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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Länder müssen Krankenhaussterben beenden

Gerald Gaß ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft
Gerald Gaß ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft Foto: DKG

So viele Kliniken wie nie zuvor melden Insolvenz an und es ist kein Ende in Sicht – im Gegenteil. Das hat dramatische Folgen für die Versorgung, schreibt der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß.

von Gerald Gaß

veröffentlicht am 20.09.2023

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Die Zahlen sind dramatisch: Bereits im ersten Halbjahr sind mehr als 50 Krankenhausstandorte von Insolvenzverfahren betroffen, rund fünfmal so viele wie im gesamten Jahr 2021. Das Krankenhaussterben in Deutschland hat eine Dynamik wie nie zuvor aufgenommen, und es ist kein Ende in Sicht, im Gegenteil. Betroffen sind vor allem Standorte in Kleinstädten und ländlichen Regionen – dort, wo Krankenhäuser zusätzlich zur stationären Versorgung mehr und mehr auch die ambulante Versorgung des wegbrechenden niedergelassenen Sektors übernehmen müssen. Wenn diese Häuser wegfallen, geht vielerorts die gesamte medizinische Versorgung verloren. 

„Stille Insolvenzen“ gibt es zudem zuhauf auch in großen Kommunen, in Ballungsgebieten. Wie stille Herzinfarkte bleiben sie unentdeckt, werden die finanziellen Löcher der Kliniken in Milliardenbeträgen durch die Kommunen gestopft, noch, denn die Kommunen geraten zunehmend über ihre Belastungsgrenzen, die Mittel stehen dann auch nicht mehr für Kindergärten, Schulen, Schwimmbäder oder auch die Unterbringung von Flüchtlingen zur Verfügung.

Proteste werden ignoriert

Und Grund ist die bewusste politische Untätigkeit auf Bundesebene. Denn die Ursache für dieses Sterben ist der fehlende Inflationsausgleich für die Kliniken. Nach jahrelanger struktureller Unterfinanzierung der Kliniken trifft der extreme Kostenanstieg seit dem russischen Überfall auf die Ukraine, auf ohnehin schon geschwächte Strukturen.

Anders als in der freien Wirtschaft dürfen Krankenhäuser ihre Preise nicht an die gestiegenen Kosten anpassen. Die Folge: Kaum noch ein Krankenhaus kann mit seinen laufenden Einnahmen die Ausgaben begleichen, wie eine Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts ergab. 70 Prozent sorgen sich ernsthaft um ihr wirtschaftliches Überleben in den kommenden Jahren. Die Bundesregierung schaut diesem kalten Strukturwandel weiter tatenlos zu. Von einem Inflationsausgleich, wie wir ihn dringend brauchen, will sie weiterhin nichts wissen. Proteste der Klinikbetreiber, der Beschäftigten und der Patientinnen und Patienten werden in der Bundeshauptstadt ignoriert. Vor Ort aber braut sich etwas zusammen.

Die Krankenhäuser machen aktuell Monat für Monat 500 Millionen Euro Defizit, um die Patientenbehandlung, trotz gestiegener Kosten, aufrechterhalten zu können. Bis Ende 2023 werden die Kliniken zehn Milliarden Euro inflationsbedingte Defizite zu tragen haben. Letzte finanzielle Reserven sind oder werden in diesen Wochen aufgebraucht. Karl Lauterbach kennt die Zahlen: bei einer Inflationsrate von acht Prozent sind die erlösrelevanten Landesbasisfallwerte im vergangenen Jahr nur um 2,3 Prozent erhöht worden. In diesem Jahr müssen die Krankenhäuser erneut mit Erlössteigerungen unterhalb der Inflationsrate zurechtkommen. Die Kosten-Eerlös-Schere klafft immer weiter auseinander. Ohne eine basiswirksame Anpassung der Landesbasisfallwerte wird man dieses Problem nicht lösen können.

DKG empfiehlt Bundesratsinitiative

Gerne bezeichnet Minister Lauterbach seine große Krankenhausreform sogar als „Existenzgarantie“ für kleinere Kliniken. Vor dem Hintergrund, dass er schulterzuckend dem akuten Kliniksterben zuschaut, eine unhaltbare Aussage und offensichtlich politische Strategie, werden doch viel zu viele Krankenhäuser seine Reform nie erleben, weil sie schon vorher an den Lasten der Inflation zugrunde gegangen sind. Das ist keine verantwortungsvolle Krankenhauspolitik mit einem geordneten Veränderungsprozess, das ist kalter Strukturwandel pur. Der Verdacht drängt sich auf, Klinikschließungen und -pleiten kämen dem Minister gerade recht, um seine Strukturbereinigungen durchzusetzen. Nicht zufällig hat er Experten in seine Regierungskommission berufen, die schon seit Jahren propagieren, dass Deutschland mit 400 Krankenhäusern anstelle der heute 1.700 ausreichend versorgt wäre.

Nicht nur im Umgang mit den Krankenhäusern hat Minister Lauterbach im Rahmen seiner Reform viel Porzellan zerschlagen. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft, die ihr gesetzlich zugewiesene Aufgaben in der Selbstverwaltung des Gesundheitswesens übernimmt und selbst seit Jahren auf Reformen des Krankenhaussystems drängt, bezeichnet er als „Lobby-Verein“ und schließt sie von Gesprächen weitgehend aus. Kritische Stimmen aus der Praxis stören eben in diesem Politpoker des Ministers. In der Zusammenarbeit mit den Ländern sieht es nicht viel besser aus. Immer wieder versucht Lauterbach ihre Planungshoheit infrage zustellen. Ein Beispiel ist die Level-Einteilung der Kliniken: Nachdem die Länder diese hochumstrittene Regelung abgelehnt haben, baut sie Lauterbach wieder in sein Transparenzgesetz ein und entmachtet damit seine Kolleginnen und Kollegen auf Landesebene.

Patienten und Klinikbeschäftigte richten ihre Hoffnung nun ganz auf die Länder und deren politische Durchsetzungskraft, um das ungeordnete Kliniksterben zu beenden. Denn es geht auch um deren Versorgungsstrukturen gerade in der Fläche. Wenn es nicht gelingt, über den Druck aus den Bundesländern durch ein Vorschaltgesetz die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser zu stabilisieren, wird die Politik sehr bald vor einem Scherbenhaufen stehen. Die Länder hätten die Gelegenheit, den Gesundheitsminister und die Bundesregierung über eine Bundesratsinitiative zur Vernunft zu bringen.

Dr. Gerald Gaß ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft.

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