Erweiterte Suche

Gesundheit & E-Health

Standpunkte Der Mensch und sein Darmmikrobiom

Peter C. Konturek, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin II, Thüringen Klinik Saalfeld
Peter C. Konturek, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin II, Thüringen Klinik Saalfeld

Mikroben im Darm sind hochwichtig für die Gesamtgesundheit – aber auch hochindividuell. Peter Konturek plädiert dafür, Zustand und Zusammensetzung des Mikrobioms besser zu erforschen und bei Diagnosen besser zu berücksichtigen.

von Peter C. Konturek

veröffentlicht am 10.12.2020

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen

Bereits der bekannte Mediziner Paracelsus war der Meinung: „Der Tod sitzt im Darm.“ Tatsächlich deuten die Ergebnisse der Forschung der letzten zwei Jahrzehnte darauf hin, dass die Mikroorganismen im Darm (Mikrobiota) einen entscheidenden Einfluss auf die menschliche Gesundheit haben. So konnte gezeigt werden, dass unser Darm zu den am dichtesten besiedelten Ökosystemen gehört. 99 Prozent der Mikroorganismen gehen auf intestinale Bakterien zurück, der Rest auf Pilze, Archaea und Viren. Mittlerweile ist bekannt, dass im Darm ein Gleichgewicht zwischen verschiedenen günstigen Bakterien (Symbionte) herrscht. Eine Infektion beziehungsweise der Einsatz von Antibiotika kann dieses fein justierte Gleichgewicht ins Wanken bringen und die Folge ist eine sogenannte Dysbiose.  

Bei dem gesunden Darmmikrobiom geht es in erster Linie um eine entsprechende günstige Zusammensetzung der Mikrobiota. Mehr als 90 Prozent der Mikrobewohner werden zwei Phyla zugeschrieben, nämlich Firmicutes und Bacteroidetes. Die Mikrobiota haben eine Fülle von wichtigen physiologischen Funktionen zu erfüllen. Dazu gehören unter anderem die Bereitstellung der Energie für die Schleimhautzellen, die Regulation der Zellerneuerung der Darmschleimhaut, Beeinflussung der Funktion des Immunsystems, Unterstützung der Verdauung und eine ganz wichtige Rolle bei der Entgiftung des Darmes. Je nach Lebensstil, Umwelt und Genetik hat jeder Mensch seine individuelle Mikrobiota-Gemeinschaft („mikrobieller Fingerabdruck“). 

Die Definition eines gesunden Darmmikrobioms, welches die Voraussetzung für die menschliche Gesundheit darstellt, wird immer noch nicht komplett verstanden. Die Forscher gehen davon aus, dass ein gesundes Darmmikrobiom in erster Linie eine hohe Diversität und ein breites Spektrum von Metaboliten, also Stoffwechselprodukten, ausmacht.  

Antibiotika spielen große Rolle

Dass jeder Mensch sein individuelles Darmmikrobiom aufweist, geht auf verschiedene Einflussfaktoren zurück. Hierzu gehören unter anderem schon allein der Geburtsmodus, der Einsatz von Medikamenten, vor allem Antibiotika, die Ernährung, die geographische Lokalisation, Hygieneaspekte, durchgemachte Infektionen, Einfluss von Stress und sogar die Präsenz von Haustieren in der häuslichen Umgebung. All diese Faktoren können wichtige Langzeiteffekte auf unsere Gesundheit haben.  

Einer der wichtigsten Modulatoren der Darmmikrobiota sind Antibiotika. Die Entwicklung von verschiedenen Antibiotika spielt zwar eine enorm wichtige Rolle bei der Behandlung von Infektionskrankheiten, führt gleichzeitig aber auch zu sehr negativen Effekten bei den behandelten Patienten. So konnte gezeigt werden, dass sich die Zusammensetzung des Darmmikrobioms nach einer Antibiotika-Therapie nachhaltig ändert. Dabei kommt es zu kompositionellen Verschiebungen in Richtung des Rückganges von Firmicutes und Bacteroidetes und zur Zunahme von proentzündlichen Proteobakterien.

Der zweite wichtigste Modulator der Zusammensetzung der Darmmikrobiota ist natürlich unsere Ernährung. Eine hyperkalorische fettreiche Ernährung (Western-Typ-Diät) hat einen signifikanten Anstieg von proentzündlichen Taxa zur Folge. Dagegen unterstützt eine mediterrane Kost den Aufbau einer gesunden Darmmikrobiota. Dies zeichnet sich durch eine entsprechend hohe Variabilität und Produktion von kurzkettigen Fettsäuren aus.  

