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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Digitalisierung ist die letzte echte Innovation

Rembert Koczulla ist Chefarzt des Fachzentrums für Pneumologie der Schön Klinik Berchtesgadener Land
Rembert Koczulla ist Chefarzt des Fachzentrums für Pneumologie der Schön Klinik Berchtesgadener Land Foto: Schön Klinik

Für die Therapie der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung gab es seit Jahren wenig echte Innovationen. Kein Medikament kann die Erkrankung bislang heilen und es gibt auch noch kein Lungengewebe aus dem 3D-Drucker, das wirklich Hilfe verspricht. Dank der Digitalisierung gibt es aber neue Ansätze im Bereich der nicht-medikamentösen Behandlung.

von Rembert Koczulla

veröffentlicht am 08.01.2024

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In Deutschland sind etwa acht bis zehn Millionen Menschen von einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) betroffen. Die nationalen Versorgungsleitlinien empfehlen die pulmonale Rehabilitation als Behandlungsmethode für die Patient:innen. Sie umfasst ein individuelles Therapieprogramm, das auf die Patient:innen zugeschnitten wird und unter anderem aus Bewegungstraining und Aufklärungseinheiten besteht.

Der Knackpunkt: Die pulmonale Rehabilitation ist aufgrund der geringen Anzahl von spezialisierten Einrichtungen und des hohen personellen Aufwands nur für einen Teil der Patient:innen verfügbar, die davon profitieren können. Der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen wird die Situation weiter verschärfen. Dank der fortschreitenden Digitalisierung in der Lungenheilkunde gibt es nun jedoch neue, Erfolg versprechende, nicht-medikamentöse Ansätze. Digitale Therapeutika könnten die pulmonale Reha/Trainingstherapie deutlich mehr Patient:innen zugänglich machen und zudem als Verlängerung wichtiger Bestandteile der stationären Therapie dienen – das konnten wir wissenschaftlich nachweisen.

Studie bestätigt Wirksamkeit der digitalen Pneumo-Reha

Die AMOPUR-Studie, eine von uns im vergangenen Jahr durchgeführte Studie mit 67 Patient:innen, hat die Effekte eines digitalen Therapeutikums, der App Kaia COPD, auf die pulmonale Rehabilitation untersucht. Das Ergebnis: Mit der App ließen sich bei den Proband:innen die Verbesserungen des Gesundheitszustands aus der stationären Reha auch im Anschluss über den gesamten Untersuchungszeitraum von sechs Monaten aufrechterhalten oder sogar verbessern – im Gegensatz zur Kontrollgruppe. Die COPD-App von Kaia stellt einige Schlüsselelemente der pulmonalen Rehabilitation digital zur Verfügung: ein individuelles Therapieprogramm mit durch einen digitalen Bewegungscoach angeleiteten Trainingseinheiten, Atem- und Entspannungsübungen sowie Tipps und Infos zu der Erkrankung. Dabei ist die Unterstützung von Fachpersonal nicht notwendig, denn die Patient:innen führen die digitale Therapie autark durch. Diese Studie ist die erste wissenschaftliche Untersuchung, die sich mit den Effekten eines digitalen Therapeutikums auf die pulmonale Rehabilitation befasst hat.

Der Forschungsschwerpunkt der Studie lag auf der Messung der körperlichen Aktivität – einem sehr wichtigen Faktor im Hinblick auf die pulmonale Rehabilitation. Ein Aktivitätstracker hat dabei die pro Tag zurückgelegten Schritte der Patient:innen aufgezeichnet, die später von den Autor:innen der Studie ausgewertet wurden. Insgesamt wurden bei allen Patient:innen der Studiengruppe durch die Nutzung von Kaia COPD eine deutliche Steigerung der körperlichen Aktivität und eine Verbesserung der Symptome (wie Hustenanfälle, Verschleimung, Engegefühl in der Brust) festgestellt. Der sogenannte CAT-Score (CAT: COPD-Assessment-Test – Fragebogen für COPD-Patient:innen) wurde zur Bewertung der Symptomlast verwendet. Die COPD-App kann also bei Patient:innen nachweislich positiv auf den Gesundheitszustand einwirken.

Lungenärzt:innen sollten die digitale Zukunft der Lungenheilkunde mitgestalten

Digitale Therapieformen wie Kaia COPD, die als Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) von Ärzt:innen auf Rezept verordnet werden, schaffen die Möglichkeit, trotz des Fachkräftemangels mehr Menschen nicht-medikamentös und personalisiert zu versorgen. Für Patient:innen bedeuten digitale Therapieansätze eine zusätzliche medizinische Versorgungsoption – zeit- und ortsungebunden – und die Sicherstellung von bereits erreichten Therapieerfolgen. Bei Behandelnden sorgen sie für Entlastung. Daher sollten diese sich in die Entwicklung und Untersuchung digitaler Anwendungen einbringen. Sie kennen die Bedarfe in der täglichen Versorgung und haben wertvolle Einblicke in die Problemlage der Patient:innen. Ohne die Weiterentwicklung digitaler Therapieformen lässt sich die Medizin der Zukunft nicht denken.

Zuckersensoren für Diabetes-Erkrankte, digitale Patient:innentagebücher und App-basierte Inhalatoren machen deutlich: In vielen Bereichen der Medizin sind digitale Lösungen bereits angekommen. Gleichzeitig läuft die technologische Entwicklung in der Medizin weiter auf Hochtouren und in den vergangenen Jahren wurden Lehrstühle für die Themenfelder KI und Digitale Medizin eingerichtet. Es benötigt Untersuchungen, um herauszufinden, welche Patient:innen von welchen digitalen Anwendungen profitieren. Denn digitale Therapeutika sind auch keine One-Size-Fits-All-Lösungen.

Prof. Dr. Rembert Koczulla ist Chefarzt des Fachzentrums für Pneumologie der Schön Klinik Berchtesgadener Land, Professor an der Philipps-Universität Marburg und einer der federführenden Autoren der AMOPUR-Studie

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