Das Thema Organspende taucht in regelmäßigen Abständen in den Medien auf: 2021 als Herzstillstands Spot der BVG, dieses Jahr sorgte die Tattoo Aktion von Junge Helden für Aufsehen und letztes Wochenende widmete Jan Böhmermann im ZDF Magazin Royale dem Thema eine ganze Folge. Immer wieder gibt es bewegende Dokumentationen wie erst kürzlich Charité intensiv vom RBB, in vielen Arztpraxen und Bürgerämtern liegen Info-Flyer zu Organspende aus. Doch das Thema ist leider für viele Menschen immer noch zu abstrakt, zu weit weg und es verfängt nicht. Vor allem, aber lässt der gesetzliche Rahmen es immer noch zu, sich der zentralen Frage zu entziehen: Möchtest du im Fall der Fälle deine Organe spenden?
Anders ist das bei Betroffenen. Ich selbst bin nun seit 20 Jahren transplantiert. Mein Vater hat mir 2003 eine Niere gespendet. Seitdem geht es mir gesundheitlich ziemlich gut. Die Niere war ein Geschenk, das mir eine Perspektive gegeben hat. Ich konnte die Schule fertig machen, habe in drei Ländern studiert und lebe nun seit über zwei Jahren in Berlin. Es könnte kaum besser laufen für mich.
Das war nicht immer so. Meine chronische Niereninsuffizienz wurde schon im Bauch meiner Mutter entdeckt. Meine Überlebenschancen waren gering. Meine Mutter wollte mich, ihr Kind, behalten. Zur Überraschung der Ärtzt:innen lief die Geburt reibungslos. Doch bereits in jungen Jahren zeichnete sich ab, dass ich mit den eigenen, kaputten Nieren nicht weit kommen werde. Ich brauchte eine Spenderniere.
Meine Eltern wollten verhindern, dass ich an die Dialyse muss, und fassten den Entschluss, mir eine Niere zu spenden. Denn: Wer eine neue Niere braucht, wartet in Deutschland heute im Schnitt rund acht Jahre auf ein Spenderorgan. Mein Vater überstand die Voruntersuchungen, seine Niere war für mich geeignet. In Hannover wurde ich am 25. September 2003 transplantiert – das ist seither mein Nierengeburtstag. Mit dem Geschenk begann ein neuer Lebensabschnitt, nicht nur für mich: hier begann auch eine neue Normalität für meine Familie mit weniger Arztbesuchen, weniger Sorgen und mehr Lebensfreude.
Es fehlen Spenderorgane
Warum ich das erzähle? Weil ich enormes Glück hatte. Nicht nur, dass ich eine Lebendspende erhalten habe – Lebendspenden gelten als langlebiger als post-mortale Spenden –, sondern auch die Tatsache der Transplantation an sich ist keine Selbstverständlichkeit. Nicht alle haben das Glück, ein Organ eines nahen Verwandten zu erhalten. Allein 8500 Menschen warten in Deutschland auf ein Organ. Zwei bis drei Menschen auf der Warteliste sterben täglich. Das ergibt einen Todesfall alle acht Stunden durch fehlende Organe. Da ist also etwas am Spruch dran: Organspende rettet Leben.
Doch die Zahl der Organspenden stagniert in Deutschland seit Jahren. Auch die Reform des Organspendegesetzes 2020 brachte wenig Bewegung. Die Entscheidungslösung hat kaum Fortschritte gebracht. Anfang des Jahres gab Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu: „Das geltende Gesetz ist gescheitert.“
Im Juni war ich selbst beim Tag der Organspende, als NRWs Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) versprach, das Thema bei der Gesundheitsministerkonferenz zu platzieren. Dass das Vorhaben erfolgreich war, bezweifle ich mit Hinblick auf ausbleibende Gesetzesinitiativen. Immerhin: Beide Minister sprachen sich wiederholt für einen neuen Anlauf zu einer Widerspruchslösung über die Parteigrenzen hinaus aus.
