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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Ein falsches Signal

Winfried Hardinghaus, Vorsitzender des Hospiz- und Palliativ-Verbands
Winfried Hardinghaus, Vorsitzender des Hospiz- und Palliativ-Verbands Foto: Deutscher Hospiz- und Palliativ-Verband

Bei der Neuregelung der Suizidbeihilfe darf es keine Pflicht zur Durchführung oder auch nur zur Duldung in Pflege- und Palliativeinrichtungen geben, meint der Vorsitzende des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbands, Winfried Hardinghaus. Wichtig sei am Lebensende eine gute Begleitung und Aufklärung über hospizlich-palliative Alternativen.

von Winfried Hardinghaus

veröffentlicht am 30.04.2021

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Im Februar 2020 hat das Bundesverfassungsgericht den § 217 StGB (Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung) für nichtig erklärt, im Juni desselben Jahres hat laut Medienberichten erstmals ein Sterbehilfeverein einem Bewohner eines Altenheims in Norddeutschland bei der Selbsttötung assistiert. Schon dieser erste Fall machte in besorgniserregender Weise klar, wie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und das schwebende neue Gesetzesverfahren von Sterbehilfevereinen genutzt werden, um ein regelhaftes Angebot zu etablieren. So wurde von Seiten des Sterbehilfevereins gefordert, dass Pflegeeinrichtungen in ihren Hausordnungen auf ein Grundrecht auf Suizid hinweisen und die Möglichkeit zur Suizidbeihilfe dort festschreiben sollen.

Dabei hatte schon das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil ausdrücklich festgestellt, dass niemand verpflichtet werden kann, Suizidbeihilfe zu leisten. Auch in nun vorliegenden Entwürfen zur Neuregelung der Suizidbeihilfe, die in der vergangenen Woche als Grundlage einer Orientierungsdebatte im Deutschen Bundestag dienten, wird dies noch einmal klargestellt, etwa im Diskussionsentwurf des Bundesgesundheitsministeriums (Entwurf eines Gesetzes zur Neufassung der Strafbarkeit der Hilfe zur Selbsttötung und zur Sicherstellung der freiverantwortlichen Selbsttötungsentscheidung). Und im Eckpunktepapier für eine Neuregelung der Hilfe bei der Selbsttötung der fraktionsübergreifenden Gruppe um Ansgar Heveling (CDU), Professor Lars Castellucci und Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis 90/Die Grünen) wird formuliert, dass gegenüber staatlichen Stellen oder Dritten, insbesondere Ärztinnen und Ärzten, kein Anspruch auf Hilfe bei der Selbsttötung oder zu deren Unterstützung bestehen darf.

Sollte es aber in Einrichtungen der Pflege, der Krankenbehandlung, der Hospiz- und Palliativarbeit oder anderen Einrichtungen mit vulnerablen Personengruppen eine Pflicht zur Duldung der Durchführung des assistierten Suizids geben? Nein, sollte es nicht!

Eine Frage der Würde

Eine solche Verpflichtung widerspräche dem Selbstverständnis der meisten Pflegeeinrichtungen, die ihnen anvertrauten Bewohnerinnen und Bewohner bis zum Lebensende würdig zu betreuen, das heißt, ihnen im Sterben beizustehen – nicht beim Sterben zu helfen. Suizidbeihilfe als eine gängige Behandlungsmethode für Heimbewohnerinnen und -bewohner sollte zudem unserem Selbstverständnis als Gesellschaft widersprechen. Wollen wir wirklich, dass sich alte, kranke und auf Hilfe angewiesene Menschen, die zum Wohl dieser Gesellschaft gearbeitet, Kinder erzogen, sich in anderer Weise engagiert haben, regelhaft dem Druck ausgesetzt sehen, der durch eine solche Praxis zu entstehen droht?

Sollten wir ihnen nicht vielmehr die Gewissheit vermitteln, dass sie von der Gesellschaft solidarisch getragen werden und sich darauf verlassen können, an der Hand von engagierten Pflegenden, zugewandten (Haus)Ärztinnen und Ärzten, qualifizierten Hospizbegleiterinnen und Hospizbegleitern zu sterben, statt durch die Hand eines Arztes, Apothekers, eines Sterbehelfers oder einer Pflegefachkraft – und sei es auch nur, dass diese das tödliche Medikament auf den Nachtisch stellen.

In der Debatte über die Suizidbeihilfe beziehungsweise Sterbehilfe verweisen deren Befürworter regelmäßig auf die Würde und Selbstbestimmung der betroffenen Menschen. Diese Verwendung des Würde- und Autonomiebegriffs suggeriert die Vorstellung, ein selbstbestimmtes und würdevolles Lebensende sei lediglich oder zumindest vor allem unter den Prämissen des assistierten Suizides denkbar. Die Beachtung der Selbstbestimmung des Menschen und die Gestaltung der letzten Lebensphase in Würde und nach den Vorstellungen des Betroffenen ist aber seit den Anfängen der Hospizbewegung vor über dreißig Jahren ein zentrales Anliegen der Hospiz- und Palliativarbeit. Und es ist eine Grunderfahrung dieser Arbeit, dass die Lebensumstände den Wunsch nach Suizidbeihilfe begünstigen. Oder eben – wenn eine gute Betreuung und Begleitung sichergestellt ist – relativieren können.

Darum brauchen wir statt der – womöglich staatlich garantierten und organisierten – Suizidbeihilfe eine zuverlässige medizinisch-pflegerische Versorgung in allen Pflegeeinrichtungen. Das heißt genügend Personal, gut geschult und angemessen entlohnt, sowie gegebenenfalls entsprechende Zusammenarbeit mit Hospizdiensten und Palliativteams, um die Möglichkeiten der Hospiz- und Palliativarbeit bei Bedarf ausschöpfen zu können.

Professor Winfried Hardinghaus ist Palliativmediziner und Vorsitzender des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbands.

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