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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Es mangelt an der Mannschaftsaufstellung

Managing Director Coalition Consulting
Managing Director Coalition Consulting Foto: privat

Wie ein Fußballspiel aussehen würde, das nach den Regeln der Digitalisierung im Gesundheitswesen gespielt wird, macht Oliver Bruzek von der Coalition Consulting deutlich, die etwa die CompuGroup Medical (CGM) berät. Der Trainer hat keine Strategie und jeder will ein Tor schießen, meint Bruzek und plädiert für eine neue Mannschaftsaufstellung.

von Oliver Bruzek

veröffentlicht am 05.12.2022

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Wäre die Digitalisierung des Gesundheitswesens ein Fußball-Endspiel der deutschen Nationalmannschaft, bei dem es kein Elfmeterschießen gibt – dann wären wir in der 120. Minute der Verlängerung, und es würde immer noch 0:0 stehen. Hinten wird gemauert und vorne keine Aussicht auf ein Tor. Warum? Weil wir zwar exzellente Einzelspieler haben, aber erstens kein Team bilden, zweitens der Trainer keine Strategie hat und drittens die Mannschaft völlig falsch aufgestellt ist.

Ein Thomas Müller würde auf der Position des Abwehrchefs stehen, Manuel Neuer links außen und Hansi Flick würde sich als Trainer ab und zu selbst einwechseln, statt die Mannschaft zu dirigieren. Der Schiedsrichter greift, wenn er gerade Lust hat, auch mal mit einem Pass in das Spiel ein.

So oder so ähnlich sind wir bei der Digitalisierung aufgestellt: Statt die Kompetenzen unserer Einzelspieler zu nutzen, ihnen den nötigen Freiraum für eine gute Spielentfaltung zu geben und die ganze Truppe mit einem ordentlichen Spielplan zu dirigieren, will jeder den Ball haben und das Tor selbst schießen. Und beim geringsten Anzeichen eines Gegenangriffs stellen sich alle auf die eigene Torlinie, um bloß keinen eingeschenkt zu bekommen.

Es braucht eine neue Strategie

Wenn wir das (Digitalisierungs-)Spiel doch noch gewinnen wollen, brauchen wir eine neue Mannschaftsaufstellung auf dem Feld:

1. Der Trainer (hier: die Politik – Gesundheitsministerium und Parlament) braucht eine gute Strategie und einen Spielplan. Welche Kombinationen müssen gespielt werden, wer flankt und wer geht zum Kopfball? Der Spielplan, also die Rahmenbedingungen für Themen wie Datenschutz und Interoperabilität, muss noch definiert werden. Die ersten – ebenso ambitionslosen wie inhaltsleeren – Eckpunkte der Digitalstrategie lassen leider nichts Gutes erahnen. Sie sind bestenfalls das, was Ecken im Fußball eben so sind, nicht mehr als eine Standardsituation.

2. Jeder Spieler muss dort aufgestellt werden, wo er seine größten Stärken hat. Ärzte wissen am besten, welche digitalen Instrumente in ihrem Arbeitsalltag nützlich sind und helfen. Sie sollten deshalb die Aufgabenbeschreibung machen. Krankenkassen haben eine große Kompetenz in der Versorgungssteuerung und sollten hier eine besondere Rolle spielen. Die Industrie beschäftigt tausende hochkompetente und motivierte Entwickler. Sie sollte die zu den Aufgabenbeschreibungen passenden Instrumente entwickeln.

3. Eine noch zu gründende Agentur als Nachfolge der Gematik sollte ein schwarzes Trikot anziehen, eine Trillerpfeife in die Hand bekommen und auf die Einhaltung der Spielregeln, also Interoperabilität und Datensicherheit achten.

4. Die Patientinnen und Patienten sollten ihre Lieblingsmannschaft frei wählen können und diejenige zugelassene Digitalanwendung nutzen können, für die sie schwärmen.

Warum die Zuschauer nicht jubeln

Wenn wir gemeinsam erfolgreich sein wollen, müssen wir aus den immer gleichen systemischen Fehlern ausbrechen: Wir sind auf der Suche nach der einen Lösung, die die Ansprüche aller Beteiligten befriedigt und von allen genutzt werden soll. Dafür definieren und spezifizieren wir uns durch staatliche Organisationen zu Tode, der Industrie als verlängerter Werkbank werfen wir die Brocken zur Auftragserledigung kurz vor zwölf vor die Füße. In der Umsetzung schließlich stellen wir die Unzulänglichkeit der Spezifikation fest (oder der Datenschutzbeauftragte tut dies) und beginnen den Prozess oftmals von sehr weit vorne noch einmal. Und wehe den Unternehmen, wenn sie eine eigene Idee in Form einer sogenannten DiGA hat. Dann packen wir den großen Skeptizismus aus und schicken sie in die Wüste (also in andere Länder, in denen das dann erfolgreich angewendet wird) oder freuen uns, wenn sie 300 Mal verschrieben wurde.

Zum Schluss wundern wir uns, dass die Zuschauer nicht jubeln (die Patientinnen und Patienten werden in diesen Spezifikationen gar nicht bedacht). Um so etwas Entscheidendes wie Nutzererfahrung oder wie Nerds es nennen, User Experience, kümmert sich kaum jemand. Da reicht ein Blick auf die elektronische Patientenakte oder auf die Verirrungen bei den E-Rezepten, die so kompliziert angelegt wurden, dass niemand sie nutzen möchte.

Was wir brauchen, sind klare Rahmenbedingung für alle. Wie viel Datenschutz muss sein, wie viel Datennutzung kann sein und welche Maßnahmen müssen dazu von allen getroffen werden? Klare Definitionen für die Pseudonymisierung oder Anonymisierung von Daten und eine definierte Mindestanforderung an Verschlüsselung von Daten im Verkehr. Dafür ist die Politik zuständig. Sie kann sich dabei des BSI bedienen, die Datenschutzbehörden oder auch den Ethikrat zu Rate ziehen.

Interoperabilität, Wettbewerb und Offenheit

Was wir brauchen, sind einheitliche medizinische Begriffsbestimmungen, also eine semantische Interoperabilität. Das können eigentlich nur die Ärzteverbände leisten. Ein Blick über den deutschen Tellerrand hinaus wäre hilfreich.

Was wir brauchen, ist Interoperabilität überall dort, wo verschiedene Systeme miteinander kommunizieren müssen. Dazu gehört auch eine einheitliche Sprache, ob das FHIR ist oder etwas anderes, müssen die Spezialisten beantworten. Klar definierte Schnittstellen müssen für alle vorgegeben werden. Zu leisten ist das von einer Digitalagentur (ehemals Gematik), in die auch die Fachkompetenz der Unternehmen einfließt. International aufgestellte Player wären eine sinnvolle Ergänzung zum deutschen (Gesundheits-)Wesen.

Was wir brauchen, ist Wettbewerb um die beste Anwendung und Nutzererfahrung. Es bedarf keiner Einheitslösung. Die Beste wird sich schlicht durchsetzen. Ohne einen solchen Wettbewerb geben wir das Wichtigste auf, was Digitalisierung zu bieten hat: Innovation.

Was wir brauchen, ist eine Funktionsbeschreibung gewünschter Anwendungen und nicht eine bis auf das letzte Byte vorgegebene Spezifikation. Das hat in der Pandemie mit der Corona-Warn-App, CovPass-App, Videosprechstunden und anderen Anwendungen schließlich auch geklappt. Was wir brauchen, ist eine gute Mannschaftsaufstellung.

Oliver Bruzek ist Managing Director Coalition Consulting.

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