Bereitschaft für Organspende wächst
Bei der Widerspruchslösung wird davon ausgegangenen, dass alle Menschen zunächst bereit sind, ihre Organe zu spenden – außer, sie widersprechen dem ausdrücklich. Die Regelung war in der Vergangenheit Gegenstand von Debatten im Bundestag. Zuletzt scheiterte eine Reform im Januar 2020, man eignete sich stattdessen auf die bis heute gültige Entscheidungslösung. Bei der Regelung können Organspenden nur mit ausdrücklicher Zustimmung der Spender:innen stattfinden.
Dabei steigt die Zustimmung in der Bevölkerung kontinuierlich. Laut den Ergebnissen einer Umfrage der Barmer geben 39 Prozent der Teilnehmenden an, dass sie „bestimmt“ zur Organspende nach ihrem Tod bereit wären. Im Vorjahr waren es nur 34 Prozent. Eine repräsentative Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung geht sogar von einer grundsätzlichen Organspendebereitschaft derjenigen, die eine Entscheidung getroffen haben, von 73 Prozent aus.
Problem: Viele Menschen dokumentieren ihre Entscheidung nicht. Dadurch müssen dann Verwandte für die Verstorbenen entscheiden. Aus Angst vor einer „falschen“ Entscheidung votieren viele – in einer zugegeben emotionalen Drucksituation – gegen eine Organspende. Die Hälfte der medizinisch möglichen Organspenden konnte laut der Deutschen Stiftung Organspende aufgrund von Ablehnungen nicht durchgeführt werden. Und das obwohl nur ein Viertel der verstorbenen Personen eine Organentnahme schriftlich oder mündlich untersagt hatte.
Dabei ist die Organspende eine medizinische Erfolgsgeschichte. Fast 150.000 Organe wurden seit den 1960er Jahren allein in Deutschland transplantiert. Empfänger:innen wie ich leben oft über viele Jahre in großer Dankbarkeit mit dem geschenkten Organ. Mit Blick auf den Anteil an Organspender:innen pro eine Million Einwohner:innen gibt es in Deutschland (10,3) europaweit vergleichsweise aber weniger Organspenden. Die in rund 20 europäischen Ländern etablierte Widerspruchslösung zeigt, dass eine solche Regelung ein Hebel für mehr Organspenden sein kann. Die Zahlen in Spanien (64) und Österreich (25,2) unterlegen den Erfolg.
Es braucht eine neue Lösung
Ich nehme Karl Lauterbach beim Wort. Wir brauchen eine schnelle Änderung des Transplantationsgesetzes, am besten in Form der Widerspruchslösung. Da es aber bisher keine Anzeichen gibt, dass die Initiative aus dem Ministerium kommt, braucht es andere Wege ins Parlament. Egal, wer den Weg am Ende ebnet, die Zeit drängt, soll das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht werden.
Ein möglicher neuer Anlauf wäre über den Bundesrat denkbar. Die Regierungen von Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg haben angekündigt, in der nächsten Bundesratssitzung am 24. November eine Initiative zur Einführung der Widerspruchslösung einzubringen. Sollte sich auch hier mal wieder keine Mehrheit finden, hätte ich einen Kompromissvorschlag: Ändert das aktuelle Gesetz zumindest so, dass es eine Entscheidungspflicht gibt. Wir sind sie auch unseren Verwandten schuldig, die sonst für uns im Anblick des Todes entscheiden müssen. Eine Entscheidungspflicht könnte bei der Beantragung eines neuen Personal- oder Reisepasses hinterlegt werden. Den muss schließlich jede:r regelmäßig erneuern.
Liebe Abgeordnete im Deutschen Bundestag: Worauf wartet ihr noch mit der Gesetzesänderung? Tut es für mich, falls ich in Zukunft nochmal eine Niere brauche. Aber tut es vor allem für all die anderen, die jetzt schon auf der Warteliste stehen.
Felix Leininger hat vor 20 Jahren eine Niere von seinem Vater gespendet bekommen. Er war stellvertretender Vorsitzender des Fördervereins Ederhof e.V., eines auf Organspende spezialisierten Rehazentrums für Kinder und Jugendliche. Derzeit arbeitet er beim Tagesspiegel Background Verkehr & Smart Mobility.