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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Finanzierungsreform ist überfällig

Armin Grau, Grünen-Bundestagsabgeordneter und Mediziner
Armin Grau, Grünen-Bundestagsabgeordneter und Mediziner Foto: Stefan Kaminski

Die wirtschaftliche Situation vieler deutschen Krankenhäuser war bereits vor der Pandemie angespannt, so haben 2019 rund 30 Prozent der Kliniken Verluste gemacht. Zwei Jahre später waren es bereits doppelt so viele. Im Standpunkt schreibt Grünen-Bundestagsabgeordneter und Mediziner Armin Grau über seine Ideen zur Struktur- und Finanzierungsreform.

von Armin Grau

veröffentlicht am 24.02.2022

aktualisiert am 16.01.2023

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Das deutsche Gesundheitswesen hat sich in der Corona-Pandemie bewährt und der Bevölkerung eine gute Versorgung ermöglicht. Krankenhäuser und niedergelassene Ärzt:innen haben beide dazu beigetragen. Die wirtschaftliche Situation vieler deutschen Krankenhäuser war bereits vor der Pandemie angespannt; 2019 haben rund 30 Prozent der Kliniken Verluste gemacht. Für 2021 rechnen laut Krankenhaus-Barometer 60 Prozent der Krankenhäuser mit Verlusten. Die Pandemie hat die wirtschaftliche Situation der deutschen Kliniken somit deutlich verschärft. 

Die finanzielle Misere der Krankenhäuser hat mehrere Ursachen. Seit vielen Jahren kommen die Bundesländer ihren Verpflichtungen im Bereich der Investitionskostenfinanzierung nur unzureichend nach. Auf rund drei bis vier Milliarden Euro wird die jährliche Finanzierungslücke geschätzt. Die Krankenhäuser stopfen einen Teil dieser Lücke mit Einnahmen aus der Betriebskostenfinanzierung, dem Fallpauschalensystem (DRGs). Um dies zu ermöglichen, musste insbesondere im Bereich der Personalkosten, die im Krankenhaus in der Regel über 60 Prozent der Gesamtkosten ausmachen, gespart werden. Dies ging über viele Jahre zu Lasten der größten Personalgruppe, den Pflegekräften und hat deren Arbeit in den Kliniken zunehmend unattraktiver gemacht. Die Herausnahme der Pflegepersonalkosten aus den Fallpauschalen im Rahmen des Pflegepersonal-Stärkungsgesetzes unter Gesundheitsminister Spahn hat den Druck auf andere Berufsgruppen, insbesondere die Ärzt:innen erhöht und droht hier zu einer weiteren Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zu führen. Dies stellt gerade in der Pandemie eine kaum hinnehmbare Entwicklung dar.

 Wirtschaftlicher Druck führt in Konflikte 

Ein weiterer Faktor für die wirtschaftliche Schieflage ist der unzureichende Ausgleich der Tariflohnsteigerungen. Das Fallpauschalensystem hat einen starken Anreiz hin zu Fallzahlsteigerungen und zu für die einzelnen Kliniken jeweils lukrative Leistungssegmente geschaffen; Entwicklungen, bei denen nicht die Interessen der Patient:innen im Mittelpunkt standen. Zuletzt waren bereits vor der Pandemie Fallzahlsteigerungen oft nicht mehr realisierbar. Das hat die wirtschaftliche Schieflage der Krankenhäuser weiter verschärft. Einzelne Leistungsbereiche wie Pädiatrie und Geburtshilfe gelten als systematisch unterfinanziert, während andere Bereiche im DRG-System auskömmlicher bewertet sind.

Der wirtschaftliche Druck hat die Ärztinnen und Ärzte in den Krankenhäusern häufig in Konfliktsituationen gebracht zwischen der Wahrnehmung der Interessen der Patient:innen und den wirtschaftlichen Interessen ihrer Arbeitgeber. In Deutschland werden deutlich mehr Leistungen stationär erbracht als in den meisten anderen Ländern; gleichzeitig sind die Kosten dieser der stationären Leistungen durchschnittlich besonders niedrig. Es besteht somit ein sehr hoher Leistungs- und Kostendruck; das immer wieder beschworene Bild des sich schnell drehenden Hamsterrads beschreibt die Verhältnisse sehr gut.

