veröffentlicht am 26.09.2022

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Das Potenzial der Digitalisierung im Gesundheitswesen ist enorm: Laut einer aktuellen Studie der Unternehmensberatung McKinsey birgt der Einsatz digitaler Technologien eine 42-Milliarden-Euro-Chance pro Jahr in Deutschland. Dies entspreche rund zwölf Prozent der gesamten jährlichen Gesundheits- und Versorgungskosten in Höhe von zuletzt 343 Milliarden Euro. Oder anders ausgedrückt: Die Digitalisierung kann die Kosten für die Behandlung von Patienten wesentlich reduzieren, sie damit effizienter machen und so insbesondere die Qualität der Behandlung und Betreuung von Patienten maßgeblich verbessern. 

Leider wird das Potenzial bei Weitem jedoch noch nicht ausgeschöpft. Vielerorts schreiten Digitalisierungsmaßnahmen und der Einsatz innovativer Technologien noch sehr schleppend voran. Der Grund: Digitale Strukturen sind im Gesundheitswesen häufig nur in Teilen vorhanden. Zudem verzögern Interessenskonflikte zwischen den vielen beteiligten Akteursgruppen die technischen Lösungen.

Grund genug, auf die Kehrseite der Medaille aufmerksam zu machen und mehr Erfolge in den Vordergrund zu rücken. Denn wird anhand einzelner Use Cases deutlich, dass Digitalisierung erstens nicht nur machbar ist, sondern zweitens für viele alltägliche Probleme entscheidend Abhilfe schaffen kann, so kann dies – im Idealfall – den Transformationsprozess im Gesundheitswesen vielleicht sogar beschleunigen.

Zentraler Zugang zu standardisierten Therapieprotokollen

Als ein Beispiel für ein solches Leuchtturmprojekt sehen wir die Onkopti-Datenbank. Dahinter verbirgt sich eine Plattform, die schon vor einigen Jahren im Rahmen eines Forschungsprogramms entwickelt wurde und die nun bereits in vielen Klinikeinrichtungen zur Anwendung kommt. An dem Programm sind neben unserem Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE in Kaiserslautern als wissenschaftlicher Partner maßgeblich die Onkodin GmbH als industrieller Konterpart beteiligt. Ziel des Projekts war es einst, einen qualitätsgesicherten und datenbasierten Lösungsansatz für das Management onkologischer medikamentöser Therapieverfahren zu entwickeln.

Komplexe medizinische Therapieverfahren stellen die onkologischen Fachärzte vor eine große Herausforderung: Sie müssen eine individuell für einen Patienten besonders geeignete Therapie festlegen und das, während neue Medikamente und Studienergebnisse kontinuierlich neue Rahmenbedingungen für die Behandlung schaffen. Konkret besteht eine medikamentöse Tumortherapie dabei aus einer Kombination einzelner Therapien (Module) mit unterschiedlichsten Wirkstoffen. Deren Verabreichung wird in komplexen Protokollen beschrieben.

Soll ein Onkologe also eine medikamentöse Tumortherapie für einen Patienten individuell ausarbeiten, so muss er zwar nicht zwingend den aktuellen Forschungsstand kennen. Es wäre jedoch enorm hilfreich, wenn er sich auch auf Therapieprotokolle seiner Kolleginnen und Kollegen stützen könnte. Was auf den ersten Blick vielleicht relativ logisch klingt, war lange Zeit in der Praxis schwierig umzusetzen. Denn: Die oft handschriftlich ausgefüllten Protokollvordrucke waren schlichtweg nicht zentral für Fachärzte zugänglich bzw. die wenigen in Buchform verfügbaren Protokolle schnell veraltet.

Wissenschaft und Industrie ziehen an einem Strang

Genau hier soll die Onkopti-Datenbank Abhilfe schaffen. Die Plattform enthält inzwischen über 2.500 digitalisierte Therapieprotokolle für die medikamentöse Tumortherapie. Diese können von niedergelassenen Onkologen, Kliniken und Apotheken in eigene Planungssysteme importiert oder als Online-Publikation genutzt werden. Wichtig dabei ist, dass sämtliche Protokolle nach den aktuellen Leitlinien standardisiert sind, sodass eine Behandlung mit hoher Arzneimitteltherapiesicherheit erreicht werden kann. Die Daten werden zudem in regelmäßigen Abständen qualitätsgesichert und bei Bedarf angepasst.

Fachärzten, die die Datenbank nutzen, können so die Arbeitsschritte der onkologischen Therapie in den Kliniken und Praxen erleichtert und damit insbesondere die Therapie der Patienten deutlich verbessert werden. Das Beispiel zeigt: Natürlich können innovative Technologien nicht von heute auf morgen entwickelt und zur Anwendung gebracht werden. Ziehen Partner aus Wissenschaft und Industrie aber gemeinsam an einem Strang, kann der oft mühsame Weg aber erfolgreich beschritten werden. Und dies kommt wiederum allen zugute: den beteiligten Projektpartnern, den Ärzten und den Patienten.

Rolf van Lengen ist Leiter des Forschungsprogramms „Digital Healthcare“ am Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE in Kaiserslautern. Die Forschungseinrichtung ist neben dem Westpfalz-Klinikum in Kaiserslautern, der Deutschen Krebsgesellschaft AG Internistische Onkologie und der Onkodin GmbH als Projektpartner an der Onkopti-Datenbank beteiligt.

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