Viele Krankenhäuser treiben aktuell mit Rückenwind durch das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) die Digitalisierung ihrer Prozesse und Arbeitsabläufe voran. Diese Bemühungen zielen in erster Linie auf die Verbesserung der Patientenversorgung ab. Das ist gut und wichtig, jedoch dürfen Kliniken, besonders vor dem Hintergrund des dramatischen Personalmangels in der Pflege, auch die Belange der Mitarbeiter nicht aus dem Blick verlieren. Verantwortliche sollten sich viel häufiger auch die Frage stellen, wie das Personal von der Digitalisierung profitieren und in den Prozess eingebunden werden kann. Nach wie vor gibt es viele Abläufe, die das Ausdrucken, Ausfüllen, Einscannen und Archivieren von Dokumenten in Papierform beinhalten und damit wertvolle Kapazitäten binden.
Um im wahrsten Sinne zu überleben – die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) erwartet eine Schließung von bis zu einem Fünftel der Kliniken hierzulande – müssen medizinische Einrichtungen dazu übergehen, sämtliche Daten, die im Laufe der Geschäftstätigkeit eines Krankenhauses entstehen, an einer zentralen Stelle zusammenzuführen und so aufzubereiten, dass jeder Teil der Belegschaft, vom Pfleger bis hin zur Chefärztin, damit arbeiten kann. Darüber hinaus sollen krankheits- und behandlungsbezogene Daten durch kontinuierliche Auswertung wissenschaftliche Erkenntnisgewinne liefern.
Bei diesen ambitionierten Zielen dürfen jedoch die Mitarbeiter nicht vergessen werden, es braucht eine mitarbeiterorientierte Digitalisierungsstrategie. Das Ziel muss lauten: Weniger Aufwand für administrative Tätigkeiten und stattdessen mehr Zeit für die Patienten. Das Ergebnis ist unter anderem, dass Medienbrüche vermieden werden und keine Eingaben mehr doppelt gemacht werden müssen, etwa beim Übertrag von Patientendaten oder auch bei trivialen Tätigkeiten wie dem Urlaubsantrag.
Digitalisierung: Mammutaufgabe gelingt nicht ohne Mitarbeiter
Auf den ersten Blick ist die Digitalisierung scheinbar eine Mammutaufgabe. Daher ist es ratsam, in kleinen Schritten zu denken und zunächst herauszufinden, wo das Personal konkret Unterstützung braucht. Werden Mitarbeiter einbezogen, sehen sie, wie die eigenen Ideen realisiert und Teil einer ganzheitlichen Lösung werden. So macht Digitalisierung Spaß und mögliche Vorbehalte werden Schritt für Schritt ausgeräumt. Meinungen wie „bloß keine Experimente“ im Sinne neuer digitaler Prozesse herrschen jedoch oft noch immer vor und bremsen Innovation. Die Suche nach einem freien Bett oder einer (sauberen!) Infusionspumpe beispielsweise erfolgt häufig noch telefonisch durch die Stationsmitarbeiter und dauert. Das kann nicht die Zukunft sein.
Diese Skepsis gegenüber Neuem ist menschlich und rührt nicht selten von negativen Erfahrungen mit Lösungen und Digitalisierungsprojekten her, die nicht einmal die Förderphase überstanden haben. Nur wenn eine unmittelbare Arbeitserleichterung erkennbar ist, wird Digitalisierung auch akzeptiert. Deshalb ist es unerlässlich, dass noch vor der Implementierungsphase die Bedenken der Belegschaft angehört und berücksichtigt werden. Oftmals entstehen durch den konstruktiven Dialog Felder, die andernfalls nicht bedacht worden wären. Daher muss den Mitarbeitern die Möglichkeit der freien Gestaltung gegeben werden. Das Schlüsselwort lautet Employee Experience.
Low-Code – die Lösung des Problems?
Besonders bei neuen Plattformen herrscht oft das Vorurteil der Blackbox vor. Für viele Mitarbeiter sind IT-Tools böhmische Dörfer. Oftmals halten sie gerade deshalb am altbewährten Papier fest. Plattformen, die auf Low-Code oder gar No-Code als Basis setzen, können einen wertvollen Beitrag zur Digitalisierungsstrategie eines Krankenhauses liefern. Sie erhöhen die Geschwindigkeit der Softwareentwicklung und reduzieren so Kosten. Anstatt ein gekauftes Tool aufwendig an die lokalen Bedürfnisse anzupassen, lautet die Devise, die Lösung selbst zu gestalten und die Anwendungen sowie User Interfaces dabei direkt anhand der Anforderungen zu entwickeln. So kann auch das Nutzer-Feedback direkt eingearbeitet werden, wodurch die Mitarbeiter einen direkten Einfluss auf die Lösungsgestaltung haben.
Low-Code kann man sich wie Lego-Bausteine vorstellen: Anstatt Tausende komplexe Codes zu schreiben, werden visuell per Drag-and-Drop Anwendungen erstellt. Das macht die Technologie intuitiv, iterativ und flexibel. Sie eignet sich mitunter für (Patienten-)Portale, Apps oder komplexe Back-Offices, auch KIS-Systeme auf Low-Code-Basis sind bereits im Einsatz. Dafür braucht es keine langwierigen Schulungen. Das (IT-)Personal wird in einem strukturierten Transformationsprozess geschult und kann so kontinuierlich Änderungen vornehmen.
Employee Experience entscheidend
Angesichts der großen Aufgabe, die Krankenhäuser mit Blick auf die digitale Transformation erwartet, ist es von essenzieller Bedeutung, die eigene Belegschaft in die Überlegungen und Maßnahmen zu integrieren. Besonders die Pflegekräfte sind das Rückenmark eines jeden Krankenhauses und die letzten Jahre haben zur Genüge gezeigt, was passiert, wenn sie nicht ausreichend zur Verfügung stehen. Für eine erfolgreiche Digitalisierungsstrategie ist die Employee Experience also fundamental. Schaffen es Krankenhäuser, die eigene Digitalisierung mit einer positiven Mitarbeitererfahrung zu verbinden, verbessern sich nicht nur die Arbeitsbedingungen signifikant – es entsteht auch ein deutlich attraktiveres Berufsbild. Wichtige Schritte, um dem akuten Pflegekräftemangel entgegenwirken.
Dr. Patrick Heiler ist Director Healthcare bei der Strategieberatungs- und Technologiefirma IG&H.