Dringender Reformbedarf

Vor dem beschriebenen Hintergrund sind dringend Reformen erforderlich. Diese müssen neben den Betriebskosten auch die Krankenhausstrukturen in den Fokus nehmen. Dies betrifft neben der im internationalen Vergleich hohen stationären Leistungsmenge und Bettenzahl vor allem die regionalen Ungleichgewichte mit nicht seltener Überversorgung in städtischen Regionen und einer Tendenz zur Unterversorgung in ländlichen Räumen. Sie müssen für eine auskömmliche Finanzierung der Betriebskosten und eine ausreichende Refinanzierung der Tarifsteigerungen sorgen, strukturell unterfinanzierte Leistungsbereiche wie Geburtshilfe und Kinder- und Jugendmedizin sichern und die Infrastruktur für die stationäre Versorgung und insbesondere für Notfallbehandlungen grundfinanzieren. 

Medizinische Versorgung ist Teil der Daseinsvorsorge; die Bedarfe der Menschen müssen die Versorgungsangebote bestimmen. Ein auf den größtmöglichen Nutzen für die Menschen ausgerichtetes Gesundheits- und Krankenhaussystem ist am Ende auch das wirtschaftlich günstigste. 

Krankenhausplanung und -finanzierung

Die Ampel-Koalition wird mit einem Bund-Länder-Pakt die notwendigen Reformen für eine bedarfsgerechte Krankenhausversorgung auf den Weg bringen. Dazu soll eine kurzfristig eingesetzte Regierungskommission Empfehlungen machen. Diese betreffen einerseits die Krankenhausplanung, die auf Leistungsbereichen bzw. -gruppen und Versorgungsstufen basieren und sich nach den Kriterien Erreichbarkeit und demographische Entwicklung ausrichten soll. Andererseits sollen Empfehlungen für die Krankenhausfinanzierung gemacht werden, die das bisherige System um ein nach Versorgungsstufen differenziertes System erlös- und damit auch fallzahlunabhängiger Vorhaltepauschalen ergänzen sollen. Für die Bereiche Pädiatrie, Geburtshilfe und Notfallversorgung soll kurzfristig eine auskömmliche Versorgung sichergestellt werden.

Um die aktuellen Finanzierungsprobleme zu adressieren, ist es der richtige Ansatz, auf eine spezielle Finanzierung der Vorhaltekosten zu setzen. Kosten, die daraus entstehen, dass die Krankenhäuser überhaupt leistungsbereit sind, um etwa eine Notaufnahme, einen OP oder einen Herzkatheter rund um die Uhr betreiben zu können, werden bislang lediglich über die Finanzierung von Einzelleistungen gedeckt. Die Deckung dieser Vorhaltekosten, die häufig einen erheblichen Teil der Gesamtkosten ausmachen, zwingt viele Krankenhäuser zu hohen Fallzahlen. Dem Gedanken der Daseinsvorsorge liegt die Idee einer separaten Finanzierung der Kosten, die anfallen, um Leistungsbereitschaft überhaupt zu ermöglichen, nahe. Vorhaltepauschalen können auf unterschiedliche Weise gestaltet werden; sie können nach Versorgungsstufen gestaffelte Fixbeträge umfassen oder sie können gebildet werden, indem aus den Fallpauschalen die Kostenbestandteile herausgerechnet werden, die den Vorhaltekosten zugerechnet werden können. Dazu wird die Kommission Vorschläge erarbeiten. 

Krankenhäuser müssen in Zukunft einen zunehmenden Teil ihrer Leistungen ambulant und teilstationär erbringen, um so unnötig stationär erbrachte Leistungen zu reduzieren. Fallpauschalen, die unabhängig von einer ambulanten, teilstationären oder stationären Leistungserbringung vergütet werden (Hybrid-DRGs), können einen wichtigen Anreiz für die Kliniken hin zu mehr ambulanten Leistungen darstellen und sind Teil des Ampel-Koalitionsvertrags. Struktur- und Finanzierungsreform der Krankenhäuser sind miteinander verbunden und müssen sich gegenseitig unterstützen. Eine Reform der Krankenhausfinanzierung ist dabei überfällig und kann nicht warten, bis eine Strukturreform eine bedarfsangepasste Krankenhauslandschaft geschaffen hat, andererseits darf sie erforderlichen Strukturanpassungen auch nicht im Wege stehen. Die nächsten vier Jahre müssen hier wichtige Weichenstellungen in der Krankenhauspolitik beinhalten.

Prof. Dr. Armin Grau ist seit 2021 Grünen-Bundestagsabgeordneter und Mitglied des Gesundheitsausschusses. Der langjährige Krankenhaus-Chefarzt und Neurologe habilitierte sich 1997 mit einer Arbeit über „Infektionen als Risikofaktor für Schlaganfälle“. In dieser Legislatur will er die Krankenhausreform vorantreiben.

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