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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Es braucht verpflichtende Registereinträge

Felix Leininger hat vor 20 Jahren eine Niere von seinem Vater gespendet bekommen
Felix Leininger hat vor 20 Jahren eine Niere von seinem Vater gespendet bekommen Foto: privat

Felix Leininger lebt mit einer transplantierten Niere. Dennoch machen die niedrigen Registrierungszahlen im neuen Organspenderegister und die ebenso mageren Spendenzahlen ihm Sorge. Auf eine Länderinitiative zur Widerspruchslösung setzt er wenig Hoffnung, er plädiert für einen verpflichtenden Eintrag ins Organspenderegister.

von Felix Leininger

veröffentlicht am 31.05.2024

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Als ich letztes Mal beim Nephrologen zum Ultraschall vorstellig wurde, fragte ich ihn, wie lange die Spenderniere meines Vaters wohl noch halten wird. „Wenn Sie lange genug durchhalten, dann wird es gezüchtete Nieren von Schweinen geben“, sagte der Arzt in Bezug auf eine möglicherweise nötige, zweite Organspende im Laufe meines Lebens. „Da bin ich mir sicher“, schob er nach, als die Arzthelferin skeptisch guckte. Die neusten Meldungen zur Xenotransplantation dazu lassen optimistisch in die Zukunft blicken.

Aber zurück zur Ultraschalluntersuchung: Die Spenderniere meines Vaters ist in guter Verfassung. Der Rest ist – nahe oder ferne – Zukunftsmusik. Da morgen der Tag der Organspende stattfindet, lohnt es sich aber mal wieder einen Blick auf die Gegenwart zu werfen. Denn: Die Wartelisten auf ein Spenderorgan sind weiterhin voll, ein neuer Anlauf beim Organspendegesetz lässt weiter auf sich warten.

Organspende-Register nur ein Anfang

Immerhin gibt es ein bisschen Bewegung. Seit März ist das lange geplante online Organspende-Register an den Start gegangen. Bisher konnten Organspender:innen ihre Entscheidung lediglich analog dokumentieren, entweder im Organspendeausweis oder in ihrer Patientenverfügung. Doch das Organspende-Register ist nicht so praktikabel, wie es auf den ersten Blick aussieht. Denn man muss sich mit dem Personalausweis identifizieren und die Registrierung bleibt freiwillig.

Deshalb halte ich die Idee von CSU-Gesundheitspolitiker Stephan Pilsinger, die Haltung zur Organspende in das geplante Organspende-Register verpflichtend einzutragen, für sinnvoll. Auch der Idee von Bonuszahlungen für alle, die mitmachen, kann ich im Gegensatz zu Karl Lauterbach (SPD) etwas abgewinnen. Denn ganz ohne Anreize bleiben gute Ideen bisweilen auf der Strecke.

In den ersten zwei Monaten haben sich bislang über 115.000 Menschen ihre Entscheidung zur Organspende eingetragen, erklärte die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Das entspricht weniger als 0,2 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland. Immerhin hat der Gesundheitsminister schon bei der Einführung erkannt, dass sich allein durch die jetzt geschaffene Möglichkeit der Online-Registrierung die Spenderzahlen nicht merklich nach oben bringen lassen.

Aus der Mitte des Parlaments kommt nichts

Die Zahlen geben dem Minister genauso wie den Skeptiker:innen recht. Denn die Organspendezahlen gingen mal wieder zurück. In den ersten vier Monaten 2024 hat es 19 Organspender weniger als im gleichen Zeitraum 2023 gegeben. Karl Lauterbach ist das seit Jahren bewusst. „Ohne die Einführung einer sogenannten Widerspruchslösung ist die ethisch und medizinisch benötigte Größenordnung nicht zu erreichen“, betonte der Minister zum Start des Registers. „Ich würde mir wünschen, dass es dazu noch mal einen Vorstoß gibt“, sagte Lauterbach – nicht zum ersten Mal. Dieser müsse aus der Mitte des Parlaments kommen.

Doch genau hier liegt das Problem. Als Anfang 2020 der ehemalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gemeinsam mit Lauterbach das letzte Mal einen Gesetzentwurf zur Einführung der doppelten Widerspruchslösung im Bundestag vorlegte, fand sich keine Mehrheit. Damals setzte sich ein Gesetzesentwurf, den eine Abgeordnetengruppe um Annalena Baerbock (Grüne) und Katja Kipping (Linke) eingebracht hatte, durch, die bis heute existierende erweiterte Zustimmungslösung. Die Mitte des Parlaments traut sich seitdem nicht mehr einen neuen Anlauf zu unternehmen – auch wenn es bei solchen Gewissensfragen keinen Fraktionszwang gibt.

