Am 1. Januar vor nunmehr 30 Jahren trat das noch heute gültige Embryonenschutzgesetz in Kraft. Es stammt aus einer Zeit, in der Homosexualität noch strafbar und das erste deutsche Kind, das durch eine künstliche Befruchtung gezeugt wurde, noch keine acht Jahre alt war. Moderne gentechnische Methoden wie CRISPR/Cas waren noch nicht erfunden.
Die Möglichkeiten der (Reproduktions-)Medizin und unser Bild von Familie unterliegen wie kaum ein anderer Lebensbereich wissenschaftlichem Fortschritt und gesellschaftlichem Wandel. Der Gesetzgeber hat es in den vergangen drei Jahrzehnten versäumt, dafür zu sorgen, dass das Embryonenschutzgesetz mit der Zeit geht. Die Konsequenz: Es ist hoffnungslos überaltert. Das gilt gerade auch im europäischen und internationalen Vergleich. Deshalb ist es endlich an der Zeit für ein modernes Fortpflanzungsmedizingesetz.
Das sieht auch die Wissenschaft längst so. Nach der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften 2018 hat im Jahr 2019 auch die Bundesärztekammer in einem Memorandum auf den Reformbedarf aufmerksam gemacht.
Viele Menschen sind ungewollt kinderlos
Das Embryonenschutzgesetz atmet den Geist der Verhinderung. Etwa ein Viertel der kinderlosen Frauen und Männer im Alter zwischen 20 und 50 Jahren sind ungewollt kinderlos. Sie haben es verdient, dass sich die Politik mit einem modernen und mutigen Chancengesetz an ihre Seite stellt. Ein solches Chancengesetz muss einen zeitgemäßen Rahmen für die aktuellen reproduktionsmedizinischen Möglichkeiten setzen und Rechtssicherheit für Betroffene sowie behandelnde Ärzte schaffen. Es sollte darüber hinaus auch zu zukunftsweisenden Fragestellungen Stellung beziehen.
Wenn jemand aus altruistischen Motiven Eizellen oder Embryonen spenden möchte, warum sollte der Staat dies verwehren? Wenn eine Frau bereit ist, aus reiner Nächstenliebe ein Kind für jemand anderen auszutragen, warum stehen wir dem Glück im Weg?
Wir sollten uns fragen, welche Rahmenbedingungen wir schaffen können, um Betroffenen bestmögliche Teilhabe am medizinischen Fortschritt zu ermöglichen. Wir müssen Möglichkeiten legalisieren, die Mehrlingsschwangerschaften und damit einhergehende Gefahren vermeiden und Betroffenen Leid ersparen können. Und wir müssen Verfahren von Pränataldiagnostik bis Genomeditierung mit ihren Chancen und Risiken umfassend und ohne Scheuklappen in den Blick nehmen.
Eizellspenden legalisieren!
Bei Unfruchtbarkeit des Mannes können sich Paare ihren Kinderwunsch mit Hilfe einer Samenspende erfüllen. Eizellspenden sind in Deutschland anders als in fast allen anderen europäischen Ländern verboten. Betroffene weichen also ins Ausland aus. Die Preise sind teilweise hoch, die medizinischen Bedingungen teilweise schlecht und das in Deutschland grundgesetzlich verankerte Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung wird den Kindern oft nicht gewährt werden können. Befürchtungen um negative Auswirkungen einer sogenannten gespaltenen Mutterschaft, die der Gesetzgeber im Hinblick auf die Vaterschaft interessanterweise nie hatte, haben sich im Ausland nicht bewahrheitet und auch die heute genutzten Verfahren zur Hormonstimulation vor einer Spende sind – anders als vor 30 Jahren – sehr schonend und risikoarm. Die Legalisierung ist mehr als überfällig.
Auch die Möglichkeit der Embryonenspende muss aus der rechtlichen Grauzone gerückt werden. Sind nach einer künstlichen Befruchtung überzählige kryokonservierte Vorkernzellen oder Embryonen vorhanden, wollen viele Paare, oft dankbar darüber, dass ihnen ihr Kinderwunsch verwirklicht wurde, diese Embryonen gerne anderen Betroffenen spenden. Ob solche Spenden erlaubt sind oder die behandelnden Ärzte sich möglicherweise sogar strafbar machen, ist derzeit juristisch umstritten und wird teilweise auch je nach Status als Vorkernzelle oder Embryo unterschiedlich beantwortet. Die Folge: Zellen verbleiben im ewigen Eis oder werden gar verworfen. Eine gesetzliche Klarstellung muss dringend erfolgen.
Wenn über den Verbleib kryokonservierter Zellen diskutiert wird, muss auch das Verbot der Nutzung von Samenspenden Verstorbener auf den Prüfstand. Warum ist es nicht möglich jedenfalls für einen gewissen Zeitraum testamentarisch festzulegen, was nach dem Tod mit einer Zellspende geschehen und wer darüber verfügen darf?
Eine anspruchsvolle Debatte um Leihmutterschaft
Ethisch besonders anspruchsvoll ist sicher die Diskussion um Leihmutterschaft. Wir sollten sie, sofern sie aus rein altruistischen Motiven stattfindet, unter strengen Auflagen ermöglichen. Wenn eine Frau beispielsweise ein Kind für ihre Schwester austragen möchte, die selbst nach einer Krebserkrankung nicht mehr schwanger werden kann, ist es nicht gerecht, wenn sich das Embryonenschutzgesetz dazwischendrängt. Wenn ich nicht zumindest für denjenigen, dem ich zu Lebzeiten eine Niere spenden darf, auch ein Kind austragen darf, ist das ein nicht zu erklärender Wertungswiderspruch. Wir verschließen die Augen davor, dass Betroffene mit entsprechenden finanziellen Mitteln bereits ins Ausland ausweichen, wo teilweise Frauen in Notlage ausgebeutet werden. Wir brauchen daher einen klar abgesteckten Rechtsrahmen für legale und nichtkommerzielle Leihmutterschaften in Deutschland. Damit ist letztlich allen gedient.
Debatten um ein modernes Fortpflanzungsmedizinrecht sind ethische Debatten. Menschliche Eingriffe in natürliche Abläufe bei der Entstehung menschlichen Lebens werden schnell als unethisch abgestempelt. Solche Argumente müssen gehört werden. Die Debatte ist aber keine Einbahnstraße. Ist es nicht auch ethisch bedenklich, Menschen die Erfüllung eines sehnlichsten, medizinisch relativ leicht erfüllbaren Wunsches zu verwehren? Ist es nicht unethisch, wenn die Möglichkeit zur Erfüllung eines Kinderwunsches wie derzeit vielfach vom Geldbeutel abhängt? Ist es nicht moralisch fragwürdig, wenn ein Regelwerk das Glück einer Familie verhindert? Ist es nicht unbillig, sich der Selbstbestimmung entgegenzustellen, wenn Erwachsene Menschen einem Kind Leben und Liebe schenken wollen, ohne dass jemand Schaden nimmt? Ist es nicht ethisch zumindest problematisch, die Nutzung medizinischer Möglichkeiten zu verbieten, wenn dadurch Krankheit und Leid vermieden werden kann?
Zum 30. Geburtstag unseres Embryonenschutzgesetzes brauchen wir eine offene und breite Debatte über alle Facetten der wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und ethischen Implikationen moderner Fortpflanzungsmedizin.
Katrin Helling-Plahr MdB (FDP) ist Gesundheits- und Rechtspolitikerin.