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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Ein Pyrrhussieg der Engstirnigkeit

Stefan Etgeton und Sebastian Schmidt-Kaehler
Stefan Etgeton und Sebastian Schmidt-Kaehler Foto: Jana Duda/privat

Die Reform der Unabhängigen Patientenberatung (UPD) ist gescheitert. Zu diesem Befund kommen der frühere Verbraucherschutzexperte Stefan Etgeton und der einstige UPD-Geschäftsführer Sebastian Schmidt-Kaehler. Mit dem erhöhten Einfluss des GKV-Spitzenverbandes verabschiede man sich von der großen Idee, Systemmängel „von außen“ zu registrieren und so zu ihrer Beseitigung beizutragen. Das sei nicht nur eine schwere Niederlage für die Zivilgesellschaft, sondern auch für alle ratsuchenden Patienten.

von Stefan Etgeton und Sebastian Schmidt-Kaehler

veröffentlicht am 01.08.2023

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Souverän ist, wer die eigenen Grenzen kennt und respektiert. Darum war die Einrichtung der unabhängigen Patientenberatung eine wirklich souveräne politische Entscheidung der bislang einzigen grünen Gesundheitsministerin Andrea Fischer. Damals erkannte der Staat an, dass er selbst – ebenso wie die Akteursgruppen im Gesundheitswesen – nicht in der Lage ist, eine Position einzunehmen, die man mit Fug und Recht als „unabhängig“ hätte bezeichnen können.

Es war das Zugeständnis der eigenen Begrenztheit, zu denen machtvolle Institutionen selten, aber dennoch gelegentlich in Situationen fähig sind, in denen die Größe der ihnen gestellten Aufgabe mit der Einsicht in die eigene Unzulänglichkeit zusammenfällt. So war es, als der Staat die Stiftung Warentest mit der unabhängigen Testung von Produkten und Dienstleistungen oder die AIDS-Hilfen mit der Prävention in den Hauptzielgruppen betraute. Das war auch das Große an der Idee einer unabhängigen Patientenberatung. Das Gesundheitssystem leistete sich ein „Außen“, das den Auftrag hatte, die Mängel im Inneren zu registrieren, zu bearbeiten und an ihrer Beseitigung mitzuwirken. Es war die Stunde der Zivilgesellschaft.

Wer bezahlt, hat das Sagen

Funktioniert hat diese Idee nicht nur in der Theorie, sondern durchaus auch praktisch – vor allem in der Zeit, als die unabhängige Patientenberatung zivilgesellschaftlich, nämlich von Patientenberatungs-, Sozialverbänden und Verbraucherzentralen, getragen wurde. Natürlich war diese unabhängige Institution unbequem für die meisten Systemakteure, denen sie gelegentlich auch spürbar auf die Füße trat. Doch nach und nach schienen sie mit den Quälgeistern von der UPD ihren Frieden gemacht zu haben. Außer einem, dem entscheidenden: der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), der formal als Finanzier der Patientenberatung fungierte. Für ihn galt von Anfang an das erste Gebot, wonach die gesetzlich Versicherten keine anderen Ansprechpartner haben dürften als die Krankenkasse.

Insofern empfanden sie die Einrichtung einer unabhängigen Patientenberatung dort von Beginn an gleichsam als Majestätsbeleidigung. Und sie haben in all den Jahren, in denen sie nun für die Förderung der zunächst als Modellvorhaben umgesetzten und später in den Regelbetrieb übernommenen Patientenberatung zuständig sind, es diese auch stets spüren lassen, dass am Ende derjenige die Musik bestimmt, der sie bezahlt.

Zweifel an der Unabhängigkeit

Die meisten Reformen, die der Paragraf 65b im Sozialgesetzbuch V seit seiner Einführung erfahren hat, verfolgten dann auch das Ziel, den eigentlichen Geburtsfehler der UPD zu heilen oder doch zumindest seine negativen Folgen abzumildern. Dieser Fehler bestand eben darin, dass mit dem GKV-Spitzenverband für die Besetzung jener unabhängigen Position ausgerechnet der Akteur innerhalb des Systems verantwortlich gemacht wurde, gegen den sich die meisten Beschwerden der Ratsuchenden richten. Notwendig wäre stattdessen, die gesamte UPD neutraler anzusiedeln und dafür eine Finanzierung zu finden, die keinerlei Zweifel an ihrer Unabhängigkeit aufkommen lässt.

