Der Klimawandel ist „die größte Gesundheitsbedrohung für die Menschheit“. Das schreibt die WHO im Oktober 2021, gerade aktuell hat der EU-Klimawandeldienst bestätigt: Heißer als 2022 war es noch nie. Während sich die Erde im globalen Durchschnitt bisher um 1,2 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter erhitzt hat, sind es in Europa bereits 2,2 Grad. Inklusive schwerer Dürren, Rekordhitze und rasanter Gletscherschmelze.
Mit fünf Prozent der bundesweiten Klimagas-Emissionen gehört das Gesundheitswesen zu den großen Emittenten – noch vor dem Flugverkehr. Gerade wir im Gesundheitswesen tun uns beim Klimaschutz aber schwer. Grund sind häufig falsch verstandene Zielkonflikte: Das Patientenwohl, so der Gedanke, darf durch Öko-Fantasien nicht gefährdet werden.
Aktuell dürfen die Krankenkassen für Klimaschutz und Nachhaltigkeit auch gar nicht mehr Geld ausgeben. Nach Paragraf 12 SGB V sind sie gesetzlich dem Wirtschaftlichkeitsgebot verpflichtet, das sich ausschließlich auf die medizinische Behandlung bezieht. Dabei ist klar: Arzneimittel, deren Preise durch Rabattverträge gedeckelt sind, werden eher dort hergestellt, wo die Lohnkosten niedriger und die Umweltvorschriften geringer sind – oder gar nicht existieren. Unser Gesundheitssystem unterliegt einer gnadenlosen Finanzlogik: RSA, Morbi-RSA, EBM und DRGs haben wenig Verständnis für Umweltbelange.
Versäumnisse kommen teuer zu stehen
Dabei müssen wir uns klarmachen, dass es durchaus gesundheitsschädlich und teurer werden kann, manche Dinge nicht zu tun. Im Hitzesommer 2006 wurden 13 Prozent mehr Menschen mit Atemwegserkrankungen eingeliefert als im Vergleichszeitraum. Im Hitzesommer 2015 sind in Deutschland 6.100 Menschen an Hitze gestorben. Das Umweltbundesamt beziffert den jährlichen wirtschaftlichen Schaden von Hitzetagen für Deutschland auf etwa 540 Millionen bis 2,4 Milliarden Euro im Vergleich zu Jahren ohne Hitzetage. Bei aller Vorsicht, mit der solche Hochrechnungen zu betrachten sind – das sind beeindruckende Zahlen.
Während also viele Hände gebunden sind, steigt gleichzeitig das Klimabewusstsein. Überall in der Republik sehen wir Leuchttürme, denen es trotz der widrigen Rahmenbedingungen schon jetzt gelingt, gesundheitsfördernd, wirtschaftlich und ökologisch zu agieren. Aber – wie in anderen Bereichen auch – mit der Übernahme in die Regelversorgung tut sich unser Gesundheitswesen schwer.
Die großen Hebel im System lösen
Manches können wir leicht ändern und jeder kann aktiv werden. So hat die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) berechnet, dass allein die Sensibilisierung des Personals den Energieverbrauch von Gesundheitseinrichtungen um bis zu 10 Prozent senken kann. Wichtig für den Klimaschutz sind aber die großen Hebel. Und hier liegt der Hase im Pfeffer: Vieles ist schlicht systemisch bedingt. Die einzelnen Akteure können wenig ausrichten, wenn man innerhalb der Grenzen der finanziellen und gesetzgeberischen Zwänge arbeiten muss. Das beginnt bei den Herstellungsbedingungen für Arzneimittel, geht über die Lieferketten bis hin zum schon etwas besser bekannten Problem der vielen Einmalartikel, um deren Klima-Fußabdruck sich lange niemand gekümmert hat. Last but not least: Der allgemeine und energetische Sanierungsdruck vieler Gebäude in den Gesundheitseinrichtungen ist groß – und teuer.
Wenn wir dabei sehen, wie schwer wir uns insgesamt mit Investitionen im Gesundheitswesen tun (die aktuelle Krankenhausreform zeigt das ja gerade beispielhaft), dann merken wir, dass aktuell gerade das Gesundheitswesen finanziell auf Kante genäht ist und kaum Spielräume hat. Es ist also kaum möglich, Klima-Investitionen zu tätigen.
Nachhaltigkeit und Klimaschutz auch als GKV-Aufgabe?
Wir müssen uns klarmachen, dass Klimaschutz auch deswegen mehr kostet, weil er die Folgen unseres Handelns für unserer Umwelt und unsere Zukunft monetär sichtbar macht.
Eine Möglichkeit, Nachhaltigkeit und Klimaschutz als Teil der Aufgabe von Gesetzlichen Krankenkassen zu etablieren, wäre eine Verankerung im Paragraf 12 Sozialgesetzbuch (SGB) V. Der Begriff der Nachhaltigkeit könnte beispielsweise in diesen „Wirtschaftlichkeitsparagrafen“ aufgenommen werden. Dann würde sich die Solidargemeinschaft der Gesetzlichen Krankenversicherung auch an einem ökologischen Leitbild orientieren.
Gerade eine Bundesregierung mit grüner Beteiligung sollte Leitplanken entwerfen, innerhalb derer sich unser System weiterentwickeln kann. Denn wenn wir nur kurzfristig an die Kosten denken, vergessen wir – und das ist ein ganz wichtiger Punkt – die Klimarendite: Wenn wir CO2-Ausstoß reduzieren, weniger Ressourcen verbrauchen und eine klimaneutrale Gesundheitswirtschaft erreichen, dann bringt uns das langfristig viele Vorteile. Wir leben gesünder, werden weniger krank – und die GKV-Ausgaben sinken.
WeACT Con: Forum für Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen
Um aber diese entsprechenden Lösungen zu finden, benötigen wir einen regelmäßigen und interdisziplinären Austausch, zwischen Leistungserbringern, Selbstverwaltung und Politik. Dabei sollten wir echte und scheinbare Zielkonflikte klar benennen, Netzwerke aufbauen, in denen wir uns austauschen, und Best-Practice-Beispielen zur Verbreitung helfen.
Genau dafür soll die Kongressreihe WeACT Con am 11. Mai im Berliner EUREF Campus ein Forum bieten. Zum Wohle des Klimaschutzes und zur Bewahrung unserer solidarischen Krankenversicherung wollen wir dahin gehen, wo es weh tut. Die Herausforderungen sind mit Schönwetter-Reden nicht zu meistern.
Dr. Albrecht Kloepfer gibt seit 2002 den „GesundheitsPolitischen Brief“ heraus (seit 2018 „iX-Highlights“). Zudem leitet der gelernte Literaturwissenschaftler das Institut für Gesundheitssystem-Entwicklung und ist seit Herbst 2020 geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Integrierte Versorgung (DGIV). Bei der WeACT Con fungiert Kloepfer als Partner. Der Kongress soll für alle Aktiven und Initiativen, die sich für mehr Klima- und Umweltschutz im Gesundheitswesen einsetzen, zum Treffpunkt werden.