Liebe Frau Dr. Steiner,
Sie haben meine Nummer und wir kennen uns. Wenn Sie im Tagesspiegel Background berechtigte Anliegen öffentlich platzieren, bin ich froh, Digitalisierung auch öffentlich und hitzig zu diskutieren. Wenn wir nicht alle mit Volldampf daran arbeiten, dann treten wir auf der Stelle. Niemals darf aber der Eindruck erweckt werden, die Ärzteschaft könne sich zurücklehnen. Für sie wollen wir die Versorgung einfacher machen, für die Patient:innen sicherer – das fordert die Mitarbeit aller Akteure. Zu Ihrer Kritik:
Kein Gewinn für die Ärzteschaft?
Wir heben Beschränkungen für die Telemedizin auf und ermöglichen diese für Ärztinnen aus dem Home Office. Die elektronische Patientenakte (ePA) wird für alle eingeführt und Schritt für Schritt mit standardisierten Daten automatisiert befüllt. Ich erwarte dafür kein Lob von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Ein reiner Abwehrkampf bringt uns aber allen nichts. Wir müssen verlangen können, dass alle ihre Software aktuell halten, damit Sicherheit, Interoperabilität und Performance gewährleistet sind. Sanktionen sind als Instrument notwendig, um ein paar Digital-Verweigerer mitzunehmen, die große Widerstände gegen jede Veränderung mitbringen. Das ist die absolute Minderheit. Die KBV sollte nicht dazugehören.
Dreh- und Angelpunkt PVS-Performance
Ärztinnen dürfen nicht durch ihre Software ausgebremst werden. Sie aber schieben jegliche Probleme mit schlechten PVS auf das BMG und die Gematik ab. Das ist mir zu billig. Wir alle wissen, dass die Qualität und Nutzendenfreundlichkeit der Praxisverwaltungssysteme (PVS) sehr divers ist. Es gibt sehr gute, aber auch sehr schlechte. Jetzt gilt es, die schlechten dazu zu drängen, besser zu werden – oder/ und den betroffenen Ärztinnen und Ärzten zu ermöglichen, von schlechte auf gute PVS zu wechseln.
Die KBV bringt aktuell zum ersten Mal Rahmenverträge für PVS Anbieter auf den Weg. Das ist gut und richtig. Ich wünsche mir, dass die KBV ihre starke Rolle ausfüllt, auch wenn es um Transparenz, Aufklärung, Beratung und Hands-On-Unterstützung beim PVS-Wechsel geht. Aus der Politik biete ich Ihnen an, die Regularien entsprechend weiterzuentwickeln, dass Interoperabilität und Migration garantiert sind. Aus der Digitalagentur werden dazu wichtige Impulse kommen. Wir wollen den Betrieb nicht mit kleinteiligen Regelungen lahmlegen, aber was wir auf Ebene Politik und auf Ebene KBV regeln müssen, gehen wir an. Den Ärzten helfen wir nur gemeinsam.
Schnelle Beseitigung von Fehlern
Zurück zu den Fakten: das E-Rezept und die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) sind Multi-Millionen-Prozesse, die ganz Deutschland betreffen. Im Großen und Ganzen laufen diese Prozesse gut. Jeder, der schonmal ein größeres IT-Projekt gemacht hat, weiß, dass eine solche Einführung nie zu 100 Prozent ohne Probleme oder Fehler abläuft. Das ist auch hier der Fall. Deshalb ist es wichtig, dass schnell und intensiv Fehler aufgedeckt und gelöst wurden und werden. Das ist an vielen Stellen schon passiert.
Die von Ihnen geforderten Funktionen kommen nach und nach, weil alles gleichzeitig einzuführen, Akteure und Systeme überfordern könnte. Das wissen Sie auch. Ich wünsche mir, dass sich die KBV aktiv und konstruktiv an der Weiterentwicklung beteiligt. Bei jedem Schriftwechsel mit dem Minister nehme ich die Anliegen der KBV gerne mit.
Alles geht nicht über Nacht
Die ePA kommt für alle – und zum ersten Mal mit einer klaren Roadmap zur standardisierten, automatisierten Befüllung mit Daten. Außerdem werden wir die Sicherheitsarchitektur so verändern, dass die ePA in den Praxen durchsuchbar und dadurch besser nutzbar wird. Das war – zu Recht – eine wichtige Forderung aus der Ärzteschaft. All das geht nicht über Nacht an Tag Eins. Die Ärzteschaft fordert, dass Systeme erst ausgerollt werden, wenn sie sicher funktionieren, und das nehmen wir ernst. Der Ärztetag hat beschlossen: „Für die Etablierung weiterer digitaler Anwendungen bedarf es einer mit den Akteuren aus der Versorgung entwickelten Roadmap der Gematik mit realistischen Planungsannahmen und priorisierten medizinischen Anwendungen.“ Das ist auch im Interesse der KBV. Auch hier wieder: Jeder, der schon mal ein größeres IT-Projekt gemacht hat, weiß, dass ein schrittweises Vorgehen notwendig ist. Entsprechend stellt das BMG Test- und Pilotphasen sicher.
Liebe Frau Dr. Steiner,
Ich wünsche mir, dass wir uns, am besten zeitnah auf der DMEA, tief in die Augen schauen und zusammen auf die PVS-Hersteller zugehen, denn die Ärztinnen und Ärzte und ihre Mitarbeitenden haben es verdient, dass wir unsere gemeinsame Verantwortung wahrnehmen.
Matthias Mieves (38) ist SPD-Bundestagsabgeordneter und Mitglied des Digital- und des Gesundheitsausschusses, außerdem Berichterstatter seiner Fraktion für Digital Health.