Das war eigentlich das Versprechen des Koalitionsvertrages der Ampel: „Die Unabhängige Patientenberatung (UPD) überführen wir in eine dauerhafte, staatsferne und unabhängige Struktur unter Beteiligung der maßgeblichen Patientenorganisationen.“ Damit war übrigens auch ein lange schwelender Streit über das Verhältnis von Unabhängigkeit und Neutralität politisch entschieden. Indem die maßgebliche Rolle der Patientenorganisationen hervorgehoben wird, bringt die Koalition zum Ausdruck, dass diese unabhängige Position nicht neutral über den Wassern schwebt, sondern die UPD ihre Unabhängigkeit gerade dadurch erlangt, dass sie beherzt für die Patientinnen und Patienten Partei ergreift. Wer das nicht will, sollte von der großen, souveränen Idee einer wirklich unabhängigen Patientenberatung lieber Abstand nehmen.

Staats-, System- und Politikversagen in einem

Was aber nun hat die Ampel politisch ins Werk gesetzt? Obwohl durch die Laufzeitbegrenzung der jetzigen UPD der Zeitdruck offenkundig war, passierte fast ein Jahr lang praktisch nichts. Danach sah sich die Ampel gezwungen, die Laufzeit des gegenwärtigen Trägers um ein weiteres Jahr zu verlängern, in dem auch erst einmal relativ wenig zustande gebracht wurde.

Jetzt gibt es die Festlegung, wonach der GKV-Spitzenverband – übrigens gegen seinen ausdrücklichen Willen – eine unabhängige Stiftung zu gründen hat, die als Träger der UPD fungieren soll. Ein bruchloser Übergang der Geschäfte zum Jahreswechsel ist schon heute unrealistisch. Die meisten Beraterinnen und Berater der jetzigen UPD dürften die zweite Hälfte dieses Jahres dazu nutzen, sich beruflich neu zu orientieren.

Gegenüber dem federführenden GKV-Spitzenverband hat sich somit die Regierung in eine zeitliche Abhängigkeit manövriert, die es ihm erlaubt hat, die Bedingungen für die Errichtung der Stiftung und seinen Einfluss auf die UPD nach eigenem Gusto zu diktieren. Um die Fiktion aufrechtzuerhalten, man setze nun doch noch den Koalitionsvertrag einigermaßen zeitgerecht um, wird somit letztlich der Kern, nämlich die Unabhängigkeit der Patientenberatung geopfert. Die politische Havarie der unabhängigen Patientenberatung ist insofern ein trauriges Beispiel für Staats-, System- und Politikversagen in einem.

Das Scheitern einer großen Idee

Selbstverständlich tragen für das schlussendliche Scheitern jener großen, souveränen Idee alle beteiligten Akteursgruppen ihren Teil der Verantwortung. Da ist der Gesetzgeber, der nicht beherzt genug war, die UPD von vornherein systemunabhängig anzusiedeln. Da ist die GKV mitsamt ihrem Spitzenverband, deren beschämende Engstirnigkeit sie unfähig machte, genau die Souveränität aufzubringen, die es braucht, um sich dem Urteil einer unabhängigen Stimme auszusetzen. Und da sind die Patienten- und Verbraucherorganisationen, die, als es wirklich darauf ankam, nicht in der Lage waren, gemeinsam und einheitlich zu handeln.

Im Ergebnis wird die UPD künftig zu einem Teil der Versichertenberatung der gesetzlichen Krankenversicherung, womit aber genau die Doppelstrukturen aufgebaut werden, die die GKV bei der Einführung der UPD immer befürchtet hatte. Das ist eine schwere Niederlage für die Zivilgesellschaft, aber vor allem für die ratsuchenden Patientinnen und Patienten. Der Sieg, den der GKV-Spitzenverband errungen hat, ist seinerseits zweischneidig, hat er damit doch die Chance, sich als wirklich souverän zu erweisen, verspielt.

Dr. Stefan Etgeton hat in zwei Förderphasen (2006 bis 2010 und 2011 bis 2015) den Gesellschafter Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. in der Unabhängige Patientenberatung gGmbH vertreten. Dr. Sebastian Schmidt-Kaehler war von 2011 bis 2015 Geschäftsführer der UPD gGmbH. Von 2003 bis 2005 war er zudem Mitglied der wissenschaftlichen Begleitforschung zur unabhängigen Patientenberatung gemäß § 65b SGB V. Vor diesem fachlichen Hintergrund vertreten die beiden Autoren in diesem Standpunkt ihre private Meinung.

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