Generell führt eine ballaststoffreiche Ernährung zu einer Zunahme der Diversität und zu einer verstärkten Produktion von sogenannten kurzkettigen Fettsäuren, wie Buterat, Propionat oder Acetat. Die kurzkettigen Fettsäuren zeigen positive Wirkungen im Darm (unter anderem durch eine Verbesserung der Darmbarriere und die Regulation der Zellerneuerung). Gleichzeitig zeigen sich auch vielfältige positive Auswirkungen außerhalb des Darmes, wie die Regulation des Glukosestoffwechsels, der Einfluss auf die Kontrolle des Appetits und die Regulation des Immunsystems.  

Die Darmmikrobiota interagieren auch mit verschiedenen Organen mittels verschiedenen Darmmikrobiota-Achsen. Eine der am besten untersuchten Achsen ist die Hirn-Darm-Achse. So konnte gezeigt werden, dass eine Dysbiose oft mit verschiedenen funktionellen, neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen im Zusammenhang steht. Eine weitere wichtige Achse ist die Darm-Leber-Achse, die direkt und indirekt die Stoffwechselvorgänge in der Leber beeinflussen und einen präventiven Einfluss auf chronische Lebererkrankungen, wie Fettleberentzündung, Leberzirrhose oder Leberkrebs, haben können. 

Zusammenhang zwischen Störungen im Darmmikrobium und anderen Krankheitsbildern

Die Darmmikrobiota ist auch eine wichtige Quelle von anderen Stoffwechselzwischenprodukten (Metaboliten). Die Liste dieser Metaboliten wird immer länger. Die intestinale Dysbiose konnte im Zusammenhang mit verschiedenen entzündlichen und funktionellen Erkrankungen im Darm und außerhalb des Darmes (zum Beispiel Allergie, Autoimmunerkrankung, maligne Erkrankung, neurologische und psychiatrische Erkrankungen, metabolische Erkrankungen) nachgewiesen werden. 

Die Mikrobiota-basierte Therapie beinhaltet den Einsatz von Probiotika, Prebiotika, fermentierten Lebensmitteln, Synbiotika, Postbiotika und fäkalem Transfer. Probiotika repräsentieren lebende Mikroorganismen, die dem Wirt einen gesundheitlichen Vorteil bringen, wenn sie in ausreichender Menge aufgenommen werden. Zahlreiche Studien zeigten positive Effekte von Probiotika auf die Stärkung der Darmbarrierefunktion, Immunmodulation, antientzündliche Effekte und Hemmung der Invasion von pathologischen Bakterien. Viele Probiotika findet man auch in natürlichen, sogenannten probiotischen Lebensmitteln, wie Kefir, Joghurt, Sauerkraut und weiteren. 

Als Postbiotika werden verschiedene lösliche Stoffwechselprodukte bezeichnet, die von lebenden probiotischen Bakterien ausgeschieden oder nach bakterieller Lyse freigesetzt werden. All diese Produkte zeigen immunmodulatorische und antientzündliche Aktivitäten. Eine interessante Entwicklung der Mikrobiota-modulierenden Therapie stellt die fäkale Mikrobiota-Therapie dar. Dabei wird ein Stuhlextrakt von einem gesunden Menschen mit Eubiose in den Darm eines Menschen mit einer Dysbiose-assoziierten Krankheit übertragen.

Zusammenfassend muss das intestinale Mikrobiom als ein wichtiger elementarer Baustein unserer Gesundheit betrachtet werden. Die Störung des Darmmikrobioms (Dysbiose) spielt eine zentrale Rolle in der Entstehung von funktionellen entzündlichen Darmerkrankungen. Bei vielen Untersuchungen handelt es sich allerdings immer noch um sogenannte Assoziationsstudien, die keine Aussage über die Kausalität erlauben (Henne-Ei-Problematik). Mit Hilfe von Prebiotika, Probiotika oder fäkaler Mikrobiota-Therapie können bei chronischen Dysbiose-assoziierten Erkrankungen relevante therapeutische Effekte erzielt werden.   

Professor Peter C. Konturek ist Chefarzt der Klinik für Innere Medizin II an der Thüringen Klinik in Saalfeld.

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen