Diese Woche feiert die Weltgesundheitsorganisation die World Immunization Week 2021 – und das Thema „Impfstoffe bringen uns näher“ („Vaccines bring us closer“) könnte nicht passender sein. Wir sehnen uns alle nach einer Rückkehr zur Normalität und das letzte Jahr voller einschränkender Maßnahmen fängt an, ernste Konsequenzen für unsere psychische Gesundheit zu zeitigen.
Wir haben in der Forschung gegen Covid-19 noch nie dagewesene globale Kollaborationen und Investitionen gesehen. Jetzt frage ich mich, ob wir es schaffen diese Dringlichkeit im selben Maße bei anderen verheerenden Krankheiten anzuwenden?
Die Alzheimer-Krankheit, die häufigste Form der Demenz, breitet sich konstant aus. Es ist eine schleichende Pandemie, in Deutschland leben rund 1,6 Millionen Menschen mit Demenz. Alzheimer ist keine infektiöse Krankheit, aber mit steigender Lebenserwartung und 900 täglichen Neuerkrankungen, wächst die soziale und wirtschaftliche Belastung stetig. Ohne einen Durchbruch in der Forschung könnte diese Zahl laut aktuellen Berechnungen auf 2,4 bis 2,8 Millionen im Jahr 2050 steigen.
Relevante Protein-Kombination in jedem Patienten unterschiedlich
Es gibt jedoch mehrere Herausforderungen: Zum einen sind die neurobiologischen Mechanismen komplex. Proteine, die in einem gesunden Gehirn wichtige Funktionen erfüllen, können fehlfalten und toxische Ablagerungen bilden, die im Nachhinein zur Neurodegeneration führen. Die Proteine Amyloid-Beta und Tau spielen eine zentrale Rolle bei Alzheimer, über die Jahre wurden noch weitere Co-Pathologien identifiziert, die auch zur Krankheit beitragen. Die genaue Kombination abnormaler Proteine variiert von Patient zu Patient, und genau dies macht es schwierig, die effektivste Behandlung zu bestimmen.
Zweitens: Aufgrund des variablen Fortschreitens der Krankheit kann man ihren genauen Beginn sowie den richtigen Zeitpunkt für eine Behandlung nur schwer vorhersagen. In den meisten Fällen erfolgt die Diagnose zu spät, nämlich erst nachdem kognitive Symptome erkennbar wurden und schon ein unwiderruflicher Verlust von Neuronen stattgefunden hat. Zudem beeinflussen Geschlecht, Genetik, Lebensstil und Bildung, wer und wie stark man an Alzheimer leiden wird.
Eine vielversprechende Richtung in der Forschung gegen Alzheimer gibt es im Zusammenhang mit dem Down-Syndrom. Träger haben ein erhöhtes genetisches Risiko, an Alzheimer zu erkranken, da eine zusätzliche Kopie vom Chromosom 21 eine Überproduktion von Amyloid-Beta verursacht. Tatsächlich bilden Menschen mit Down-Syndrom die weltweit größte Population von Menschen, die für Alzheimer prädisponiert sind.
Menschen mit Down-Syndrom früher betroffen
Verbesserungen in der sozialen Integration und in der medizinischen Versorgung haben zu einem dramatischen Anstieg der Lebenserwartung für Patienten mit Down-Syndrom geführt. Diese belief sich in den 80er-Jahren auf etwa 25 Jahre, heute liegt sie bei 60 – sie hat sich also mehr als verdoppelt. Folglich ist Alzheimer zum wichtigsten medizinischen Anliegen für Angehörige geworden, da niemand diese hart erarbeiteten Lebensjahre an die Demenz verlieren will.
Eine Alzheimer-Behandlung für Menschen mit Down-Syndrom zu finden, scheint kostspielig und herausfordernd, da vorhandene kognitive Tests zuerst angepasst und validiert werden müssen. Dank wegweisender Studien zur Genetik von Down-Syndrom und mit wachsendem Interesse von Forschern ist die Literatur zu diesem Thema jedoch erheblich gewachsen.
Heute wissen wir, dass die Alzheimer-Pathologie in Menschen mit Down-Syndrom bereits im Alter von 40 Jahren erkennbar ist, das ist etwa 20 bis 30 Jahre früher als in der Allgemeinbevölkerung. Erste Anzeichen einer leichten kognitiven Beeinträchtigung treten im Alter von etwa 50 Jahren auf, Demenz wird im Durchschnitt im 54. Lebensjahr diagnostiziert.
Zeitpunkt der Therapie-Intervention besser vorhersagen
Der Amyloid-Beta-Pegel steigt bei Menschen mit Down-Syndrom im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung doppelt so schnell an, und die Entwicklung der Krankheit folgt einer spezifischen, reproduzierbaren Sequenz: zuerst steigt Amyloid-Beta an, dann wird Tau pathologisch, ehe die Neurodegeneration einsetzt und zu klinischen Symptomen führt. Diese genauere Kenntnis des Krankheitsverlaufs könnte es ermöglichen, den besten Zeitpunkt für das Verabreichen einer Therapie vorherzusagen und somit ihre Erfolgschancen bei Personen mit Down-Syndrom erheblich verbessern.
Eine vielversprechende aktive Immunisierungsstrategie für Alzheimer besteht aus einem Impfstoff, der Antikörper erzeugt, welche spezifisch auf Amyloid-Beta abzielen. Diese sollen dessen Akkumulation verhindern und die Beseitigung der Ablagerungen fördern. Dieser Ansatz wäre als präventive Maßnahme und im frühen Alzheimer-Stadium am effektivsten und könnte eventuell die nachfolgenden Phasen verhindern.
Alzheimer-Impfstoff: Erste Studien machen Hoffnung
Der erfolgreiche Abschluss der ersten klinischen Studie eines Alzheimer-Impfstoffs für Personen mit Down-Syndrom hat gezeigt, dass die Impfung sicher ist und bei Menschen mit Down-Syndrom zur gewünschten Immunantwort und Antikörpern führen kann. Aus dieser Studie wird auch klar, wieso es wichtig ist, dass wir auch in Zukunft genetische Populationen in die klinische Forschung mit einbeziehen und die Zusammenarbeit weiter verbessern. Menschen mit Down-Syndrom sind hoch motiviert und möchten einen Beitrag zur Forschung leisten, um ihre eigene Lebenserwartung und Lebensqualität zu verbessern. Darüber hinaus könnten diese Ergebnisse in weitreichendere Strategien zur Heilung der Alzheimer-Krankheit in der Allgemeinbevölkerung umgesetzt werden und somit Millionen von Menschen helfen.
Das enorme Potenzial einer globalen Zusammenarbeit zur Entwicklung von Vakzinen zum Schutz vor Infektionskrankheiten wurde durch Covid sehr deutlich. Jetzt müssen wir diesen Schwung nutzen, um größere Herausforderungen im globalen Gesundheitswesen, die weit über Infektionskrankheiten hinaus gehen, zu bewältigen.
Andrea Pfeifer ist CEO und Mitbegründerin von AC Immune SA, einem biopharmazeutischen Unternehmen, das Präzisionsmedizin für neurodegenerative Erkrankungen entwickelt.