Fallpauschalen haben maßgeblich ein Klima von Kommerzialisierung geschaffen und zu einer ressourcenverschlingenden Bürokratisierung im Krankenhauswesen beigetragen – in allen Fachgebieten. Durch DRG-Vorgaben wurden vielfach falsche Anreize gesetzt, wodurch ein negativ wirksamer Druck zu mehr Wettbewerb entstanden ist. Gleichzeitig haben sich die Arbeitsbedingungen verschlechtert.
Geburtshilfe ist eine personal- und zeitaufwendige medizinische Leistung. Diese wird – insbesondere bei Schwangeren mit Spontangeburt, die in der Regel über Stunden durch Hebammen und Ärzte betreut werden muss – im DRG-System nicht annähernd aufwandsgemäß abgebildet. Diese Konstellation umfasst fast 70 Prozent aller Geburten.
Haftpflichtprämien kontinuierlich gestiegen
Verschärft wird diese wirtschaftlich Problematik durch hohe Haftpflichtprämien und hohe Vorhaltekosten, die parallel finanziell gestemmt werden müssen. Belegärztinnen und Belegärzte, die geburtshilflich tätig sind, zahlen heute pro Jahr zwischen 75.000 bis 85.000 Euro Haftpflichtprämie. Mit einer ähnlichen Konstellation sind auch die Krankenhäuser konfrontiert, deren Haftpflichtprämien ebenfalls kontinuierlich enorm gestiegen sind. Auch die finanzielle Belastung durch hohe Vorhaltekosten ist groß, sie wird durch das Fallpauschalen-System nicht in erforderlicher Weise abgefangen. Ein verändertes Erlösmanagement müsste hier dringend Abhilfe schaffen.
In Deutschland haben mittlerweile viele geburtshilfliche Abteilungen aufgrund der völlig inadäquaten Honorierung schließen müssen, da sie nicht mehr kostendeckend geführt werden konnten. Dadurch haben sich – insbesondere in ländlichen Regionen – die Anfahrtswege für gebärende Frauen wesentlich verlängert. Mit Wehen im eigenen PKW oder Rettungswagen 30 bis 60 Minuten zum nächsten Kreißsaal fahren zu müssen, ist für die betroffenen Frauen sowohl eine psychisch als auch physisch belastende und bedrohliche Situation. Grundsätzlich besteht so für schwangere Frauen mit einer vorzeitige Plazentalösung, eine Uterusruptur oder einer drohenden Sturzgeburt die Gefahr, den nächstgelegenen Kreißsaal nicht mehr rechtzeitig zu erreichen. Damit einhergehende gesundheitliche Risiken für Mutter und Kind sind in solchen Situationen nicht mehr adäquat beherrschbar. Diese Gefährdung ist heute schon gelebte geburtshilfliche Realität.
In der Folge der Schließungen kleinerer und mittelgroßer geburtshilflicher Abteilungen geraten wiederum große Geburtskliniken an ihre Kapazitätsgrenzen. Von der angestrebten Eins-zu-eins-Betreuung im Kreißsaal (eine Hebamme versorgt eine Kreißende) sind wir weit entfernt. Das bundesweite Kreißsaalsterben wird diese Situation weiter zuspitzen. Ursächlich hierfür ist die seit Jahrzehnten praktizierte Unterfinanzierung auf allen Ebenen der Geburtshilfe – den Geburtskliniken, den Perinatalzentren bei Beleghebammen sowie Belegärztinnen und -ärzten.
Fallpauschalen führen nicht zu mehr Kaiserschnitten
Noch ein wichtiger Punkt: Aufgeräumt werden muss wir mit dem Vorwurf, dass die Fallpauschalen-Honorierung zu einer höheren Rate an Kaiserschnittentbindungen führt! Diese Unterstellung ist sachlich falsch und nicht belegbar, sie wird jedoch immer wieder von nicht-geburtshilflich tätigen Personen geäußert. Ein Kaiserschnitt ist ein operativer Eingriff, der eine medizinische Indikation erfordert, die Kriterien der Leitlinien sind hier eng gesteckt. Kein verantwortlicher Geburtshelfer würde eine Sectio caesarea indizieren, nur weil ein paar wenige Euro mehr dafür zu erlösen sind.
Eine Abkehr vom System mit Fallpauschalen ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung, sofern hier realitätsnahe Rahmenbedingungen für eine adäquate Versorgungslösung geschaffen werden. Es ist dringend notwendig, dass über ein anderes Vergütungssystem der hohe Aufwand in geburtshilflichen Abteilungen – auf allen Ebenen – angemessen honoriert wird. Vor diesen Hintergrund befürworten wir den Vorstoß des Bundesgesundheitsministers, Fallpauschalen in der Geburtshilfe abzuschaffen. Ein neues Honorarsystem muss jedoch zügig umgesetzt werden, um dem allgemeinen Kreißsaalsterben entgegenzuwirken und dem flächendeckenden Bedarf an Geburtshilfe in Deutschland wieder gerecht zu werden.
Dr. med. Axel Valet ist Bezirksvorsitzender des Berufsverbandes der Frauenärzte (BVF) in Gießen-Marburg.