Kaum ein Begriff wird im deutschen Gesundheitswesen so oft verwendet wie „Mangel“. Und der Ärztemangel in Deutschland wird sich perspektivisch zuspitzen. Bis 2030 könnten 110.000 Ärzte fehlen, das ergaben diverse Studien. In Brandenburg herrscht schon heute die bundesweit niedrigste Ärztedichte. Auf 251 Einwohner kommt in Brandenburg ein Arzt, während im Bundesdurchschnitt ein Mediziner für 214 Einwohner zuständig ist. Deshalb empören sich Juristen, Klinikleiter und Studenten auch zu Recht, wenn das zuständige Landesamt für Verbraucherschutz und Gesundheit deutschen Absolventen eines englischsprachigen Medizin-Studiums plötzlich die Approbation verweigert. Was die Studenten falsch gemacht haben? Sie haben ihr Examen mit Erfolg im EU-Land Polen absolviert.
Nicht nur in Brandenburg verfahren die Approbationsbehörden seit diesem Sommer so. Grund ist die EU-Richtlinie 2005/36EG. Der Regelung zufolge, so die deutsche Argumentation, müssten Studenten auch das „Stasz“ und das „LEK“ nachweisen – dabei handelt es sich um zwei Zertifikate, die für den Berufseinstieg in Polen nötig sind. So bescheinigt das „Stasz“ 13 Monate erfolgreiches Praktikum. Doch Polens Gesundheitsministerium hat in einem Schreiben vom 26. November 2019 klargestellt: „Stasz“ und „LEK“ seien nur in Polen nötig, das an den polnischen Hochschulen ausgestellte Abschlussdiplom erfülle schon ohne diese Zusatzzertifikate die Kriterien der EU-Richtlinie 2005/36EG.
In Schweden und Großbritannien, um zwei Beispiele zu nennen, können Absolventen polnischer Medizin-Fakultäten auch ohne „Stasz“ und „LEK“ arbeiten. Welchen Sinn sollte es auch haben, dass Ärzte, die in Polen studiert und in Deutschland pflichtgemäß ihr Praktisches Jahr absolviert haben, anschließend noch ein 13 Monate dauerndes Praktikum in Polen machen?
Tausenden Ärzten droht der Widerruf ihrer Approbation
Darauf weiß auch das Brandenburger Landesamt keine echte Antwort: Dieses argumentiert, es stehe nun mal so in der Richtlinie. Da nach Auffassung der Landesbehörden die Approbation ohne „Stasz“ und „LEK“ nicht erteilt werden darf, droht zudem tausenden Ärzten der Widerruf der Approbation. Dies ergibt sich aus den Paragrafen 5 und 6 der Bundesärzteordnung. Denn das „Stasz“ und das „LEK“ gibt es schon seit Jahren – doch erst seit einigen Monaten werden die beiden Zertifikate in Brandenburg als verpflichtend angefordert. Wenn diese Zertifikate aber heute zwingend Voraussetzung für den Arztberuf sind, dann müssten sie es auch vor Jahren gewesen sein. Rund 300 deutsche Ärzte werden pro Jahrgang in Polen ausgebildet – sollen deutsche Kommunen auf das dringend benötigte Personal verzichten, sollen junge Mediziner den Wirren der Bürokratie ausgesetzt bleiben?
Letztlich trägt das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) in Berlin die Verantwortung. Die verunsicherten Landesbehörden hatten sich mit dieser Rechtsfrage an das BMG gewandt, von dort hieß es lapidar: ohne „Stasz“ und das „LEK“ keine Approbation. Mit Blick auf den Ärztemangel in den Regionen sollte Minister Jens Spahn das Problem dringend persönlich angehen.
Jörg Heynemann ist Fachanwalt für Medizinrecht in Berlin.