Dieses Jahr wurden einige Schritte in Richtung Digitalisierung des Gesundheitssystems gemacht – aber scheinbar rückwärts. Erst im September leitete Gesundheitsminister Karl Lauterbach offiziell die Umsetzung der Digitalisierungsstrategie ein. Diese scheint aber schon jetzt zum Scheitern verurteilt zu sein. Denn Basics wie die elektronische Patientenakte oder das E-Rezept konnten sich nicht durchsetzen. Gerade letzteres liegt komplett auf Eis, seitdem die Pilotregion Westfalen-Lippe das Projekt gestoppt hat. Die Datenschutzbedenken waren zu groß – nicht zum ersten Mal.
Bei der Digitalisierung von Arztpraxen forderte der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, erst kürzlich einen kompletten Neustart. Dazu sollen dysfunktionale Technologien beendet und frisches Geld in die Hand genommen werden. Damit einher geht dann aber auch eine staatlich einberufene Expertenkommission, die alles neu überdenkt und bewertet. So funktioniert die digitale Welt aber nicht – sie ist vielmehr schnelllebig und iterativ. Da ist keine Zeit für große Feedbackschleifen, auch wenn die uns Sicherheit bieten. Also was brauchen wir?
Kein Neustart, sondern einen Start
Wir haben die richtigen Ideen, Technologien und auch Lösungsansätze. Doch steht Deutschland immer noch am Anfang. Neuen Strukturen gibt man hier oft keine Chance. Hinzu kommen die teilweise viel zu hohen bürokratischen Hürden, welche den Fortschritt zusätzlich hemmen. Da machen uns besonders Datenschutzrichtlinien zu schaffen: Diese erlauben schlichtweg noch kein voll digitalisiertes Gesundheitssystem. Oft wird die Dringlichkeit hinter der Digitalisierung vergessen. Solange alles relativ gut funktioniert, bedarf es keiner großen Veränderung. Das hat man jetzt beim E-Rezept und der elektronischen Patientenakte gesehen: Beides konnte sich nicht durchsetzen. Damit unser Gesundheitssystem vorankommt, muss sich also noch einiges ändern – sowohl in der Politik, wie auch in den Köpfen der Ärzteschaft und Patient:innen.
Eine Bewertung bisheriger Vorhaben ist sinnvoll – gerade jener, die gescheitert sind. Durch sie wird klar, welche Wege zum digitalisierten Gesundheitssystem (noch) nicht passierbar sind. Wertvolle Zeit und Mittel wurden investiert. So beispielsweise auch beim E-Rezept. Solche Projekte zu verwerfen und neue zu starten, ist wenig sinnvoll. Gerade wenn es sich um punktuelle Maßnahmen handelt. Diese müssten schon längst Standard sein und zur festen Infrastruktur gehören.
Eine Aufklärungskampagne muss her
Die digitale Gesundheit hat durch die beiden Pandemiejahre einen kräftigen Schub erhalten. So wurde zu Beginn der Pandemie 2020 beispielsweise die digitale Hausarztpraxis Avi Medical gegründet. Mittlerweile betreibt das Startup erfolgreich dreizehn moderne Arztpraxen in München, Hamburg und Berlin – und es sollen mehr werden. Doch noch ist die Infrastruktur nicht da, wo sie sein sollte. Das beweisen jüngste Entwicklungen: Kry, einer der größten Anbieter von Telemedizin, zieht sich aus Deutschland zurück. Als Grund geben sie veränderte Marktbedingungen und nicht erreichte Ziele der Profitabilität an. Einfach gesagt: Die aktuelle Krise trifft auch die Gesundheitsbranche. Und die Deutschen trauen der Digitalisierung immer noch nicht. Spätestens jetzt ist klar: Wir brauchen eine breit angelegte Aufklärungskampagne hinsichtlich der Digitalisierung des Gesundheitssystems.
Da liegt auch eine große Verantwortung bei den Ärzt:innen: Sie müssen sich regelmäßig über digitale Anwendungen informieren und diese auch verschreiben. Nur was die Patient:innen kennen, können sie auch nutzen. Das Vertrauen gegenüber einem digitalisierten System muss langsam aber stetig aufgebaut werden, damit es nachhaltig funktionieren kann.