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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Überkapazitäten in der stationären Versorgung

Boris Augurzky ist Leiter „Gesundheit“ am RWI und Wolfram Richter Professor für Öffentliche Finanzen an der TU Dortmund
Boris Augurzky ist Leiter „Gesundheit“ am RWI und Wolfram Richter Professor für Öffentliche Finanzen an der TU Dortmund Foto: RWI/Promo

Deutschland leistet sich nach internationalen Maßstäben Bettenkapazitäten, die überdimensioniert sind. Die Kosten für den Rückbau und gar die Schließung von Krankenhauskapazitäten will aber niemand tragen. Boris Augurzky, Leiter „Gesundheit“ am RWI und Mitglied der Krankenhausregierungskommission, sowie Wolfram F. Richter, Finanzprofessor und Mitglied im Wissenschaftlichen BMF-Beirat, machen Vorschläge, auf welche Aufgabenverteilung sich Bund und Länder verständigen sollten.

von Boris Augurzky und Wolfram F. Richter

veröffentlicht am 17.04.2024

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Viele deutsche Krankenhäuser kämpfen ums Überleben. Die Folgen beschränken sich indessen nicht auf die Suche nach finanziellen Lösungen. Vielmehr wird befürchtet, dass unter dem Druck, die Kosten zu decken, Krankenhausbehandlungen nicht ausschließlich aus medizinischen Gründen, sondern teilweise auch zur Erlössteigerung durchgeführt werden. Allem (Be-)Handlungsdruck zum Trotz sind die Betten nur zu rund 70 Prozent ausgelastet. Eine derartige Unterauslastung lässt sich nur so deuten, dass es in Deutschland Krankenhauskapazitäten gibt, die unnötig groß sind oder zumindest in ihrer bisherigen Form nicht länger gebraucht werden. Dafür spricht auch der internationale Vergleich. Deutschland leistet sich nach internationalen Maßstäben Bettenkapazitäten, die überdimensioniert sind und sich dabei auf zu viele, nicht immer gut ausgestattete und häufig zu kleine Krankenhäuser verteilen.

Bundesminister Lauterbach sieht die Politik in der Pflicht und hat zwei Reformen initiiert. Sie sollen das Problem der Überkapazitäten indirekt lösen. So geht es bei der einen Initiative vorrangig um eine Reform der Leistungsvergütung. Durch eine getrennte Honorierung von Kapazitätsvorhaltung und Behandlungsleistung sollen die Kliniken von ihrem wirtschaftlichen Behandlungsdruck befreit werden. Und die zweite Initiative zielt auf eine medizinische Ergebnistransparenz im Leistungsgeschehen. In beiden Fällen kommt es zu einem Abbau von Kapazitäten oder einer Umwidmung, wenn Klinken gewisse qualitative und kapazitative Anforderungen nicht länger erfüllen.

Schließungskosten will niemand tragen

Der Ab- und Umbau von Krankenhauskapazitäten kostet indes Geld, das die wenigsten Kliniken haben und wofür die Krankenkassen auch nicht zahlen. Sie erstatten lediglich pauschalierte Betriebskosten, wozu in erster Linie die Personalkosten zählen. In einem konkreten Fall, bei dem man die Kosten einer geordneten Schließung durchrechnete, kam man auf über 50 Prozent des Jahresumsatzes.

Ohne geordnete Schließung droht bei anhaltenden Verlusten die Insolvenz. Zwar eröffnet eine solche die Möglichkeit der Sanierung in einem geschützten Verfahren; sie kann aber immer nur eine Lösung für den Einzelfall sein. So ist sie keine Antwort auf das Problem der Überkapazitäten, und sie stellt auch nicht sicher, dass diejenigen Einrichtungen erhalten bleiben, die man bei gesamtstaatlicher Planung als erhaltenswert erachten würde.

Die Schließungskosten bei Krankenhäusern will in Deutschland niemand tragen. Man könnte die Länder für zuständig halten. Schließlich liegt die Kompetenz der Krankenhausplanung bei ihnen, und haben sie die vorhandenen Kapazitäten nicht nur geplant, sondern auch mitfinanziert. Sachinvestitionen fallen in ihre Zuständigkeit. Für Schließungskosten wollen sie aber nicht aufkommen. Im Gegensatz zum Neubau, Umbau und Erweiterungsbau von Krankenhäusern sind etwa in NRW Kosten der Schließung von der Landesförderung ausgeschlossen.

Finanzhilfen lösen Überkapazitäten nicht

Eine derartige Begrenzung der Landeszuständigkeit mag erstaunen, erschließt sich gleichwohl aus dem Blickwinkel der politisch Handelnden. Beim Rückbau und gar der Schließung von Krankenhauskapazitäten bekommt man es mit der lokalen Bevölkerung und den betroffenen Leistungserbringern zu tun. Wenn dann auch noch Steuermittel eingesetzt werden sollen, um bestehende Einrichtungen zu schließen, statt ihren Bestand zu sichern, regt sich ein Widerstand, der die verantwortlichen Politiker um ihre Wiederwahl bangen lässt. Einfacher ist es unter solchen Umständen, die Dinge laufen zu lassen und sich darauf zu beschränken, vom Bund Finanzhilfen für den Fortbestand zu verlangen. Die lösen das Problem der Überkapazitäten aber nicht. Wichtiger wäre es, dass sich Bund und Länder auf folgende Aufgabenverteilung verständigten.

Der Neu-, Um- und Erweiterungsbau von Krankenhäusern kann alleinige Aufgabe der Länder bleiben. Für solche Maßnahmen bedarf es jedenfalls keiner Bundesförderung, weil Landespolitiker grundsätzlich bestrebt sein werden, einen entsprechenden Bedarf zu befriedigen, auch wenn sie derzeit weniger Mittel zur Verfügung stellen, als zum Substanzerhalt nötig wären. Anders ist es beim Rückbau von Überkapazitäten. Für einen solchen werden sich Landespolitiker niemals starkmachen wollen. Hier ist der Bund gefordert, der erst jüngst Bereitschaft signalisiert hat, Vorhaben zur Schließung eines Krankenhauses neben anderen Maßnahmen zur Verbesserung der Krankenhausstrukturen zu fördern. Aus den dargelegten Gründen und zur Wahrung klarer Zuständigkeiten verdient der Rückbau von Kapazitäten aber Priorität – auch im Rahmen der Zentralisierung der Krankenhauskapazitäten. Die Entscheidung, ein Krankenhaus zu schließen, sollte selbstverständlich Sache des Trägers bleiben und mit der Landesplanung abgestimmt sein.

Boris Augurzky ist Leiter „Gesundheit“ am RWI, Vorstandsvorsitzender der Rhön Stiftung, Geschäftsführer der hcb GmbH und Mitglied der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung des Bundesministeriums für Gesundheit.

Wolfram F. Richter ist Professor für Öffentliche Finanzen an der TU Dortmund und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen.

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