Dass es weiterhin eine Grundbereitschaft gibt, sich mit dem Thema im Bundestag – wenn auch informell – auseinanderzusetzen, zeigt die Tattoo-Aktion des Patientenbeauftrage der Bundesregierung, Stefan Schwartze (SPD), gemeinsam mit dem Verein „Junge Helden“ vor zwei Wochen im Bundestag. Mehr als 20, überwiegend Grüne und SPD-Bundestagsabgeordnete, haben sich ein Organspende-Tattoo stechen lassen. Junge Helden plant die Aktion am Tag der Organspende deutschlandweit fortzusetzen.

Hoffnungsträger Karl-Josef Laumann

Doch solche Aktionen bleiben erstmal – im wahrsten Sinne des Wortes – Symbolpolitik mit netten individuellen Absichtserklärungen. Ich möchte solche Zeichen nicht kleinreden, denn immerhin haben sich rund 7500 Menschen das Symbol seither unter die Haut stechen lassen. Doch von Mandatsträger:innen erwarte ich mehr als ein paar Nadelstiche.

Zum Glück können Gesetzgebungsverfahren aber nicht nur aus der Mitte des Parlaments angeleiert, sondern auch vom Bundesrat gestartet werden. Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hat im April einen eigenen Gesetzentwurf zur sogenannten Widerspruchsregelung im Bundesrat angekündigt. Bis spätestens 14. Juni soll das Gesetz in der Länderkammer eingebracht werden, um damit das parlamentarische Verfahren in Gang zu setzen. Erste Bundesländer wie Rheinland-Pfalz mit Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) haben sich bereits auf die Seite von Laumann gestellt.

Weitere Landesregierungen müssen folgen. Es braucht Druck und Veränderungswillen über die Parteigrenzen hinaus. So ist es nur folgerichtig, dass das Bündnis Protransplant vor wenigen Tagen angekündigt hat, Verfassungsbeschwerde einzulegen, falls die Widerspruchslösung nicht kommt. „Der Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich verpflichtet, gesetzliche Rahmenbedingungen für eine Erhöhung der Zahl der Spenderorgane zu schaffen“, erläuterte Josef Franz Lindner, Experte für Medizin- und Gesundheitsrecht die Gründe. Die Schutzpflicht werde verletzt, wenn die Maßnahmen gegen den Organmangel unzureichend seien.

Es braucht weiterhin Druck

Die letzten Reformbemühungen zum Organspendegesetz haben in der Tat bislang kaum Wirkung gezeigt. Scheitert der Vorstoß von Laumann, will Protransplant noch in diesem Jahr die Verfassungsklage starten. Mehrere Patient:innen von Wartelisten – über 8400 warten derzeit auf ein Spenderorgan – stehen als Beschwerdeführer bereit. Auch diverse ärztliche Fachgesellschaften, die Bundesärztekammer und viele andere sprechen sich für eine Widerspruchslösung aus.

Lindner verwies bei der Ankündigung darauf, dass es auch darüber hinaus eine Vielzahl zusätzlicher Möglichkeiten gäbe, die Situ­a­tion zu verbessern. Dazu ge­hör­ten dem Professor zufolge die Erweiterung der Lebendspendeoptionen, die Spende nach Herztod und die Verbesserung der Struktu­ren in den Kliniken. Bei den Lebendspendeoptionen muss man Lauterbach zugutehalten, dass er zwei lange geforderte Verbesserungen bei Nierentransplantationen erleichtern möchte. Unter anderem sollen künftig auch Nierenspenden zwischen Paaren möglich werden (Cross-Over-Lebendspenden), die kein persönliches nahes Verhältnis zueinander haben. Auch sollen grundsätzlich anonyme Nierenspenden möglich werden. So könnten Menschen in Deutschland künftig aus selbstlosen Motiven eine Niere spenden, ohne dass sie wissen, an wen sie geht.

Diese kleinen Schritte zeigen in die richtige Richtung. Den Rückenwind gilt es zu nutzen und den großen Wurf zu wagen. Die Zahlen legen nahe, dass es derzeit eine gesellschaftliche Mehrheit zugunsten der Widerspruchslösung gibt. Die Kranken auf den Wartelisten werden auf absehbare Zeit nicht weniger. Nicht jeder wird möglicherweise Schwein haben, wie ich. Die Zukunft ist jetzt. Wir können nicht die nächste Legislaturperiode warten!

Felix Leininger hat vor 20 Jahren eine Niere von seinem Vater gespendet bekommen. Er war stellvertretender Vorsitzender des Fördervereins Ederhof e.V., eines auf Organspende spezialisierten Rehazentrums für Kinder und Jugendliche. Derzeit arbeitet er beimTagesspiegel Background Verkehr & Smart Mobility.

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